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Die schönsten Künstlerhäuser der französischen Küste

Unvergessen ist das Bild der vergnügten Françoise Gilot, die am mediterranen Strand entlang schlendert, während Picasso, in diesem Moment ein verliebter Mann wie jeder andere, ihr den Schirm hinterherträgt. Die langen Strände mit kristallklarem Wasser, die steilen Felsen und Pinienwälder, das warme Licht der mediterranen Sonne, die pittoresken Dörfer voller historischer Zeugnisse vom Römischen Reich bis in die Gegenwart - all das hat immer schon Künstler angezogen und die französische Mittelmeerküste nicht erst zu einem Epizentrum der Kunst gemacht, als der Star-Architekt Frank Gehry mit dem Luma Arles in diesem Sommer eines der grössten Kulturzentren der Welt eröffnete.


Hier haben die grössten Ikonen der Moderne und ihre Mäzenen bereits überall ihre Spuren hinterlassen; von Menton bis Marseille säumen sich ikonische Bauten, Stiftungen und Museen, vom Hôtel du Cap-Eden-Roc bis zur Villa Kérylos, von der Fondation Maeght, dem Musée National Marc Chagall und Musée Matisse bis hin zur Villa Noailles und der Restaurant-Herberge Colombe d'Or, deren Sammlung so manches Museum vor Neid erblassen liesse. Kaum eine andere ländliche Region der Welt hat eine solche Dichte an kulturellen Schätzen.


Wer die französische Küste bereist, sollte aber auch die kleineren Orte im Auge behalten: die Ateliers und Häuser, in denen Künstler gelebt und gearbeitet haben, denn erst in diesen intimsten Refugien lebt auch das künstlerische Schaffen über das Werk hinaus auf. Mehr als jedes konventionelle Museum erzählen diese Häuser Geschichten aus dem Leben.


Eileen Gray: E-1027

Sie sollte das strahlende Zeugnis einer grossen Liebe sein, die weisse Villa, die zwischen Pinien auf den Felsen von Roquebrune-Cap-Martin thront und hinab auf die Bucht von Monaco blickt. Als Eileen Gray sie 1929 vollendete, war sie 51, grosse Architektin und Möbeldesignerin; ihr Liebhaber, der rumänische Architekt und Kritiker Jean Badovici, war 15 Jahre jünger.


E-1027 war die Chiffre ihrer Beziehung, ihre Initialen, die seine umarmten. Aber das Paar verbrachte kaum Zeit in diesen Räumen, sie verliess ihn drei Jahre später. Die Liebesgeschichte wurde danach zur Tragödie. Le Corbusier, ein Freund Badovicis, verbrachte Ende der Dreissiger seine Ferien hier und bemalte die Wände mit abstrakten Akten, die Gray als Vandalismus par excellence sah.


Später dienten die Wände als Schiessstand für Nazi-Soldaten. Le Corbusier, der immer ein Auge auf das Haus geworfen hatte, es aber nie erwerben konnte, ertrank in den Sechzigern in der Nähe, in den Neunzigern gab es hier Orgien, einen Mord, das Haus verfiel. Dank einer Stiftung wurde E-1027 liebevoll restauriert und ist seit einigen Jahren wieder für die Öffentlichkeit zugänglich. Schliesslich wurden hier nicht nur Tragödien erzählt, sondern eine der grössten Geschichten der modernen Architektur.


Eileen Grey E-1027, Roquebrune-Cap-Martin; capmoderne.com/fr/


Jean Cocteau: Villa Santo Sospir

Die wichtigste Muse Jean Cocteaus war vielleicht ein schöner Haufen Steine. So klingt es doch, wenn der Künstler über die Villa Santo Sospir spricht, wenn er erzählt, dass er die Wände bekleiden musste, die Haut tätowieren, denn was sich hier zeigt, so Cocteau, sind keine Wandbilder, sondern Tattoos.


Die Villa in Cap Ferrat mag vielleicht weniger bekannt sein als seine sakralen Werke für die Chapelle Saint-Pierre in Villefranche-sur-Mer oder die Chapelle Notre-Dame de Jérusalem in Frejus. Aber sie ist umso erstaunlicher. Über zehn Jahre bis zu seinem Tod 1963 verbrachte er seine Sommer in der Villa seiner Mäzenin Francine Weisweiller, ihres Zeichens wiederum Muse Yves Saint Laurents.


Santo Sospir, benannt nach dem mittelalterlichen Namen der Halbinsel, war ein Liebesversprechen, das Weisweillers Mann ihr gab, als sich das jüdische Paar während des Zweiten Weltkriegs vor den Nazis im Wald versteckten. Die Liebe starb, das Haus blieb, und die später geschiedene Weisweiller lud ihre Freunde ein, auch Jean Cocteau. Der realisierte hier ohne Vorgaben zahlreiche Filme und über 200 Arbeiten, die von seiner Faszination für Motive der griechischen Mythologie zeugen.


Bereits im Garten umsäumen Papyrus-Sträucher schwarz-weisse Mosaike, aber die wirkliche Pracht von Cocteaus mythologischem Gewand zeigt sich erst in den pastellenen, beinahe psychedelisch anmutenden Werken im Inneren, wenn Apoll über dem Salon erstrahlt oder ein Faun im Schlafzimmer über dem Bett spielt. Fast wären sie verblasst wie auf alternder Haut, hätte nicht der russische Unternehmer Ilia Melia sie gekauft, restauriert und wieder zugänglich gemacht.


Villa Santo Sospir, Saint-Jean-Cap-Ferrat; santosospir.com


Pierre-Auguste Renoir, Cagnes-sur-Mer

Wer mit Renoirs Arbeiten vertraut ist, dem mag der Blick auf das Gut in Cagnes-sur-Mer vertraut sein, das der Maler dereinst auf einer Durchreise nach Italien entdeckte. Die irdenen Töne des rustikalen Hauses, der satte grüne Garten mit den Orangen- und Olivenbäumen und das goldene Licht nahe Cap d'Antibes findet man in vielen seiner Bilder.


In diesem Haus hat Renoir seinen Lebensabend verbracht, befreundete Künstler, unter anderem Monet, Picasso und Matisse, empfangen und seine letzten Werke vollendet. Es war für ihn und seine Familie wohl die Zuflucht, die Giverny für seinen Zeitgenossen Claude Monet war, und so prägend, dass diese Zeit die "Cagnoise"-Ära genannt wurde.


Nach seinem Tod 1919 lebte sein Sohn Claude noch bis in die Sechziger in der Villa, die danach von Cagnes-sur-Mer erworben und zu einem Museum umgewandelt wurde. Das Landhaus gewährt einen Blick in die letzten Jahre Renoirs und zeigt, neben Malereien und Skulpturen, wie er seine letzten Jahre an der Südküste verbracht hat; die Räume ebenso wie der Garten sind auch nach über hundert Jahren weitgehend unberührt, im Atelier stehen noch die alten Staffeleien, hier und da ein kleines Detail, ein Buch, eine Vase, Überbleibsel seines Lebens.


Musée Renoir, Cagnes-sur-Mer; cagnes-sur-mer.fr


Pablo Picasso: Musée Picasso, Antibes

Kaum ein Künstler hat die Côte d'Azur so geprägt als Picasso, und kaum ein Ort hat ihn mehr geprägt als die französische Mittelmeerküste. Die unbeschwerten Schwarz-Weiss-Fotos mit seiner Familie sind überwiegend hier entstanden, hier hat er über die Jahrzehnte weit mehr Zeit verbracht als in Paris, hier hatte er seine produktivsten Phasen. So viele Orte hat er markiert, dass Kunstliebhabern die Route Picasso durchaus bekannt sein wird - nicht nur anhand seiner Bildern, sondern auch in den Dingen, die er hinterlassen hat.


Das Château Vauvenargues, wo er begraben ist, wird bis heute von seinen Nachkommen bewohnt; Villen wie La Californie in Cannes, Notre-Dame-de-Vie in Mougins und La Galloise in Vallauris, wo Picasso das Töpfern entdeckte, sind ebenfalls in Privatbesitz und nur selten für besondere Anlässe zugänglich. Werke Picassos gibt es in fast jeder mediterranen Stadt, Museen mit seinen Werken zahlreiche.


Einen kleinen Einblick in seine Schaffensprozesse aber bietet das Musée Picasso in Antibes, ein mittelalterliches Château, das ursprünglich im 12. Jahrhundert für die Grimaldi-Familie errichtet wurde. Picasso hat hier immerhin ein halbes Jahr gelebt und gearbeitet, ein Gewölbe bemalt, und es wurde das erste Picasso-Museum überhaupt. Seine Witwe vermachte dem Museum weitere Werke.


Musée Picasso, Antibes; de.france.fr


Paul Cézannes Bastide Jas de Bouffan

Paul Cézanne, der als Misanthrop galt, würde sich vielleicht im Grabe umdrehen, wüsste er, dass sein Refugium gerade für die Öffentlichkeit zurechtgemacht wird und man die Strasse zum Ort seiner Kindheit nach ihm benannt hat.


In der Bastide Jas de Bouffan, einem herrschaftlichen Anwesen ausserhalb der provenzalischen Hauptstadt mit grosszügigem Gärten, das sein Vater, der Bankier Louis-Auguste Cézanne, erworben hatte, hat der Künstler einen unbeschwerte Kindertage verbracht. Schon in jungen Jahren bemalte Cézanne die Wände, und über vierzig Jahre lang, in denen das Familienheim ein Refugium blieb, schuf er immer wieder Ölbilder und Aquarelle in und von der Umgebung.


Die Bastide Jas de Bouffan gehört zu den prägenden Motiven in Cézannes frühem Werk. Im Untergeschoss des Anwesens richtete er später sein Atelier ein und bezog nach dem Tod seines Vaters bis zu seinem eigenen Tod das Haus. Zwar werden die Innenräume gerade noch restauriert, um Cézannes Geist wiederzubeleben, aber auch die Gärten und die mittlerweile institutionalisierten Stationen in Cézannes Leben im Stadtzentrum von Aix-en-Provence sind einen Blick wert.


Cézannes Bastide Jas de Bouffan, Aix-en-Provence; cezanne-en-provence.com


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