Seit Wochen schon gibt es keine Tickets mehr, allerdings: Eine ausverkaufte Konzerthalle sieht anders aus. Erst einige hundert Besucher haben sich vor der Bühne im Tempodrom, der Location mit der charakteristischen Dacharchitektur in der Nähe des Potsdamer Platzes, eingefunden, die Ränge füllen sich nur langsam. Brad Barr, Sänger der Band The Barr Brothers, dürfte etwas anderes erwartet haben.
„I didn't have time to learn German, so I keep on talking in English", sagt er entsprechend nölig und lustlos ins Mirko. Dann enteilt er mit seiner Gitarre und seiner sehr eigenen Stimme. Wer wollte es ihm verdenken, denn seine Darbietung war wirklich schön: breiig breiten sich die Wortfetzen über sein rasendes Country-Fingerpicking.
Die „beste amerikanische Rockband des Jahrzehnts"Eigentlich war das Trio aus Montreal, derzeit mit weiteren Musikern auf Tour, als Special Guest für The War on Drugs angekündigt. Immerhin machen Sarah Pagé, Brad und Andrew Barr in Europa gerade Werbung für ihr drittes Studioalbum „Queens of the Breakers". Leider kriegen sie vom Publikum nur einen Stempel als Vorband. Ignorant, wer in der Lobby noch ein Bier kippt, denn wann sieht der geneigte Konzertgänger schon mal eine ausgewachsene Harfe auf der Bühne?
Gegen The War on Drugs aber kommt derzeit kaum jemand an. Amanda Petrusich, Autorin des US-amerikanischen Magazins The New Yorker, adelte die Band aus Philadelphia um Songwriter und Frontmann Adam Granduciel zur „besten amerikanischen Rockband des Jahrzehnts". Gibt es ein höheres Lob?
„This place is sweet"Das aktuelle Album „A Deeper Understanding" erweitert tatsächlich Genregrenzen. Granduciel hat seinen eigenen eigentümlichen Stil geschaffen, eine Mischung aus Springsteen-Americana mit dem Vokalgekratze eines Bryan Adams, britischem Shoegaze und jeder Menge sphärischen Synthies: traurig, hoffnungsfroh; hoch geeignet für Hymnen auf die USA, die Provinz, das weite Land.
Ist all das mehr als moderne Kammermusik zum Einlullen und Wegdösen? Ja, aber. Ein langes Synthie-Intro kündigt die Band an, der Sound ist fett, die Lungen beben, der Saal ist voll. „This place is sweet", sagt Granduciel, enge, schwarze Jeans, Holzfällerhemd - natürlich. Der Maestro spricht nicht viel, zum Ende, vor der Zugabe, stellt er noch seine Band vor. Das war's.
Neue KammermusikDafür ist der Gesang bisweilen übersteuert. Alles ist Stimme bei The War on Drugs, ohne sie wäre die Band nur halb so besonders. Von Hall getragen drängt sie sich immerzu in der Vordergrund. Das Publikum würdigt dies mit sanftem Nicken. Der dritte Track, „Pain", die Hitsingle, der Zauber greift langsam von der Bühne auf die Leute, will aber nicht bleiben.
Granduciel steht umzäunt von Gitarreneffekten am Rand, die Scheinwerfer fahren hell nach oben, Jubel, die Smartphones leuchten, Blitzlicht. Aber die Euphorie, die die „beste amerikanische Rockband des Jahrzehnts" versprechen könnte, ist das nicht. Wenig Bewegung. Lediglich hier und da, etwa auf den Rängen unter den grün-weißen Leuchten der Notausgänge, wird getanzt. Rock'n'Roll im Jahr 2017 ist eben auch neue Kammermusik.