Ralf Nestler

Wissenschaftsjournalist, Wandlitz

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Artikel

"In der Wissenschaft muss man auch Glück haben"

Das erste Bild eines Schwarzen Lochs ist ein Triumph der Physik und ein echter Wissenschaftskrimi. Der führende Forscher des Konsortiums, Heino Falcke, hat ihn jetzt aufgeschrieben. Eine Begegnung



So ähnlich muss es sich anfühlen, wenn man sich einem Schwarzen Loch nähert. Raum und Zeit verschmieren, wie in einem Tunnel geht es unaufhaltsam weiter. So wird auch Heino Falcke durch den Nachmittag des 10. April 2019 gezogen, hinauf auf die Bühne des Pressesaals der Europäischen Kommission in Brüssel. Wenige Augenblicke noch, dann wird er das präsentieren, wofür er mehr als 20 Jahre gekämpft hat. Gegen Einwände von Fachkollegen, gegen technische Probleme, gegen Querelen im Team, mit Verbündeten, mit Hartnäckigkeit, mit seinem Charme. Der Druck, den er jetzt spürt, ist immens, aber gleich ist es geschafft: Falcke zeigt das erste Bild eines Schwarzen Lochs, zeitgleich mit weiteren Forschern an insgesamt sechs Orten weltweit. Es ist ein verwaschener Fleck in Schwarz und Orange, erstellt aus den Daten mehrerer Radioteleskope, die für das „Event Horizon Telescope“ (EHT) zusammengefügt wurden.

Das Bild, das genau genommen nicht das Schwarze Loch selbst zeigt, sondern dessen Schatten sowie die strahlende Materie, die um den Gravitationsgiganten rotiert, erscheint umgehend auf Newsportalen, in Nachrichtensendungen und auf Titelseiten. Es ist ikonografisch wie die „Blue Marble“, jene Fotografie der blauen Erde vor dem Schwarz des Alls, die die Apollo-17-Besatzung 1972 gemacht hatte.

Für Falcke ist es eine Befreiung. „Endlich konnten wir das Bild mit allen teilen.“ Sein Traum und die kühne Ankündigung seit Mitte der 1990er Jahre, man könne die Umrisse eines Schwarzen Lochs abbilden, waren endlich erfüllt. Zu sehen ist das Schwerkraftmonster in der Galaxie M87 mit der 6,5 milliardenfachen Masse der Sonne. Um das 55 Millionen Lichtjahre entfernte Objekt darzustellen, braucht es eine Technik, die eine Orange auf dem Mond ausmachen könnte. Es gelang. Durch das Zusammenschalten von acht Radioteleskopen, was ein virtuelles Teleskop von der Größe der Erde ergibt. Und durch die Leistung von rund 200 Forscherinnen und Forschern, die ihre Instrumente immer weiter verbessert haben, die Analyse der Daten, die theoretische Grundlagen sowie Simulationen und Tests, um sicher zu sein, dass das kalkulierte Bild der Realität entspricht.

Die Geschichte ist ein wahrer Wissenschaftskrimi. Falcke hat ihn aufgeschrieben, gemeinsam mit Jörg Römer in dem Buch „Licht im Dunkeln“. Es schildert die Jagd nach dem Bild aus der Perspektive des Radioastronomen, verwoben mit einer populärwissenschaftlichen, verständlichen Reise durch den Kosmos und dessen Phänomene sowie der Biografie Falckes, heute 54 und Professor an der Radboud-Universität Nijmegen.

Kurz vor der Buchpremiere sitzt er in einem Berliner Hotel und erzählt, wie alles angefangen hat: „Der Blick in den Nachthimmel hat mich fasziniert und natürlich wollte ich auch Astronaut werden.“ Er sei einer gewesen, der sehr viel fragte. „Vielleicht war ich auch so ein Mensch, bei dem die Eltern irgendwann sagen „Jetzt hör aber mal auf“, sagt Falcke im leichten Singsang des Rheinländers und lacht. Das Wissenwollen und Durchdenken brachte ihn nach dem Abitur in Frechen bei Köln zum Physikstudium. Von der Teilchenphysik, die ihn zunächst ebenfalls reizte, wandte er sich wieder ab. „Ich hatte das Gefühl, die haben sich festgerannt, die Astrophysik versprach mehr, also ging ich dahin.“ An der Uni Bonn promoviert er über Schwarze Löcher und arbeitet als Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Radioastronomie, wo er seine Idee vom Bild entwickelt und im Austausch mit Kollegen immer weiter spinnt.

Nun hat er es, doch die Arbeit sei längst nicht getan, sagt Falcke. Neben dem Schwarzen Loch in M87 haben die Forscher auch das im Zentrum unserer Milchstraße auf der To-Do-Liste stehen, genannt Sagittarius A*. Es ist aber viel unruhiger als M87 und daher gibt es bisher keine scharfen Bilder. „Die Materie bewegt sich sehr turbulent um Sagittarius A*“, erläutert Falcke und vergleicht das Geschehen mit einer Fackel auf dem Turm einer Gasbohrung, die zusätzlich rotiert. Die sei auch schwerer abzubilden als eine ruhige Kerzenflamme. Außerdem bedeutet eine zugesagte Messzeit für ein bestimmtes Teleskop noch lange nicht, dass es am Ende Daten gibt. „Dieses Jahr waren die Anlagen wegen der Pandemie außer Betrieb, im letzten Jahr gab es Unruhen in Chile“, sagt der Forscher. Zuvor war einer seiner Studenten nahe eines mexikanischen Teleskops mit Maschinengewehren bedroht worden. Ihm ist glücklicherweise nichts geschehen, aber die Beobachtungen wurden sicherheitshalber gestoppt. Vieles kann also schief gehen. Oder, wie es der Optimist Falcke ausdrückt: „In der Wissenschaft muss man auch Glück haben.“

Er scheint eine Menge davon abzubekommen. Anders lässt sich seine zugewandte Art, seine Begeisterungsfähigkeit und sein Selbstbewusstsein kaum erklären. Doch auch er muss Rückschläge hinnehmen, Ungerechtigkeit, Verletzungen. Er berichtet davon in seinem Buch und im persönlichen Gespräch – und dass er gerade in aufwühlenden Zeiten Geborgenheit im Glauben findet. Der sei ihm stets wichtig gewesen, er engagierte sich in der Jugendarbeit der evangelischen Kirche, machte mit 25 eine Ausbildung zum Prädikanten und gestaltet bis heute als Laienprediger Gottesdienste.

Falcke ist einer von wenigen Naturwissenschaftlern, die ihren Glauben bewusst in die Öffentlichkeit tragen. Wie geht das zusammen? Schließlich treibt er die Physik und das, was sie erklären kann, immer weiter voran, was die „Nische für Gott“ immer kleiner macht. Falcke sieht es genau anders herum: „Wir wissen heute viel mehr als jemals zuvor, wissen aber auch viel mehr von dem, was wir nicht wissen können“, argumentiert er. Die Lücke der Unkenntnis, die Gott ausfüllen soll, sei größer und grundsätzlicher geworden, als sie jemals war. Der Frage nach dem Ursprung von allem, dem, was vor dem Urknall war, habe sich die Naturwissenschaft kein Stück nähern können. „Wer es wagt, über die Grenzen der Physik hinaus zu fragen, kommt an Gott nicht vorbei“, findet er.

Gott sei weder ein Zauberer noch einer, der die Menschen wie Marionetten ein Leben lang lenkt. Er wirke im Rahmen der Naturgesetze, im Rahmen unserer menschlichen Beziehungen, doch selbst da können Dinge geschehen, die man nicht für möglich gehalten hätte. „Wie es funktioniert, weiß ich nicht, aber es ist eine Kraftquelle da“, sagt Falcke.
Er warnt davor, alles allein mit Wissenschaft erklären zu wollen. Wer nach dem Woher, Wohin und Warum frage – er nennt dies den „Urinstinkt der menschlichen Seele“ - sei ein Leben lang auf der Suche. Religion, Philosophie und Wissenschaft spielten hierbei eigene Rollen. Keine davon sollte die ganze Weltdeutung für sich allein beanspruchen. „Wissenschaft ist kein absolutistischer Welterklärer, sondern ein Fest menschlicher Kreativität und Neugier.“

Mit dieser Neugier und Kreativität arbeiten er und seine Kolleginnen und Kollegen nun an einem Bild vom Schwarzen Loch im Zentrum unserer Galaxie, Sagittarius A*. Es wird eines geben, da ist sich der Forscher sicher. Außerdem gehe es ja nicht allein um Bilder, sondern darum, mittels präziser Messungen die Vorgänge am Rand der extremen Objekte besser zu verstehen: Wie die Materie durchgeknetet wird, Magnetfelder entstehen und mit Strahlungsausbrüchen zusammenwirken. Obwohl keiner in ein Schwarzes Loch hineinschauen kann, wird man beim grundlegenden Verständnis ihrer Physik in den nächsten 30 Jahren große Fortschritte machen, ist er überzeugt. Ob dabei auch Schwächen der Allgemeinen Relativitätstheorie offenbar werden, da ist er sich nicht so sicher. „Es kann sein, dass diese in Bereichen auftreten, die wir nicht messen können.“

Aber genau hinzuschauen, das lohne allemal. Längst haben er und weitere Forscher das Konzept eines EHT im Weltraum entworfen: Drei Satelliten kreisen um die Erde und empfangen Radiowellen, die dann verknüpft werden, wie bisher die Signale des EHT. Dieser „Event Horizon Imager“ jedoch würde eine noch höhere Auflösung bieten als es mit irdischen Teleskopen möglich ist. Statt eines schemenhaften Lichtflecks könnte es einzelne Ringe darstellen, die auf rotierende Materie verweisen und so die Struktur viel genauer herausarbeiten. Das Konzept wurde der europäischen Raumfahrtagentur Esa vorgeschlagen, sagt Falcke. „Ich habe ein gewisses Wohlwollen gespürt, dass dieses Thema als interessant erachtet wird.“ Selbst wenn es sich gegen viele andere Ideen durchsetzte, der Start wäre erst Mitte des Jahrhunderts.

Aber es gibt ja noch eine weitere Vision: ein Radioteleskop auf der Rückseite des Mondes. Dort lassen sich Signale mit sehr großer Wellenlänge empfangen, die von der Erdatmosphäre geschluckt werden. Die Radioastronomen könnten viel näher an den Urknall „heranlauschen“ als es bisher möglich ist, die Chance auf spektakuläre Forschungsergebnisse ist groß. Etliche Konzepte wurden bereits diskutiert, umgesetzt aber keines. Mit Ausnahme eines niederländisch-chinesischen Experiments, bei dem 2019 Radioantennen auf einem Satelliten an der Rückseite sowie unmittelbar auf der Oberfläche des Mondes aktiviert wurden. Sie werden zeigen, welches Potenzial ein ausgefeiltes Radioteleskop auf dem Mond hat. Führend an dessen Vorläufer beteiligt ist: Heino Falcke.

Erschienen am 3. November 2020 im Tagesspiegel.
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