WELT: Frau Dulkiewicz, Sie wurden mit 82 Prozent der abgegebenen Stimmen im Amt der Stadtpräsidentin von Danzig bestätigt. Als Stellvertreterin von Pawel Adamowicz hatten Sie es nach dessen Ermordung im Januar kommissarisch bekleidet. Wie sieht Wahlkampf vor dem Hintergrund einer solchen Tat aus?
Aleksandra Dulkiewicz: Das waren Wahlen, die niemand, wirklich niemand wollte. Aber nach dem Tod von Pawel Adamowicz musste eine Entscheidung getroffen werden, um unsere Politik zu legitimieren. Für mich ging es darum, das Erbe seiner Arbeit fortzuführen. Wissen Sie, der Wahlkampf war sehr kurz und auch deswegen intensiv, gerade die vergangene Woche.
Ich war die ganze Zeit unterwegs, um mit den Menschen in meiner Stadt ins Gespräch zu kommen. Den Mord an Pawel Adamowicz kann man nicht ausblenden, aber die Wähler haben auch Fragen zu unserem Programm, zu Schule, Renten, Wirtschaft und Nahverkehr gestellt. So banal das in dem Zusammenhang klingen mag.
WELT: Danzig verfiel im Januar in einen Zustand kollektiver Trauer. Wie ist die Stimmung in der Stadt heute?
Dulkiewicz: Ich glaube, das können Personen, die zu Besuch kommen, besser einschätzen als ich. Ich habe keinen Vergleich. Aber - und jetzt lassen Sie mich etwas emotional werden - ich bin davon überzeugt, dass wir Danziger füreinander bessere Menschen geworden sind. Jeder hat im Kopf, was Pawel Adamowicz auf der Bühne gesagt hat, kurz bevor er angegriffen wurde: nämlich, dass dies eine großartige Zeit sei, „um Gutes zu teilen".
Die Menschen in der Stadt fragen sich verstärkt, wie sie Verantwortung für ihr Umfeld übernehmen können, das spürt man auf der Straße, das ist schön. Ich sehe das auch an der Wahlbeteiligung, die bei 48 Prozent lag. Ich weiß, für deutsche oder französische Verhältnisse ist das nicht viel, aber im polnischen Vergleich ist das ein gutes Ergebnis.
WELT: Ihr Vorgänger, bekannt als Kritiker der nationalkonservativen Regierung, wurde regelmäßig im staatlichen Fernsehen angegriffen und verhöhnt. Für viele Politiker der Opposition hat die so erzeugte Stimmung den Mord erst ermöglicht. Sehen Sie das auch so? Und waren Sie einer ähnlichen Kampagne ausgesetzt?
Dulkiewicz: Ich habe das Glück, keinen Fernseher zu Hause zu haben. Aber ich habe den Hass einiger Menschen im Internet zu spüren bekommen. Auf rechten Portalen haben Pseudo-Journalisten Gerüchte über mich verbreitet, haben sich Dinge über meine Herkunft oder Vergangenheit ausgedacht. Selbst vor meiner Tochter haben sie dabei nicht Halt gemacht. Das hat dazu geführt, dass ich Drohungen erhalten habe. Schrecklich.
Das staatliche Fernsehen TVP oder andere regierungsnahe Journalisten aber haben sich zurückgehalten. Von ihnen wurde ich nicht angegriffen, so wie damals Pawel Adamowicz während seiner Wahlkampagne. Offen gesagt: Die hätten auch nichts davon gehabt. TVP stand nach den verunglimpfenden Beiträgen über Adamowicz stark in der Kritik, die PiS hatte jetzt nicht mal einen Gegenkandidaten aufgestellt.
WELT: Die polnische Gesellschaft gilt als gespalten, symbolisiert von den beiden großen politischen Lagern. Sie sind keine Anhängerin der PiS, allerdings auch kein Mitglied der größten Oppositionspartei PO. Glauben Sie, dass sich der Parteienkonflikt nach dem Tod von Pawel Adamowicz verschärft hat?
Dulkiewicz: Das weiß ich nicht. Aber die von Ihnen angesprochene Spaltung der Gesellschaft wird seit 2010 von der PiS vertieft, seit 2015, seitdem sie regiert, ganz besonders. Die Partei nutzt das Flugzeugunglück von Smolensk, bei dem damals Präsident Lech Kaczynski, der Zwillingsbruder von Parteichef Jaroslaw, und weitere Mitglieder der polnischen Elite ums Leben kamen, für ihre Zwecke aus.
Sie bezichtigt Oppositionelle der Mitschuld und verbreitet die Theorie eines Anschlags. Auf diese Weise hat die PiS es verhindert, dass die Menschen zusammen trauern konnten. Es kommt darauf an, welcher der Theorien man glauben schenkt: Anschlag oder Unglück. Hierin steckt einer der Gründe dafür, dass wir heute einander nicht über den Weg trauen.
Ich möchte das nicht vergleichen, aber nach dem Tod von Pawel Adamowicz haben wir es geschafft, zusammenzukommen und gemeinsam zu trauern. Die emotionale Stimmung in Danzig hätte auch missbraucht werden können, um Zwietracht zu säen. Das ist nicht passiert, und darauf bin ich stolz. Wir haben gezeigt, dass wir eine Gemeinschaft sind.
WELT: Danzig steht nicht nur für Gemeinschaft, sondern auch für Offenheit und Toleranz. In Zeiten, in denen die Regierungspartei in Warschau ihre europäischen Partner mit einer bisweilen harten Rhetorik in Sachen Flüchtlinge irritiert, tritt hier ein Gegensatz zutage.
Dulkiewicz: Das ist richtig. Wir haben den Anspruch, eine Modellstadt in Polen auch für die Integration von Flüchtlingen zu werden. Dafür hat sich schon Pawel Adamowicz eingesetzt. Ich habe damals schon an seinem Programm mitgewirkt und stehe weiter dafür.
Pawel hat sich dafür geschämt, dass Polen so gut wie keine Flüchtlinge aufnimmt. Pawel war Christ, er war sehr gläubig, sein Engagement rührte daher. Er hat über viele Jahre Danzig zu der Stadt gemacht, die sie heute ist. Dieses Erbe will ich fortsetzen.
Aber vergessen Sie nicht, dass meine Stadt nicht erst seit der Amtszeit von Pawel Adamowicz als tolerant galt. Als Hafenstadt hatte Danzig schon immer den Ruf, besonders offen zu sein und auch für Gerechtigkeit einzutreten. Nicht ohne Grund kommt die Gewerkschaft Solidarnosc hierher. Und auch heute zeigen wir wieder Solidarität miteinander. Ich kann Ihnen nur noch mal sagen, wie stolz mich das macht.
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