Ralf Nestler

Wissenschaftsjournalist, Wandlitz

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Tanz mit einem Schwarzen Loch

Ein Neutronenstern verschmilzt mit einem Schwarzen Loch von der fünffachen Masse der Sonne. Abbildung: F. Foucart/University of New Hampshire und SXS-Kollaboration

Gravitationswellen sind so etwas wie der „heiße Scheiß" der Physik: schwer in Mode. Albert Einstein hatte sie bereits im Jahr 1915 vorhergesagt, doch es dauerte ein Jahrhundert, bis es gelang, diese Wellen erstmals zu erfassen. Sie lassen sich weder sehen noch hören noch spüren - stattdessen braucht es extrem empfindliche Instrumente. Die Wellen entstehen, wenn zwei sehr massereiche Objekte einander eng umkreisen und dann zusammenkrachen, beispielsweise zwei Schwarze Löcher. Dann jagen die Wellen mit Lichtgeschwindigkeit in alle Richtungen davon durch das Weltall. Indem Forscherinnen und Forscher diese aufzeichnen und analysieren, können sie mehr über die Kollision der kosmischen Objekte lernen. Das hilft, wichtige Fragen zu beantworten: Warum und mit welchem Tempo dehnt sich das Universum immer weiter aus? Oder: Wie sind die schweren chemischen Elemente wie Gold und Platin entstanden?


Seit im September 2015 erstmals Gravitationswellen erfasst wurden - was den maßgeblichen Wissenschaftlern 2017 den Nobelpreis brachte -, ist die Forschergemeinde fasziniert und versucht, weitere Kollisionen im All aufzuspüren. Die zwei Schwarzen Löcher wurden bereits registriert, wie auch der Crash zweier Neutronensterne, wie die extrem dichten Überreste massereicher Sterne genannt werden. Am 26. April um 17:22 Uhr (MESZ) registrierten die Geräte ein besonderes Signal. Es könnte die allererste Beobachtung eines Neutronensterns und eines Schwarzen Lochs sein, die, 1,6 Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt, einander umkreisen bis der Stern ins Loch stürzt, teilten die beteiligten Forscher jetzt mit.


Um wirklich sicher zu sein, müssten noch Tests folgen, sagen sie. Doch wenn sich der Verdacht erhärtet, wäre das eine äußerst wichtige Entdeckung, erklärt Alessandra Buonanno vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut, AEI) in Potsdam, eine der leitenden Wissenschaftlerinnen bei dem Vorhaben: „Ein Schwarzes Loch und ein Neutronenstern sind ein ungleiches Paar, bisher gibt es keinen Beleg für so ein ,binäres System'." Es wäre gut geeignet, um Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie weiter zu überprüfen. Zum einen seien die Massen der beiden Körper recht verschieden, zum anderen rotieren sie auch. Einsteins Theorie beschreibt, was bei dem kosmischen Tanz geschieht, doch erst die Daten aus der Realität zeigen, ob die Annahmen zutreffen. Das reizt die Physiker natürlich. „Weiterhin können wir erfahren, ob der Neutronenstern in der Nähe des Schwarzen Lochs infolge der extremen Kräfte zerrissen wird oder ob er vollständig hineinstürzt - und das wiederum sagt uns einiges über das Material aus dem der Stern besteht", sagt Buonanno.


Wie wichtig diese kompakten Objekte sind, haben Forscher 2017 gezeigt. Damals wurde von Gravitationswellen-Observatorien sowie weiteren Teleskopen der Zusammenstoß zweier Neutronensterne dokumentiert. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass dabei so extreme Bedingungen erreicht wurden, dass schwere Elemente wie Gold und Platin entstanden. Die bisherige Annahme, wonach diese Elemente bei Sternexplosionen entstehen, war damit widerlegt.


So vielversprechend die Forschung mit Gravitationswellen ist, sie erfordert enorme Präzision, denn die Wellen sind schwer nachzuweisen. Wenn beispielsweise zwei Schwarze Löcher einander umkreisen, so wird der Abstand immer kleiner. Je näher sich die beiden kommen, umso mehr Energie wird abgegeben - in Form von Gravitationswellen. Als „Kräuselungen der Raumzeit" werden sie mitunter bezeichnet, man kann sich das vorstellen wie kleine spiralförmige Wellen auf einem Teich. Tatsächlich stauchen und strecken sie die Raumzeit und damit auch Planeten wie die Erde. Die Deformation ist minimal. Ein Faden, der von Flensburg nach Freiburg reicht, würde von einer Gravitationswelle lediglich um ein Billionstel Millimeter gedehnt. Kein Mensch oder Tier kann diese Deformationen spüren - empfindliche Laserapparaturen allerdings schon. Sie wurden auch in Deutschland mitentwickelt, am AEI in Hannover und Potsdam.


Das Prinzip: Ein Laserstrahl wird aufgeteilt und in zwei „Arme“ geschickt, die im rechten Winkel zueinander stehen. Jeweils am Ende befinden sich Spiegel, so dass die Laserstrahlen mehrfach hin und herjagen bis sie wieder zusammengeführt werden. Am Ziel angekommen überlagern sich die Wellenberge, so dass ein deutliches Signal entsteht. Wird einer der Arme durch eine Gravitationswelle gestaucht oder gestreckt, ändert sich die Weglänge des Lichts und die Wellenberge treffen nicht mehr exakt aufeinander. Hört sich einfach an, doch die Apparate reagieren auch auf Bodenschwingungen etwa durch Straßenverkehr und auf temperaturbedingte Ausdehnungen. Mit technischen Tricks und Computertechnik lassen sich die Störungen immer besser herausfiltern.


An der aktuellen Beobachtung sind drei solcher Laserinterferometer beteiligt. Die zwei Apparate der LIGO-Kollaboration in den US-Staaten Washington und Louisiana, die je vier Kilometer lange Arme haben, sowie VIRGO in Italien mit einer Armlänge von drei Kilometern. Längst planen die Forscher noch größere Anlagen, denn je länger die Arme, desto empfindlicher ist das Messgerät. Das „Einstein-Teleskop" soll in zwei Tunnelröhren von je zehn Kilometern Länge eingebaut werden. Ein möglicher Standort ist in der Nähe von Aachen, der Baubeginn aber ungewiss. Zusätzlich wird eine Weltraummission vorbereitet, bei der drei Sonden im Abstand von je 2,5 Millionen Kilometern im All positioniert werden, um dazwischen präzise Lasermessungen zu machen und Gravitationswellen aufzuspüren. Deren Start ist für 2034 geplant.


Der Beitrag erschien leicht gekürzt am 3. Mai 2019 im Tagesspiegel.



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