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MieterEcho 421 / Dezember 2021

Prominente Stadtplaner/innen, Architekt/innen und Politiker/innen wollen den Bau von bezahlbaren Wohnungen auf dem Molkenmarkt verhindern

Von Philipp Möller

„Es gibt kein Recht auf Wohnen in der Innenstadt", so brachte Klaus Wowereit (SPD) Anfang der 2010er Jahre die unter seiner Regierung durchgesetzte, neoliberale Stadtvision auf den Punkt. Dem Diktum des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters fühlen sich die Unterzeichner/innen der „Petition für einen vielfältigen Molkenmarkt!" offenbar nach wie vor verpflichtet. Sie fordern, die öffentlichen Grundstücke auf dem Molkenmarkt in einem Konzeptverfahren an private Bauherren sowie an Genossenschaften, Stiftungen und Baugruppen zu vergeben, um das Areal hochpreisig zu bebauen.

Die Initiatoren der Petition, Christian Müller und Benedikt Goebel vom Bürgerforum Berlin e.V., drängen seit Jahren auf eine historisierende Bebauung und eine immobilienwirtschaftliche Verwertung der Berliner Mitte. SPD-Mitglied Goebel schätzte in einem nicht veröffentlichten RBB-Interview, das er auf seiner Website verlinkt, den Wert der Grundstücke im historischen Stadtkern auf zwei bis fünf Milliarden Euro. Je nach Ausmaß der Flächen, die man zur Bebauung frei gäbe. Auf dem Molkenmarkt wollen er und seine Mitstreiter/innen nun einen Teil dieses Schatzes heben. Nach einer langjährigen Planungs- und Beteiligungsphase opponieren sie mit ihrer Petition gegen die Pläne der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, die zwei von drei Parzellen auf dem Areal durch die städtischen Wohnungsbaugesellschaften WBM und Degewo bebauen lassen will und dafür Ende August ein Wettbewerbsverfahren startete. Die Hälfte der kommunalen Wohnungen müsste nach Vorgaben des Senats unter Einsatz von Fördermitteln errichtet werden und wären damit über einen Zeitraum von 30 Jahren preis- und belegungsgebunden.

Exklusivität des Stadtkerns

Der vergleichsweise hohe Anteil von bezahlbaren Wohnungen bei einem Neubauprojekt im Herzen des historischen Zentrums ist eine Anomalie in der kapitalistischen Metropole. Deren Zentren sind ansonsten den Konzernzentralen, exklusiven Boutiquen und touristischen Attraktionen sowie dem hochpreisigen Wohnsegment für die Eliten aus Wirtschaft, Staat und Kultur vorbehalten. Diese Exklusivität des Stadtkerns sehen die Unterstützer/innen der Petition durch die Senatspläne als gefährdet an. Die sozialen Vorgaben für die städtischen Wohnungsbaugesellschaften erlaubten „nur sehr eingeschränkt architektonische Details, urbane Vielfalt und anspruchsvolle Fassadengestaltung. So billig und schlicht sollte man am Molkenmarkt, im zentralen Schaufenster Berlins, nicht bauen", heißt es in der Petition. Nur durch eine „Vielfalt der Eigentümerschaft" könne die „gewünschte Urbanität" entstehen, in der ärmere Teile der Bevölkerung nach Vorstellung der Verfasser/innen offenbar keinen Platz finden sollen.

Unterstützung bekommen die Initiatoren von prominenter Seite. Zu den Erstunterzeichner/innen gehören unter anderen der Architekturprofessor Harald Bodenschatz, der Stadtplaner Dieter Hoffmann-Axthelm, der sozialdemokratische Baustadtrat von Mitte Ephraim Gothe sowie die baupolitische Sprecherin der Berliner SPD-Fraktion Iris Spranger. Als Vorbild für eine historisierende Bebauung nannte Baustadtrat Gothe im Interview mit der RBB-Abendschau die Stadtzentren von Frankfurt, Leipzig oder Lübeck. Dabei illustriert die neue Frankfurter Altstadt, wo Mitte der 2010er Jahre 35 Häuser mit historischen Fassaden und zu Kaufpreisen von bis zu 7.000 Euro pro Quadratmeter entstanden, wohin die Reise gehen könnte, wenn man den Molkenmarkt der privaten Immobilienwirtschaft überlässt.

Ob die Petition tatsächlich Erfolg hat, wird sich in der neuen Legislatur entscheiden. Die Hoffnungen der Unterstützer/innen, die vielfach über ein SPD-Parteibuch verfügen, dürften dabei auf der Rückeroberung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen durch die Sozialdemokratie liegen. Schließlich gehört der Vorrang von Investoreninteressen gegenüber den Bedarfen einer sozialen Stadt spätestens seit der Amtszeit von Klaus Wowereit zum Markenkern der SPD.

MieterEcho 421 / Dezember 2021

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