Rainer Dr. Werning

Sozial- und Politikwissenschaftler & freier Publizist, Frechen-Königsdorf

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Korea: Annäherungen im Stakkato

Korea: Annäherungen im Stakkato

Der innerkoreanische Gipfel am 27. April sowie das erste Zusammentreffen der Staatschefs der USA und Nordkoreas im Folgemonat könnten die vierte, diesmal erfolgreiche Phase einer Annäherung auf der Koreanischen Halbinsel einleiten. Es sei denn, politische Hardliner in Washington ersinnen im entscheidenden Moment erneut Mittel und Wege, um eine solche Avance zu vereiteln. Von Rainer Werning.

Am 4. Juli 1972 schlug die in Südkoreas Metropole Seoul sowie in Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang gleichzeitig bekanntgegebene „ Gemeinsame Süd-Nord-Erklärung über die friedliche nationale Wiedervereinigung " wie eine Bombe ein. In dieser vom südkoreanischen Chef des Geheimdienstes (KCIA) und dem Leiter der Organisationsabteilung der herrschenden Partei der Arbeit Koreas (PdAK) aus dem Norden unterschriebenen Erklärung hieß es:

„Beide Seiten einigten sich über folgende Prinzipien der Wiedervereinigung des Vaterlandes:

Die Wiedervereinigung soll unabhängig, das heißt ohne sich auf eine fremde Macht zu stützen, noch mit deren Einmischung erreicht werden. Die Wiedervereinigung soll mit friedlichen Mitteln, das heißt ohne Waffeneinsatz der einen Seite gegen die andere, verwirklicht werden. Die große nationale Einheit soll vor allem durch ein gemeinsames Nationalgefühl gefördert werden, ungeachtet der Unterschiede der Ideologien, Ideale und Systeme.

Beide Seiten halten sich von der Verleumdung der anderen Seite und von bewaffneten Provokationen, kleinen oder großen, zurück und wirken darauf hin, Zwischenfälle durch unerwartete militärische Konflikte zu vermeiden, damit die Spannung zwischen dem Norden und dem Süden überwunden und eine vertrauensvolle Atmosphäre geschaffen werden kann."

Nach dem Koreakrieg (1950-53), dem ersten „heißen" Konflikt im Kalten Krieg mit weit über vier Millionen Toten, war dies das erste Mal, dass Seoul und Pjöngjang aufeinander zugingen und sich anschickten, das frostige innerkoreanische Verhältnis ein wenig aufzutauen. Zugleich wurde vereinbart, die Zusammenarbeit auf den verschiedensten Ebenen, vorrangig im Rahmen medizinischer Hilfe, zu fördern. Außerdem sollte zwischen Seoul und Pjöngjang ein „heißer Draht" hergestellt und darauf hingewirkt werden, dass ein noch zu schaffendes „Nord-Süd-Koordinationskomitee" die vereinbarten Punkte realisiert. Doch der unerwartete Besuch des damaligen US-Präsidenten Richard M. Nixon in der Volksrepublik China (eine für das strikt antikommunistisch ausgerichtete Südkorea höchst unerwünschte Avance) und die Verhängung des Kriegsrechts in Südkorea im Jahre 1972 machten die hehre „Gemeinsame Süd-Nord-Erklärung" zur Makulatur.

Um die Jahreswende 1991/1992 handelten Nord- und Südkorea ein „Abkommen über Aussöhnung, Nichtaggression, Austausch und Kooperation" (unterschrieben am 13.12.91 und rechtskräftig ab dem 19.2.92) sowie die „Gemeinsame Erklärung zur Denuklearisierung der Koreanischen Halbinsel" (unterzeichnet am 20.1.92 und ebenfalls am 19.2.92 in Kraft getreten) aus, wobei das erste Abkommen auf einen umfassenden bilateralen Austausch in den Bereichen Kultur, Wirtschaft und Politik abzielte und gemeinsame Besuchsprogramme ermöglichen sollte. Doch die Vertragsunterzeichnung fiel in eine für Nordkorea überaus prekäre Umbruchphase. In Berlin war die Mauer gefallen, die Sowjetunion befand sich im Zerfallsprozess und zahlreiche realsozialistische Regime in Osteuropa waren bereits von der politischen Weltbühne verschwunden. Der Regierung in Pjöngjang war besonders die unter Michail Gorbatschow verfolgte Politik von „Glasnost" und „Perestroika" in der Sowjetunion ein Gräuel, witterte sie darin doch eine - so wörtlich - „ideologische Kontaminierung". Kurzerhand zog deshalb Nordkoreas Regierung ihre dort und vormals in Osteuropa zwecks Aus- und Weiterbildung stationierten Kader, Ingenieure und Techniker ab und ordnete deren unverzügliche Heimkehr an.

Silberstreif am Horizont - Seouls „Sonnenscheinpolitik"

Auf diese Umbruchphase reagierte Pjöngjang auf seine Weise: Es schottete sich gegenüber der (westlichen) Außenwelt ab, setzte stärker als zuvor auf ideologische Erziehung und Kampagnen, entwarf das Konzept des „Sozialismus in den eigenen Farben" und propagierte seitdem den „starken und gedeihenden Staat" sowie die Politik des „Das Militär zuerst!" Somit war es der Norden, der den neuerlichen innerkoreanischen Annäherungsprozess beendete. Neben den Entwicklungen in der Sowjetunion und in Osteuropa waren dafür auch schwerwiegende wirtschaftliche Probleme nach dem Tod des Staatsgründers Kim Il-Sung (dem Großvater des jetzigen Staatschefs Kim Jong-Un) im Sommer 1994 ausschlaggebend. Mitte der 1990er Jahre kam es in Nordkorea infolge verheerender Naturkatastrophen (Dürreperioden und Überschwemmungen) zu Ernteausfällen und in einigen Regionen des Landes zu akuter Hungersnot, unter der 1995 5,7 Millionen Menschen litten, etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung.

Die dritte Annäherung zwischen Nord- und Südkorea geschah Mitte des Jahres 2000. Am 13. Juni war die nordkoreanische Führung sogar Gastgeber des ersten innerkoreanischen Gipfeltreffens. Bei diesem geschichtsträchtigen Moment reichten sich die Staatschefs beider Staaten, Kim Dae-Jung und Kim Jong-Il - offiziell zwar noch im Kriegszustand - die Hände. Zwei Tage später, am 15. Juni 2000, vereinbarten beide Staatsmänner die „Nord-Süd-Deklaration". Über Familienzusammenführung und gegenseitige Besuchsprogramme hinaus sah diese Vereinbarung eine enge und regelmäßige Kooperation in den Bereichen Kultur, Handel und Wirtschaft vor. Ja, sogar die gemeinsame Teilnahme der Sportteams beider Länder an den bevorstehenden Olympischen Sommerspielen im australischen Sydney war beschlossen worden.

Möglich geworden war diese erste Zusammenkunft der beiden mächtigsten Politiker in Seoul und Pjöngjang nach dem Amtsantritt Kim Dae-Jungs im Februar 1998. Der einst prominenteste politische Gefangene und Staatsfeind Nummer Eins war siegreich ins Blaue Haus, dem Sitz des südkoreanischen Präsidenten, eingezogen und verkündete in Anlehnung an eine bekannte Fabel von Äsop eine Öffnung gegenüber dem Norden, die „Sonnenscheinpolitik". Sie sollte effektiver als der bis dahin praktizierte Konfrontationskurs seiner Vorgänger sein.

Die Inhalte der „Nord-Süd-Deklaration" waren nahezu identisch mit jenen der „Gemeinsamen Erklärung vom 4. Juli 1972". Im Gegensatz zu 1972 wurden allerdings eine enge wirtschaftliche Kooperation sowie ein reges Besuchsprogramm (freilich nur von Süd nach Nord) vereinbart. Im Juni 2005 erreichte die Zahl der Touristen aus dem Süden immerhin die Millionengrenze. Sichtbares Zeichen eines gleichermaßen in Pjöngjang und Seoul gepriesenen „exemplarischen Lernens" für das künftige Zusammenleben der Koreaner bildete die Errichtung des auf nordkoreanischem Territorium befindlichen Gaeseong-Industrie-Komplexes (GIK), von dem aus ab Dezember 2004 erstmalig dort produzierte Waren nach Südkorea geliefert wurden. Der GIK, das Resultat einer komplizierten Koppelung von Kapital und Technologie aus dem Süden mit Arbeitskräften aus dem Norden, galt als „Kronjuwel innerkoreanischer Kooperation". Im Februar 2016 ordnete Seoul aus Protest gegen einen zuvor durchgeführten nordkoreanischen Atomtest die Schließung des GIK an.[ 1]

Kim Dae-Jungs Kurswechsel erfolgte gewiss auch aus pragmatischen und finanziellen Erwägungen. Seitdem klar geworden war, welch exorbitante Kosten Südkorea bei einer Wiedervereinigung analog dem deutschen Beispiel aufgebürdet würden, schwand die frühere Euphorie der politischen Eliten in Seoul, man könne sich den Norden aufgrund der eigenen haushohen wirtschaftlichen Überlegenheit problemlos einverleiben. Wandel durch Handel, Annäherung statt Destabilisierung - so lautete fortan die Devise in Seoul. Dabei bezog sich Kim Dae-Jung ausdrücklich auf Willy Brandts frühere „Ostpolitik", wenngleich er die Situation beider Länder nie für vergleichbar hielt.

Ein nordkoreanisch-amerikanischer Deal schien zum Greifen nahe

Der dritte Anlauf einer Nord-Süd-Verständigung auf der Koreanischen Halbinsel schien vielversprechend zu verlaufen, zumal er auch und gerade im westlichen Ausland breite Unterstützung fand. Vor allem William J. Perry, von 1994 bis 1997 US-Verteidigungsminister und einer der Architekten des im Herbst 1994 in Genf ausgehandelten „Rahmenabkommens" („Agreed Framework") zur Beilegung des ersten Atomstreits mit Nordkorea, fiel eine Schlüsselrolle zu. Er war von US-Präsident Bill Clinton als Sonderemissär ernannt worden, dem es im Rahmen einer ausgedehnten Shuttle-Diplomatie in Ostasien oblag, eine konsistente Politik Washingtons vis-à-vis Pjöngjang zu formulieren. Am 12. Oktober 1999 veröffentlichte Perry seinen Bericht - mit dem Ergebnis, an dem Rahmenabkommen unbedingt festzuhalten. In zumindest dreierlei Hinsicht war der Perry-Report bedeutsam: Beide Protagonisten wahrten ihr Gesicht; die in Washington angenommene Prämisse, Nordkorea werde alsbald zusammenbrechen, wurde revidiert, und schließlich wurde die vom südkoreanischen Präsidenten verfolgte „Sonnenscheinpolitik" ausdrücklich befürwortet.

Der US-amerikanische Historiker und Koreaexperte Bruce Cumings konstatierte in diesem Zusammenhang: „Die sechsmonatige Arbeit (Perrys und seiner Kollegen - RW) schloss mit der Empfehlung, die Verhandlungen mit Pjöngjang zu intensivieren. Der Neuansatz mündete in ein vorläufiges Abkommen über die nordkoreanischen Raketen, das den Vereinigten Staaten wie der gesamten asiatisch-pazifischen Region große Vorteile brachte. Damals schien Nordkorea bereit, die Produktion, Stationierung und Ausfuhr aller Raketen mit einer Reichweite von über 500 Kilometern einzustellen. In beiden strategischen Fragen - in der Atompolitik und bei den ballistischen Raketen - schien man einer Vereinbarung näherzukommen."[ 2]

Im Gegenzug lockerte Washington einige seiner Wirtschaftssanktionen und setzte sich für die Fortführung und Aufstockung von Hilfslieferungen an die Volksrepublik ein. Das „Agreed Framework" sah zudem vor, in Washington und Pjöngjang jeweils Liaison-Büros einzurichten und gemeinsam nach Überresten der im Koreakrieg gefallenen US-amerikanischen Soldaten zu suchen. Zentraler Punkt war aber folgender: Nordkorea hatte in einem Zusatzprotokoll eine Sicherheitsgarantie erhalten. Den Höhepunkt nordkoreanischer Außenpolitik und einen diplomatischen Coup im Sog der „Sonnenscheinpolitik", für die wenige Wochen später allerdings nur Südkoreas Präsident mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, bildete der Besuch von US-Außenministerin Madeleine K. Albright in Pjöngjang am 23. und 24. Oktober 2000. Damit weilte erstmalig in der Geschichte beider Länder ein derart hochrangiger Repräsentant der US-Regierung in der Volksrepublik. Nicht nur das: Eigentlich hätte Clintons letzte Staatsvisite im Amt ihn nach Pjöngjang führen sollen, wo bereits die Protokollchefs beider Länder entsprechende Vorbereitungen getroffen hatten.

Höchst ungewöhnlich auch die Szenen zwei Wochen vor Albrights Besuch. Da hatte bereits US-Präsident Clinton mit dem 72-jährigen Vizemarschall Jo Myong-Rok den Sondergesandten Kim Jong-Ils (Vater von Kim Jong-Un) und die damalige Nummer Zwei der nordkoreanischen Nomenklatur im Oval Office im Weißen Haus mit einem herzlichen Händeschütteln willkommen geheißen. Bei der Gelegenheit überreichte Vizemarschall Jo, der offiziell den Titel „Erster Vizevorsitzender der Nationalen Verteidigungskommission der Demokratischen Volksrepublik Korea, DVRK" trug, dem Gastgeber einen Brief von Kim mit einer Einladung zum Besuch in Pjöngjang. Dann erklärte er Clinton: „Wenn Sie nach Pjöngjang kommen, wird Ihnen Kim Jong-Il garantieren, alle Ihre Sicherheitsbedürfnisse zu befriedigen."[ 3]

Außerdem verpflichteten sich Washington und Pjöngjang im Rahmen eines Gemeinsamen Kommuniqués anlässlich der Jo-Visite zu einer künftigen Politik, „die neue Wege jenseits von Feindschaft" einschlägt und beidseitig Gespräche initiiert, um „formell den Koreakrieg zu beenden, indem das Waffenstillstandsabkommen von 1953 durch einen dauerhaften Friedensvertrag ersetzt wird." Als Clinton Pjöngjang schließlich im Jahre 2009 als Sonderbeauftragter von US-Präsident Barack Obama besuchte, um die Freilassung von zwei amerikanischen Journalisten in der Volksrepublik zu erwirken, unterstrich Kim Jong-Il den Aspekt, dass die Dinge sich seit dem Jahre 2000 positiv hätten entwickeln können, wäre der damalige demokratische Präsidentschaftskandidat Al Gore anstelle des republikanischen Herausforderers George W. Bush ins Weiße Haus eingezogen. Eine Notiz über das Treffen zwischen Clinton und Kim, die sich in den von WikiLeaks im Oktober 2016 veröffentlichten Emails befand, zitierte Kim Jong-Il mit den Worten: „[F]alls die Demokraten im Jahr 2000 gewonnen hätten, hätte die Situation in den bilateralen Beziehungen nicht eine solche Zuspitzung erfahren. Vielmehr wären alle Vereinbarungen erfüllt worden, die DVRK hätte Leichtwasserreaktoren erhalten und die Vereinigten Staaten hätten einen neuen Freund in Nordostasien in einer komplexen Welt gehabt."[ 4]

Backlash unter Bush - Einpeitscher Bolton

Perry und seine Kollegen sind bis heute davon überzeugt, dass ein solches Szenario um die Jahreswende 2000/2001 tatsächlich reale Erfolgschancen gehabt hätte.[ 5] Selbst die Europäische Union unterstützte von Beginn an die „Sonnenscheinpolitik" Kim Dae-Jungs und engagierte sich auch im Rahmen des „Agreed Framework", zu dessen Umsetzung eigens die Korean Peninsula Energy Development Organisation (KEDO) aus der Taufe gehoben wurde. 1997 trat die Europäische Union KEDOs Executive Board bei und leistete zwischen 1996 und 2000 jährlich 15 Milionen ECU an nichtrückzahlbaren Zuschüssen. Die ebenfalls 1997 durch ein Assoziierungsabkommen Mitglied der KEDO gewordene EURATOM stellte dem Konsortium bis 2001 zusätzlich umgerechnet 75 Millionen Euro an Beitragsgeldern zur Verfügung. Über diese Beteiligung an KEDO hinaus lieferte die EU Nahrungsmittel und humanitäre Hilfe nach Nordkorea, deren Umfang allein im Zeitraum von 1995 bis 2002 umgerechnet rund 180 Millionen Euro betrug.

Während zu Beginn des Jahres 2001 alle Zeichen auf Entspannung in Korea standen, geriet die Situation nach dem Amtsantritt von George W. Bush ins Wanken. Selten dürfte im Weißen Haus ein Gast, dazu noch ein gerade mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnetes Staatsoberhaupt, dermaßen brüskiert worden sein, wie dies Anfang März 2001 dem südkoreanischen Präsidenten Kim Dae-Jung widerfuhr. Präsident Bush nannte bei diesen Gesprächen Nordkorea unvermittelt und unverblümt einen „Bedrohungsfaktor in Ostasien", mit dem Gespräche ausgesetzt und erst nach einer kompletten Neubestimmung der US-Asienpolitik wieder aufgenommen würden. Als er auch noch den innerkoreanischen Dialog in Zweifel zog, diesen sogar als „naiv" abstempelte, standen Kim Dae-Jung samt Entourage wie begossene Pudel da. Einen Tag zuvor, am 6. März 2001, hatte Außenminister Colin Powell den noch zuversichtlich gestimmten Gästen aus Seoul versichert, er werde „die vielversprechenden Elemente der Nordkorea-Politik seiner Vorgängerin weiter entwickeln."

Einer, der sich mit Verve dafür eingesetzt und öffentlich damit gebrüstet hatte, die Annäherung zwischen Washington und Pjöngjang um den Jahreswechsel 2000/2001 zunichte gemacht zu haben, ist John R. Bolton. Der seit dem 9. April 2018 als Donald Trumps neubestallter Nationaler Sicherheitsberater der USA fungierende Bolton ist das, was man mit Verlaub einen „Superfalken" nennen könnte. Für ihn ist und bleibt Amerika die Supermacht Nummer Eins[ 6], die im UN-Sicherheitsrat den tatsächlichen Machtverhältnissen in der Welt entsprechend als einziges ständiges Mitglied vertreten sein sollte. Als strammer Unterstützer des politisch erzkonservativen Establishments in Israel meinte Bolton als Gastredner auf dem Parteitag der britischen Conservative Party in Blackpool im Oktober 2007 mit Blick auf den Iran: „Die USA hatten einst die Fähigkeit, in verdeckter Weise einen Sturz von Regierungen einzufädeln. Ich wünschte, wir könnten dies wieder haben."[ 7] Bezüglich des Whistleblowers Edward Snowden ließ sich Bolton zu der Bemerkung hinreißen, dieser hätte es verdient, „an einer hohen Eiche aufgehängt zu werden."[ 8]

Diese krude Weltsicht und Geistesverwandtschaft teilt übrigens CIA-Direktor Michael R. Pompeo, der zeitgleich mit Boltons Amtsantritt als Nationaler Sicherheitsberater US-Außenminister Rex Tillerson ablösen sollte. Pompeo ist überdies gegen die Schließung des Gefangenenlagers in Guantánamo Bay[ 9] und für eine kompromisslos harte Linie vis-à-vis Nordkorea: „Es wäre großartig, die Halbinsel atomwaffenfrei zu machen und die ganzen Waffen von dort wegzubekommen, aber die Sache ist die, dass das Gefährlichste dabei der Charakter jenes Mannes (gemeint ist Kim Jong-Un - RW) ist, der sie derzeit kontrolliert."[ 10] Da Pompeo aber selbst in den Reihen seiner eigenen Republikanischen Partei wegen dieser Positionen höchst umstritten ist und sich seine offizielle Ernennung zum Tillerson-Nachfolger durch den Auswärtigen Ausschuss des US-Senats hinauszögert, dürfte die von Präsident Trump abgesegnete Geheimmission seines verschlagenen CIA-Mannes in Pjöngjang über die Ostertage einem wohlkalkulierten politischen Kalkül entsprochen haben.[ 11]

Bolton war bereits am 11. Mai 2001 als Staatssekretär für Rüstungskontrolle und Internationale Sicherheit vereidigt worden. In dieser Funktion war er 2003 US-Delegationsmitglied bei den von der politischen Führung in Beijing gesponserten „Sechsparteiengesprächen" zur Entschärfung des Atomkonflikts mit Nordkorea. (An dieser von 2003 bis 2009 währenden Gesprächsrunde nahmen neben Gastgeber China die USA, Japan, Russland und die beiden Korea teil.) Aus dieser Delegation, die seinerzeit vom US-amerikanischen Verhandlungsführer James A. Kelly, von 2001 bis 2005 verantwortlich im US-Außenministerium für ostasiatische und pazifische Angelegenheiten, geleitet wurde, wurde Bolton entlassen, nachdem er Kim Jong-Il öffentlich den „tyrannischen Diktator" eines Landes, in dem für viele „das Leben ein höllischer Albtraum" sei, genannt hatte. Unverzüglich ließ das nordkoreanische Außenministerium über die amtliche Nachrichtenagentur KCNA vermelden, Bolton sei ein „menschlicher Abschaum (scum) und Blutsauger, der für die Teilnahme an diesen Gesprächen ungeeignet ist." Bolton hätte es am liebsten gesehen, wäre Washington gegen Nordkorea militärisch vorgegangen, eine Position, die er bis heute verficht.

Vor allem die in Washington vor und nach der Irak-Invasion (2003) wiederholte Forderung eines notwendigen „Regimewechsels" im Falle unilateral ausgemachter „Schurkenstaaten" ließ die Alarmglocken in Pjöngjang schrillen. Unverzüglich brachen alte (Kriegs-)Wunden wieder auf. Die nordkoreanische Führung brandmarkte im Staatsrundfunk und in der „Rodong Shinmun", dem Zentralorgan der PdAK, die USA als eine „Nation von Kannibalen" und warnte Washington vor provokativen Aktionen. Nachdem Präsident Bush im Januar 2002 nebst Iran und Irak auch Nordkorea als Teil einer „Achse des Bösen" postuliert hatte, ersetzte er im September 2002 die traditionelle Politik der Eindämmung durch eine neue Strategie präventiver Militärschläge. Am liebsten würde er das Regime in Pjöngjang stürzen, ließ Bush verlautbaren. Die Regierung Nordkoreas reagierte prompt, verwies die Inspektoren der Internationalen Atomenergie-Behörde des Landes, belud den Atomreaktor in Yongbyon mit neuen Brennstäben und erklärte den Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag.

Trotz Meinungsunterschiede bleibt der Gesprächskorridor offen

Unter diesen Umständen geriet die Nordkorea-Politik in der Anfangsphase der Amtszeit von Südkoreas Präsident Roh Moo-Hyun (2003-2008), der Kim Dae-Jung nachfolgte, in arge Schwierigkeiten. Sie trug den Namen „Politik für Frieden und Prosperität" und wurde von Roh explizit als Fortsetzung der „Sonnenscheinpolitik" verstanden. Während Kim Dae-Jung von der Clinton-Regierung keine nennenswerten Widerstände gedroht hatten, setzten die Feldzüge gegen die „Achse des Bösen" die Roh-Regierung dermaßen unter Druck, dass das zweite, ebenfalls in Pjöngjang abgehaltene innerkoreanische Gipfeltreffen erst kurz vor dem Ende seiner Amtszeit - am 4. Oktober 2007 - zustande kam, weniger Aufmerksamkeit erheischte und der bilateralen Kooperation keine neue Dynamik zu verleihen vermochte.

Vor allem gelang es nicht, die erheblichen Meinungsunterschiede in Pjöngjang und Seoul über die „Nördliche Grenzlinie" („Northern Limit Line", NLL) im Gelben Meer zu überwinden. Die NLL wird von Nordkorea nicht anerkannt, während Südkorea sie als de facto-Grenzlinie im Gelben Meer zwischen beiden Ländern betrachtet. Im Sommer 1953 war bei den zähen Verhandlungen zum Waffenstillstandsabkommen zwischen den UN-Truppen unter US-amerikanischem Kommando und der nordkoreanischen Volksarmee zunächst nur die Demarkationslinie auf dem Lande festgelegt worden. Die Festlegung der Seegrenzen im Gelben Meer wurde hingegen vertagt. Aus diesem Grunde ist die im Jahre 1970 von Südkorea einseitig proklamierte NLL durch Nordkorea nie als verbindliche Grenze zwischen beiden Staaten akzeptiert worden.

Gegen Ende der von Südkorea ein Jahrzehnt lang verfolgten „Sonnenscheinpolitik" (1998-2008) war man letztlich wieder dort angelangt, wo man bereits vierzehn Jahre zuvor im Rahmen des Agreed Framework gestanden hatte. Mit dem allerdings gewichtigen Unterschied, dass zwischenzeitlich die Gewaltspirale nach oben geschraubt worden war und Pjöngjang im Sinne einer nuklearen Lebensversicherung zielstrebig darauf hinarbeitete, als neunte Atommacht den USA potenziell Paroli bieten zu können. Kim Jong-Uns Avancen seit seiner diesjährigen vielbeachteten Neujahrsansprache gegenüber dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-In, der sich seinerseits offen für eine Wiederbelebung der „Sonnenscheinpolitik" ausspricht, haben Pjöngjangs Außenpolitik und Diplomatie zweifellos gestärkt.

Was ist von den beiden bevorstehenden Gipfeltreffen zu erwarten?

Und sämtlichen bis dato gegen Nordkorea verhängten internationalen Sanktionen zum Trotz vermochte auch die VR China ihr politisches Gewicht in die Waagschale zu werfen und selbstbewusst ihre Position in dem Konflikt zu stärken. Tatsächlich ist und bleibt die Volksrepublik China Nordkoreas engster politischer und wirtschaftlicher Verbündeter. Eine Grundlage dafür ist die Waffenbrüderschaft, die während des dreijährigen Koreakriegs bestand, in dem auch ein Sohn Mao Zedongs sein Leben verlor. Ein anderer Grund ist der Freundschafts- und Beistandspakt zwischen beiden Staaten vom 11. Juli 1961. Außerdem hat Nordkorea zumindest in der Vergangenheit vom großen Nachbar Erdöl, Lebensmittel und andere Güter des täglichen Bedarfs bezogen, ohne die die Regierung in Pjöngjang schwerlich hätte überleben können. Deren Destabilisierung hätte auch für China unabsehbare Konsequenzen, die Beijing tunlichst vermeiden will. So verwundert es nicht, dass Kims erste Auslandsreise ihn Ende März per Sonderzug nach Beijing führte, wo ein selbstbewusster und international gestärkter Präsident Xi Jinping ihn ehrenvoll empfing. Xi hatte es nicht nötig, US-Präsident Donald Trump im Vorfeld dieser Visite zu informieren.

Mit Blick auf den innerkoreanischen Gipfel, der am 27. April im Grenzort Panmunjom avisiert ist, besteht nach mehreren gegenseitigen Besuchen im Vorfeld, während und nach den Olympischen Winterspielen im südkoreanischen Pyeongchang die reale Chance, einer vierten Annäherung ungeahnte Dynamik zu verleihen. Die größte Unbekannte dabei bleibt, welche Position diesmal die selbsterklärte „Schutzmacht" Südkoreas, die USA, einnimmt. Mit Bolton und Pompeo hat sich Trump ein „Falken-Duo" auf die Arme gesetzt, sodass, bliebe es bei seiner unnachgiebigen, bellikosen und „irren" (McGovern) Haltung vis-à-vis dem Regime in Pjöngjang, möglicherweise sogar im letzten Moment das für Mai/Anfang Juni anberaumte Gipfeltreffen zwischen Präsident Trump und Nordkoreas Staatschef Kim verschoben oder torpediert wird.

Zumindest bis vor Kurzem galt im politischen Washington als ausgemacht, eine nukleare Abrüstung ( denuclearization) seitens Nordkoreas sei undenkbar, weil Kim eine solche Idee strikt ablehne. Entsprechend hätten, konstatierte kürzlich der Historiker und Publizist Gareth Porter in einem lesenswerten Aufsatz, „die politischen Eliten und führenden Sicherheitsstrategen in den USA lange Zeit die Vorstellung akzeptiert, Washington habe nur zwei Optionen: entweder ein atomar bewaffnetes Korea zu akzeptieren oder ‚maximalen Druck' auszuüben - und dabei einen Krieg zu riskieren. Doch wie Südkoreaner jetzt feststellen konnten, ist diese Auffassung grundfalsch. Kim Jong-Un fühlt sich immer noch der ursprünglichen Vision eines atomaren Abrüstungsabkommens mit den Amerikanern verpflichtet, die sein Vater vor dessen Tod im Jahr 2011 zu verwirklichen versucht hatte. Die richtige Frage lautet: Sind die Trump-Regierung und das politische System in den USA bereit und in der Lage, diese Möglichkeit zu nutzen?"[ 12]

Der vollständige Bericht, den Chung Eui-Yong, Südkoreas Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrates und Nordkorea-Sondermissär von Präsident Moon Jae-In, Anfang März über sein Treffen mit Kim Jong-Un gab (veröffentlicht von Südkoreas Presseagentur Yonhap[ 13], nicht jedoch in westlichen Medien), macht klar, dass Kim Präsident Trump einen Plan über die vollständige atomare Abrüstung überreichen will, und zwar in Verbindung mit einer Normalisierung der Beziehungen zwischen den USA und Nordkorea. Laut Chungs Report über ein Essen, zu dem Kim Jong-Un eine zehnköpfige südkoreanische Delegation am 5. März in Pjöngjang eingeladen hatte, bekräftigte Nordkoreas Staatschef dabei sein „Bemühen um die nukleare Abrüstung der Koreanischen Halbinsel". Er würde „keinen Grund haben, Atomwaffen zu besitzen, falls die Sicherheit seiner Regierung garantiert und militärische Drohungen gegen Nordkorea zurückgenommen würden".[ 14]

Dr. Rainer Werning, Politikwissenschaftler & Publizist mit den Schwerpunkten Ost- und Südostasien, ist u.a. Koautor des jüngst in der Edition Berolina erschienenen Buches Brennpunkt Nordkorea. Bild: openclipart.com, CC0 1.0 Universal

Chung berichtete weiter, Kim habe seine Bereitschaft zum Ausdruck gebracht, „Wege zur atomaren Abrüstung der Halbinsel und zur Normalisierung beidseitiger (USA-DVRK) Beziehungen" zu diskutieren. Schließlich hob Chung in seinem Report als zentralen Punkt hervor, man müsse „besondere Aufmerksamkeit auf die Tatsache richten, dass (Kim Jong-Un) klarstellte, die nukleare Abrüstung der Koreanischen Halbinsel sei eine Anweisung seines Vorgängers und es habe keinerlei Änderung einer solchen Anweisung gegeben."

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