Ragnar Weilandt

researcher & journalist, Brussels

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Artikel

Arbeiten in Brüssel: Willkommen in der Eurobubble

Sie sprechen fünf Sprachen, haben mehrere Uni-Abschlüsse und können netzwerken wie die Großen. Aber sobald sie ihre Visitenkarten zücken, laufen viele davon. Praktikanten stehen in Brüssel ganz unten in der Hackordnung. In einer Web-Satire lachen sie über sich selbst.

Ein regnerischer Montagmittag in Brüssel. Alice Pappas, 23, kommt gerade aus einer Konferenz über arktische Schifffahrtsrouten und den asiatisch-europäischen Handel. Im Fahrstuhl schlägt ihr eine Lobbyistin vor, sich mal zum Mittagessen zu treffen. "Gern", sagt Pappas und holt ihre Visitenkarte heraus. Darauf steht "Europäischer Auswärtiger Dienst. Abteilung Globale und multilaterale Angelegenheiten". Und darunter: Stagiaire (französisch für Praktikantin).

Der Lobbyistin sieht man ihre Enttäuschung an. Mit einer Praktikantin will sie eigentlich nicht zu Mittag essen.

Alice Pappas spricht fünf Sprachen, sie hat zwei Abschlüsse von zwei Top-Universitäten, der London School of Economics und der Science Po Paris. Sie war Praktikantin im spanischen Außenministerium und der französischen Botschaft in Portugal. Aber das zählt jetzt nicht. Praktikanten stehen im Kastensystem Brüssels auf der untersten Stufe. Dabei hat es Alice Pappas vergleichsweise gut getroffen: Sie kann von ihrem Praktikantengehalt leben. Rund 1000 Euro bekommt sie pro Monat. Bei den vielen NGOs und PR-Firmen im Umfeld der EU-Institutionen schuften manche Hochschulabsolventen auch schon mal ohne Geld.

Gemeinsam mit den alteingesessenen "Eurokraten" bilden Praktikanten und Berufsanfänger eine Art Parallelgesellschaft in der belgischen Hauptstadt. Man kennt sich, geht in die gleichen Bars und Restaurants, trifft sich beruflich und privat bei Konferenzen oder zum Dinner. Man spricht ein von Abkürzungen und Neologismen durchsetztes Englisch, das Außenstehende verwirrt und Linguisten zu Euro-Skeptikern werden lässt. Und man hat einen Freundeskreis, in dem fast alle Nationen vertreten sind - nur praktisch keine Belgier.

Olivenöl oder Margarine? Hauptsache Lobbyist für irgendwas

"Wer in einem fremden Land arbeitet, lebt häufig in einer Expat Bubble, aber zur Eurobubble gibt es keine Parallele", sagt Yacine Kouhen, 30, Coach und Rhetoriktrainer in Brüssel. "Die Mitglieder der Eurobubble sind eine besondere Elite. Sie sprechen mehrere Sprachen, haben an den besten Unis Europas studiert, arbeiten in ähnlichen Jobs. Andererseits kommen sie aus den unterschiedlichsten Ländern und haben die unterschiedlichsten kulturellen Hintergründe - soziologisch sehr interessant."

Seine Erlebnisse schrieb Kouhen zunächst in einem Blog auf, dann kam ihm die Idee, eine Serie über das politische Brüssel zu drehen. Er schrieb ein Drehbuch und startete eine Crowdfunding-Kampagne. Die Resonanz war riesig.

Mehr als 70 Freiwillige meldeten sich, darunter auch Alice Pappas. In der Internetserie "Eurobubble" spielt sie eine Praktikantin. 7000 Euro kostete die Produktion, gedreht wurde hauptsächlich an Wochenenden. Alle Darsteller sind selbst Eurobubbler, sie spielen sich praktisch selbst. Und widerlegen mit viel Selbstironie das Klischee des langweiligen, unkreativen und humorlosen "Eurokraten".

Dem Zuschauer werden die verschiedenen Klassen der Eurobubble vorgestellt, vom Praktikanten bis zum Mitglied des Europäischen Parlaments. Der namenlose Protagonist steht im unteren Mittelfeld dieser Hackordnung. In der ersten Folge kommt er nach Brüssel, um Arbeit zu finden. Er bewirbt sich für diverse Jobs mit austauschbaren Berufsbezeichnungen (Projektleiter, Programmmanager oder Policy-Koordinator), bei Unternehmen mit austauschbaren Namen (ECCF, EEB oder F&P). Nachdem er den Chef der EOOA (European Olive Oil Association) von seiner vermeintlichen Leidenschaft für Olivenöl überzeugen konnte, bekommt er einen Job als Policy Officer und wird Teil der Eurobubble.

11.000 Bewerber für 650 Praktikumsplätze

Die Serie begleitet ihn und Kollegen in ihrem beruflichen und privaten Alltag. Man sieht sie die "Olive-Oil-2020-Strategy" entwickeln und höflich über die mäßig witzigen Sprüche ihres Chefs lachen. Man sieht, wie er bei einer Konferenz das "Q&A-Syndrom" bekommt - steigender Puls, Erröten und Schweißausbruch - wegen einer Frage, die er noch gar nicht gestellt hat. Am Ende wird er sie auch nicht stellen, weil ihm ein Vertreter der feindlichen Margarine Federation zuvorkommt. Und vor allem beobachtet man die Eurobubbler bei ihrer Lieblingsbeschäftigung: Networking.

Jobs in der Eurobubble sind rar und werden schnell besetzt. Allein auf die 650 Praktikantenplätze bei der Europäischen Kommission kommen mehr als 11.000 Bewerber. Sie müssen sich in einem dreistufigen Auswahltest beweisen. Eine Festanstellung ohne persönliche Kontakte zu ergattern, ist schwer.

Julian Freitag, 26, hat es geschafft. Er arbeitet für Michael Theurer, der für die FDP im Europäischen Parlament sitzt - und ist selbst nicht Mitglied der Partei. Auf die Stelle gab es 60 Bewerbungen, nach einem 45-minütigen Telefoninterview wurde Freitag nach Brüssel eingeladen. Auf Englisch und Französisch musste er Fragen zum europäischen Gesetzgebungsverfahren und zur Euro-Krise beantworten und die Arbeit des Haushaltsausschusses, dem Theurer vorsteht, erklären.

Auch Julian Freitag hat in London und Paris studiert. Genau wie Alice Pappas findet er beide Städte eigentlich attraktiver als Brüssel. Er hat hier Freunde aus allen Ländern Europas gefunden, aber Belgier - nein, Belgier kennt er kaum.

Im Trailer zur Eurobubble-Serie sagt der Hauptdarsteller: "Als ich nach Brüssel kam, sagte man mir, dass Eurokraten nicht wirklich in Belgien leben. Die Wahrheit ist: Sie leben nicht einmal in Brüssel."

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