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Börsenstrom wird billiger, Energiearmut nimmt zu

Der aktuelle Winter war bisher überwiegend mild, wegen des stark gesunkenen Ölpreises werden zudem eine zukünftige Entlastung der Haushalte und sinkende Energiekosten beschworen. Viele Haushalte mag das etwas entlasten. Doch immer häufiger können Menschen in Deutschland ihre Rechnungen für Heizenergie nicht mehr bezahlen. Das zeigt der Ende 2014 veröffentlichte jährliche „Monitoringbericht" von Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt. Darin präsentiert die Bundesnetzagentur die Zahlen zu Strom- und Gassperrungen für Haushalte von 2011 - dem ersten Jahr der Erhebung - bis 2013.

2013 wurden zwar nur fünf Prozent der angedrohten Stromunterbrechungen auch durchgeführt. Doch die absoluten Zahlen sind deutlich gestiegen. Seit 2011 (6,1 Millionen Androhungen) gab es zwar zunächst einen Rückgang bei den angedrohten Unterbrechungen (2012: 5,7 Millionen), doch dann einen umso stärkeren Anstieg: 2013 wurden knapp sieben Millionen Stromsperrungen angedroht. Die Zahlen der tatsächlich durchgeführten Sperrungen sprechen eine noch deutlichere Sprache. Dieser Wert stieg von 312 000 über 322 000 auf zuletzt 345 000.

Noch drastischer ist die Entwicklung beim Gas. Auch hier wurden die angedrohten und die tatsächlich durchgeführten Sperrungen für die Jahre 2011 bis 2013 ermittelt. Während die Zahl der Androhungen von über 1,2 Millionen auf 980 000 sank, stieg die Zahl der Sperrungen von 33 600 auf 45 900.

Während beim Strom ein Zahlungsrückstand von 100 Euro aufgelaufen sein muss, bevor eine Sperrung angedroht werden kann, gibt es eine solche Schwelle beim Gas nicht, hält der Monitoringbericht fest. Hier „waren säumige Kunden im Durchschnitt mit 115 Euro im Zahlungsrückstand".

Im Fall von Sperrungen fallen zudem Gebühren an und die Schulden werden so noch größer. Für Strom hält die Bundesnetzagentur fest: „Für die Durchführung einer Sperrung berechneten die Netzbetreiber ihren Kunden durchschnittlich Kosten in Höhe von 48 Euro, wobei die Spannbreite der tatsächlich berechneten Kosten zwischen 13 und 168 Euro lag." Beim Gas fielen zwischen zwei und 200 Euro an, durchschnittlich 46 Euro, wobei die Kosten der (lokalen) Verteilnetzbetreiber noch nicht enthalten sind.

Seltsam mutet an, dass im Monitoringbericht sowohl beim Strom als auch beim Gas zu lesen ist, die Zahl der Sperrungen sei von 2012 zu 2013 „leicht gestiegen". Dabei handelte es sich beim Strom um einen Anstieg von über sieben Prozent, beim Gas von rund 17 Prozent. Auf Anfrage räumt ein Sprecher der Bundesnetzagentur ein, dass diese Formulierung unglücklich gewählt sind. Eine inhaltliche Erklärung gebe es dafür nicht. Schuld sei wohl das persönliche Ermessen der Personen, die die betreffenden Passagen geschrieben haben. Von 2011 zu 2013 betrug der Zuwachs an Stromsperrungen sogar über zehn, beim Gas rund 37 Prozent.

Für das Phänomen wurde ein neuer Begriff geprägt: Energiearmut. Gern taucht das Wort gerade dann auf, wenn es um erneuerbare Energien und die Energiewende geht - an der Misere seien Sonne, Wind und Co und die vermeintlich hohen Kosten der Transformation unseres Energiesystems schuld, heißt es in vielen Medienberichten. Interessierte Lobbyistengruppen heizen mit entsprechenden Pressemitteilungen und vermeintlich objektiven Studien diese verzerrte Argumentation im wahrsten Sinne tüchtig an.

Richtig ist: Durch die immer stärkere Nutzung erneuerbarer Energiequellen sinken die Börsenstrompreise manchmal sogar in den negativen Bereich. Doch beim Haushaltskunden kommt das nicht an, bis 2014 haben sich Wärme und Strom über viele Jahre hinweg sehr stark verteuert. Einer Statistik des Bundeswirtschaftsministeriums zufolge stiegen die durchschnittlichen Energiekosten eines deutschen Haushalts (ohne Autokraftstoffe) von 1030 Euro 1996 auf 1930 Euro 2013. Eine andere Statistik des Ministeriums listet die nominalen Energiepreise - also ohne Einbezug der Inflation - auf. Demnach zahlten beispielsweise 2005, dem Jahr des Inkrafttretens der Hartz-Gesetze, deutsche Haushalte (die Preise für die Industrie sind nicht mal halb so hoch) pro Kilowattstunde Gas 5,3 Cent und pro Kilowattstunde Strom 18,2 Cent. 2013 waren das 7,1 und 28,8 Cent - ein Anstieg um ein Drittel beim Gas und mehr als die Hälfte beim Strom.

Aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen andererseits, wie sich die Erneuerbaren an der Strombörse auswirken: Die Erzeugerpreise für Strom haben sich im Jahr 2014 im Vergleich zum Vorjahr um drei Prozent verringert, seit 2010 ist der Börsenstrompreis sogar um 30 Prozent zurückgegangen. Davon profitieren aber nur die Versorger, die die Preissenkung nicht an die Haushalte weitergeben.

Die Situation wird darüber hinaus weiter verzerrt, da die Bundesregierung schon lange viele Unternehmen, besonders wenn eine Wettbewerbssituation mit dem Ausland angenommen wird, von der EEG-Umlage befreit.

Wie aber wird den Haushalten geholfen? Gestiegenen Energiekosten trug die Regierung zunächst unter anderem dadurch Rechnung, dass sie mit Wirkung vom 1. Januar 2009 eine sogenannte Heizkostenkomponente beim Wohngeld einführte. Zwei Jahre später wurde die „mit der Begründung gesunkener Heizkosten ersatzlos gestrichen", wie Der Paritätische, ein Wohlfahrtsdachverband, in einem Positionspapier vom vergangenen Jahr festhält. „Die Streichung der Heizkostenkomponente im Wohngeldgesetz war rückblickend betrachtet falsch", teilt der Verband mit. Von 2011 bis 2013 stieg der nominale Gaspreis dem Wirtschaftsministerium zufolge wieder um sieben Prozent.

Der Paritätische hatte schon 2013 ein Bündnis von Umwelt- und Sozialverbänden mit ins Leben gerufen, das eine „Charta zur sozial gerechten Energiewende" veröffentlichte. Die sei nach wie vor aktuell, sagt Christian Woltering vom Paritätischen. Die Wiedereinführung der Heizkostenkomponente beim Wohngeld habe die aktuelle Bundesregierung nicht in den Koalitionsvertrag aufnehmen wollen, sagt Woltering. Die zuständige Umwelt- und Bau-Ministerin Barbara Hendricks (SPD) habe sich danach zwar dafür ausgesprochen, aber es seien keine konkreten Pläne bekannt. Allerdings fordert die Umweltministerin immer wieder eine konsequente staatliche Förderung der Energieeffizienz - Energiesparen könnte Energiearmut lindern.

Weitaus mehr Menschen sind jedoch vom Arbeitslosengeld abhängig. Und „die Erhöhung des Anteils für Energie im ALG-2-Satz hält seit etlichen Jahren nicht mit der Entwicklung der Energiekosten mit", hält Christian Woltering fest. „2014 hat auch das Bundesverfassungsgericht eine Neuregelung angemahnt."

Erstaunlich ist, dass sich dieses Drama entfaltet, obwohl bereits im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Regierung festgehalten wird, dass „Regelungen für einen besseren Schutz vor Strom- und Gassperren" geschaffen werden sollen. Der „Einsatz von intelligenten Stromzählern mit Prepaid-Funktion" könne eine Maßnahme dabei sein.

Von einer grundsätzlichen Lösung - der Schaffung eines Marktdesigns, das die preissenkende Wirkung der Erneuerbaren demokratisiert und der gesamten Bevölkerung zu Gute kommen lässt - ist das meilenweit entfernt.

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