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Ich kann Instagram einfach nicht mehr ertragen

Selfie mit Schmolllippe, Throwback zum letzten Traumurlaub oder das perfekte Pärchenbild im Park: Ich scrolle durch Timelines von -Accounts verschiedener Bloggerinnen. Mir fällt auf: Irgendwie sieht alles gleich perfekt und auf dieselben Arten gestellt aus. Süßer Blick über die Schulter, Flatlays von teuren Kosmetika oder mit Blumenkranz im Haar. Es ist derselbe Einheitsbrei aus Perfektion, den Instagramer ihren Followern präsentieren. Der Unterschied zwischen ihnen besteht oft nur in dem Filter, den sie über ihre Selbstporträts, Produktplatzierungen und Co. legen. Die eine setzt auf gedeckten Retrolook, die andere auf grelle Farben und Hochglanzoptik.

Rückblende zu meinem 15-jährigen Ich: Nachmittags in meinem kleinen Kinderzimmer hänge ich lieber auf rum statt meine Mathe-Hausaufgaben zu machen. Immer wieder tippe ich neue Namen von Promis und Youtubern in die Suchzeile ein. Ich schaue mir ihre Fotos an, bewundere und beneide die perfekten Posts oder das, was zur Perfektion bearbeitet wurde. Instagram kenne ich noch nicht. Ich träume davon, so zu sein wie die mit den vielen Likes und den makellosen Leben, finde mich aber doch immer in der vergleichsweise tristen Realität meines Kinderzimmers wieder. Dann ärgere ich mich darüber, wie viel Zeit ich unnötig im Netz verschwendet habe und bin wütend auf mich selbst.

Instagram ist längst zu einem Berufsmodell geworden

Mittlerweile bin ich kaum mehr auf Facebook unterwegs, nutze meinen Account nur noch, um Nachrichten zu lesen und in Gruppen vernetzt zu bleiben. Instagram hat Facebook gefühlt auf der Beliebtheitsskala abgelöst. Aber da mache ich nicht mehr mit. Ich will mich vor der Versuchung schützen, scheinbar perfekten Menschen in ihren vermeintlich perfekten Leben zu folgen. Dabei ist Instagram längst zu einem Berufsmodell geworden. Sogenannte Influencer machen die Herzchen auf ihren Bildern zu Geld, in dem sie mit Marken kooperieren und Produkte auf ihren Fotos platzieren. Diese Arten von Posts müssen zwar klar als Werbung gekennzeichnet werden, aber wie kann ich sicher sein, das Instagramer XY das beworbene Produkt wirklich gefällt, wenn er vom Hersteller bezahlt wird? Ich mache mir Sorgen, dass gerade junge Follower das Geschäftsmodell nicht kritisch genug betrachten.

Dabei unterstelle ich keiner Instagramerin und keinem Instagramer, dass sie oder er bei Produktplatzierungen nur an Geld interessiert ist. Natürlich kann auch ernsthafte Überzeugung dahinter stehen. Aber: Durch Influencing verdienen sich viele Top-Instagramer und Blogger mittlerweile ihren Lebensunterhalt und sind Vorbild gerade für ihre jüngeren Fans. Hier kommt das Instagram-Virus am besten an: Jugendliche lassen sich besonders leicht beeinflussen. Die beliebtesten Instagramer sind (neben den Fußballern der Nationalmannschaft) immer noch Fashionistas, die regelmäßig ihre teuren Outfits und ihr Luxusleben präsentieren. Überspitzt formuliert: Für mich ist es kein Beruf, sich als Blogger oder Instagramer als lebendige Litfaßsäule für Marken zur Verfügung zu stellen und das auf Fotos zu feiern.

Die Otto-Gruppe bildet inzwischen sogar Mitarbeiter zu Influencern aus. Höchst bedenklich, finde ich. Aber ich will keinen reinen Bashing-Artikel gegen Instagram schreiben, davon gibt es genug, sondern versuchen, die Gegenseite zu verstehen. Ich vereinbare ein Gespräch mit einer Vollzeitbloggerin, die ihre Website auf Instagram vermarktet.

Der Druck, gute Fotos zu machen

Leonie, 38, schreibt über ihr Familienleben mit zwei Kindern auf minimenschlein.de. Bei Instagram schauen über 17.000 Menschen zu, wenn sie Geburtstagskuchen mit Zuckerguss, Kinderzimmer oder Bilder ihrer Töchter veröffentlicht. Dazwischen immer wieder auch bezahlte Posts. Trotzdem sei sie kein Werbeplakat, sagt sie. Denn sie wäge ganz genau ab, welche Kooperation sie eingehe und welche nicht. Für Leonie ist Instagram eine Inspirationsquelle. Sie stört der Drang nach Perfektion nicht, im Gegenteil: Es zeige die Mühe, die hinter den Fotos stecke. Für ein Instagram-Bild brauche es schließlich eine ganze Menge Vorbereitung. Auch Leonie räumt das Kinderzimmer auf, bevor sie ein Bild davon ins Internet stellt.

Ich finde das unauthentisch, Leonie will dadurch ihre Privatsphäre schützen. Ihr Anspruch sei nicht, mehr Realität auf Instagram zu zeigen, sondern zu inspirieren. Ich finde das schwierig, gerade für Menschen wie mich, die sich schnell mit anderen vergleichen oder Jugendliche, denen der differenzierte Blick oft fehlt. Leonie sei sich dieser Gefahr aber auch bewusst, sagt sie, ihrer 14-jährigen Tochter bringe sie den richtigen Umgang mit Medien bei. Sie stelle Regeln für den Konsum auf und probiere mit ihr gemeinsam die Fotobearbeitungsprogramme aus. Das finde ich super, nur besteht die Mehrheit der Eltern nun einmal nicht aus Bloggern, die sich mit den Tricks der Social-Media-Landschaft auskennen.

Meiner abwehrenden Haltung gegenüber den Berufsbezeichnungen "Instagramer" und "Blogger" stellt sich Leonie entgegen: Permanente Erreichbarkeit, der Druck, gute Fotos für Kooperationen zu machen, und sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren, das sei durchaus ein harter Job. Wichtig ist es ihr auch, zwischen den Gattungen zu unterscheiden: Nicht jeder Instagramer sei gleichzeitig Blogger und nicht jeder Blogger verdiene sich Geld auf Instagram dazu.

Mit gnadenloser Selbstinszenierung glänzen

Sarah aus Wien bezeichnet sich selbst ganz offen als Influencerin. Sie sagt: Jeder Mensch beeinflusse, ob bewusst auf Instagram oder unbewusst im Alltag. Trotzdem: Sie sei kein Fan von Perfektion, zeige sich selbst erfrischend authentisch. "Nullachtfünfzehn-Fotos, die perfekt scheinen, haben ihre Identität verloren." Sarah ist keine der typischen Instagram-Fashionistas: Auf ihrem Account sarahfruehling wirbt sie für androgyne Kleidung im Tomboy-Style und einen offenen Lebensstil. Sie sei kein Stereotyp, und deshalb als lesbische Fashionbloggerin Rollenmodell für junge Frauen aus der LGBTQ-Community. Eigentlich arbeitet Sarah als Grafikdesignerin und findet das auch gut so. Instagram zur Haupteinnahmequelle zu machen wäre ihr zu stressig. Kooperationen will sie ablehnen können, wenn ihr die Produkte nicht zusagen.

Den größten Erfolg auf Instagram haben aber nicht reflektierte Menschen wie Leonie oder Sarah, die mit ihrem Auftreten und Hashtags wie "genderisover" oder "girlswholikegirls" eine klare Botschaft senden. Es sind die Fashion-Sternchen, die mit gnadenloser Selbstinszenierung glänzen. Instagram mag dazu da sein, sich auf Fotos bestmöglich in Szene zu setzen, aber wenn dabei jegliche Authentizität verloren geht, verstehe ich weder den Sinn dahinter noch den Mehrwert für die Follower.

Beispiel: Eine populäre Fashionbloggerin postet auf ihrem Instagram-Account ein Bild vom weihnachtlichen Plätzchenbacken: Sie trägt dabei eine angesagte Latzhose mit Löchern, einen blütenweißen Pulli (zur Erinnerung: Sie will backen!) und ein paar extra aufgetupfte Teigspritzer im Gesicht. Sie sitzt auf der Anrichte in ihrer Küche zwischen fein drapiertem Backpapier, Eiern und Schüsseln, rührt Teig und streckt dabei dem Schneebesen die Zunge raus. Fast 24.500 Menschen gefällt dieses Bild. Ernsthaft jetzt?

Perfektion ist ehrlich gesagt auch ziemlich langeweilig

Auf einem anderen Bild relaxt sie gerade im Bett: Messydutt und rosa Top in weißer Bettwäsche neben Kaffeetasse, Donut und Topfpflanze in gleichen Farbtönen. Dinge, die man eben im Bett rumliegen hat. Ganz beiläufig steht auch noch die Verpackung eines Nivea-Produkts daneben, aus der dazugehörigen Tube gibt sich die Bloggerin lachend etwas Creme auf die Hand. Ihre Bilder wirken immer makellos und nach demselben Muster bearbeitet.

Nivea ist nur ein kleines Licht in der Reihe der Marken, die mit den Großen der Influencerszene kooperieren. Topdesigner platzieren ihre Handtaschen, Sonnenbrillen & Co. auf den Instagram-Fotos und Blogposts. Dabei wird sich der gewöhnliche Follower wahrscheinlich niemals Kleidungsstücke aus deren Preisklassen leisten können. Worin bitte besteht also der Reiz?

Mein Austausch mit der Instagram-Community war sicherlich bereichernd. Trotzdem erschließt sich mir der Sinn hinter der Selbstdarstellung im Internet einfach immer noch nicht. Ich bleibe dabei: Ich will keine Fotos von mir in möglichst vorteilhaften Situationen ins Internet stellen, damit sich Leute Gedanken darüber machen, was für ein vermeintlich tolles Leben ich habe. Ich möchte nicht nach Anerkennung in Form von Herzchen streben und mir ständig fein säuberlich bearbeitete, aber realitätsfremde Fotos ansehen und an mir selbst zweifeln. Denn: Perfekt kann schön sein, ist aber ehrlich gesagt auch ziemlich langweilig.

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