Im litauischen Vilnius bietet ein Startup eine App an, die Carsharing, Bus, Rad oder den Fußweg kombiniert und für Nutzer maßgeschneiderte Routen berechnet. Jetzt ist die Firma auf dem Sprung nach Deutschland.
Datenschutz scheint ein deutsches Thema zu sein und Bedenkenträgertum sein ständiger Begleiter. „Was passiert denn nun mit den Daten?", fragt Katrin Göring-Eckardt, während sie sich langsam nach vorne über einen Konferenztisch beugt.
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende ist auf einer Tour durch Litauen und Estland. Sie trifft sich mit Politikern und Wirtschaftsvertretern, um sich ein besseres Bild von den beiden baltischen Ländern zu machen. Gerade sitzt sie in der litauischen Hauptstadt Vilnius in der Zentrale des Startups Trafi, neben ihr eine Übersetzerin und die Leiterin des Warschauer Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, die auch im baltischen Raum aktiv ist und Politikerreisen begleitet.
Katrin Görig-Eckardt will mehr über den Nahverkehr der Zukunft wissen. Deswegen besucht sie das Startup - auch weil es bald schon nach Deutschland expandieren könnte. Aber erst mal hat sie Fragen zur IT-Sicherheit. „Very German", raunt Martynas Gudonavicius, Co-Vorsitzender des Mobilität-Unternehmens. „Sehr deutsch" und antwortet dann knapp: „Alles, was wir tun, ist im Einklang mit der europäischen Datenschutz-Grundverordnung."
Der 30-Jährige - an den Seiten kurzrasiertes Haar, kantiges Gesicht und Freizeithemd -, der bereits nach dem Abschluss seines Studiums an der Technischen Universität Kaunas eine Führungsposition beim global operierenden Tech-Unternehmen Inmodi inne hatte, ist auch einer von zwei Gründern von Trafi. Die litauische App, die schon vor elf Jahren als kleines Studentenprojekt gestartet ist, gilt weltweit als der modernste Dienst in Sachen Mobilität.
Vilnius ist die einzige wachsende Stadt in Litauen, vor allem Menschen aus dem ländlichen Raum ziehen her. Eine kluge Stadtplanung ist deshalb vonnöten. 100.000 Nutzer hat Trafi in Vilnius, etwa ein Fünftel der Stadtbevölkerung. Dass sich der Verkehr in Vilnius dank der App gewandelt hat, dieser Eindruck drängt sich auf. Die Innenstadt wirkt ruhig, es gibt kaum Staus, kaum Lärm.
Der Dienst hat das Potenzial, den städtischen Nahverkehr nicht nur effektiver zu gestalten, sondern ihn grundlegend zu verändern. Zumindest laut Selbstzuschreibung.
Private Autos könnten gänzlich aus Innenstädten verschwinden. Alles soll schneller, günstiger, bequemer und umweltfreundlicher werden. Trafi integriert sämtliche Fortbewegungsmittel auf einem Interface, also in der App. Ride-Hailing, Mitfahrdienste wie Uber, Carsharing, Bus, Tram, Leihräder oder der Fußweg werden miteinander kombiniert und für den Nutzer so der kürzeste oder auch der bequemste Weg berechnet.
Je größer die Datenmenge ist, mit der ein User Trafi füttert, desto besser, das heißt angepasster, ist die Route, die die App ausspuckt. Bezahlt wird online mit einem Tippen auf das Display.
Von einer „Revolution" spricht Gudonavicius, ganz der fortschrittsgläubige Gründer, der kein eigenes Büro hat, sondern dessen Schreibtisch in demselben Großraumbüro steht, wie die seiner Mitarbeiter - allerdings unter einem gold gerahmten Porträt des Rappers Jay-Z. „Revolution" also. Klar, darunter macht es heute niemand mehr. Nicht bloß ein Produkt, sondern eine bessere Zukunft bietet Gudonavicius an - im Augenblick seinen Gästen aus Berlin.
Bedenken in BerlinMit Berlinern unterhält der Co-Chef von Trafi sich neuerdings öfter. Das Unternehmen und die gleichnamige App sollen nach Deutschland expandieren, zuerst nach Berlin. Dort haben die Litauer kürzlich, nach der Zentrale in Vilnius mit mehr als 40 Mitarbeitern und der Niederlassung in London, ein Büro am Potsdamer Platz eröffnet. Geht es nach ihm, dann soll der Service lieber früher als später in Berlin starten. „Wir können in vier Monaten einsatzbereit sein", sagt er.
Es gebe bereits Gespräche mit der BVG, den Berliner Verkehrsbetrieben. Vor einigen Tagen erst habe man sich zudem mit Verkehrssenatorin Regine Günther von den Grünen getroffen.
In Deutschland allerdings gibt es Vorbehalte gegenüber Trafi. Die BVG, aber auch Carsharing-Anbieter wie DriveNow oder Car2Go, die zu den Autobauern Daimler und BMW gehören, müssten Daten weitergeben. Auch stünde Trafi in Konkurrenz zu anderen sogenannten intermodalen Apps, wie etwa Mooval, die versuchen, Mobilitätsdienste miteinander zu verknüpfen. Jede Stadt sei hinsichtlich ihrer Infrastruktur anders, heißt es dazu aus der Pressestelle von Trafi diplomatisch. Und Berlin sei eben ein komplexeres System als Vilnius.
Kein vergleichbarer Service funktioniert so genau und flüssig wie Trafi. Das haben vor allem Verantwortliche in Stadtverwaltungen in asiatischen oder südamerikanischen Megacitys gemerkt. 2016 war Trafi offizieller Partner der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro, mittlerweile erleichtert die App das Vorankommen im Nahverkehr sogar in der indonesischen 10-Millionen-Metropole Jakarta.
Dass es da gerade in Berlin, in der Stadt, die sich gerne als Startup-Standort sieht, so schwierig sei, in den Markt zu stoßen, wundert Gudonavicius. Bisher funktioniert Trafi in der Europäischen Union ausschließlich in den baltischen Staaten. Göring-Eckardt hat weiter Fragen zum Datenschutz. „Und was ist etwa mit russischen Hacker-Angriffen? Sind Ihre Systeme sicher?".
Die baltischen Länder waren in der Vergangenheit häufig Ziele von Cyber-Attacken. 2007 erlebten die Esten erstmals eine groß angelegte, mehrere Wochen andauernde Offensive auf ihre kritische Infrastruktur: Staatliche Systeme, der Finanzsektor und Medien waren sogenannten Denial-of-Service-Angriffen ausgesetzt.
Cyber-Angriffe aus RusslandDas heißt, dass Internetseiten und Onlinedienste einfach „ausgeknipst" wurden. Sie waren nicht mehr verfügbar. Das Ganze fiel zusammen mit Protesten der russischen Minderheit in Estland wegen der Umsetzung eines Sowjetdenkmals in der Hauptstadt Tallinn. Auch deswegen vermuten Experten, dass die Angriffe von Russland ausgingen. Zuletzt, im Oktober 2017, habe Moskau wahrscheinlich hinter Störungen im lettischen Kommunikationsnetz gesteckt, so Nato-Stellen. Zeitgleich fand das russische Militärmanöver „Zapad" statt.
„Bisher hatten wir keine Probleme, wir sind wachsam. Ich mache mir keine Sorgen, dass wir in Zukunft Opfer eines Angriffs von außen werden", entgegnet Gudonavicius der deutschen Grünen-Politikerin Göring-Eckardt selbstbewusst. „Wir haben zuverlässige, exzellente Sicherheitssysteme installiert und unsere Daten sind verschlüsselt und anonymisiert."
Katrin Göring-Eckardt interessiert sich nicht nur für IT- und Datensicherheit. Als Grüne möchte sie natürlich wissen, ob Trafi etwas taugt, um auch deutsche Städte umweltfreundlicher zu machen. Also ausprobieren. Sie steht nun vor der Zentrale in der Innenstadt von Vilnius und tippt auf ihr Smartphone.
Es ist ein heißer Augusttag. Gudonavicius weist sie ein. Nach dem Kachelmenü, auf dem sie zum Beispiel zwischen Carsharing oder Bus wählen kann, wird eine Karte angezeigt, auf der blaue, gelbe und rote Punkte für sämtliche Transportmittel in Echtzeit zu sehen sind. Auch Wetter- und Stau-Daten werden bei der Routenberechnung berücksichtigt.
Göring-Eckardt entscheidet sich für Carsharing. Der Anbieter in Vilnius heißt CityBee; ein litauisches Unternehmen, mit dem Trafi in Vilnius zusammenarbeitet. Die Grünen-Politikerin geht die Straße hoch, steigt in einen kleinen Fiat und fährt davon. Alles ganz einfach.
In Vilnius funktioniert das Modell so: Nicht nur stellt die Stadt über ihre Verkehrsbetriebe der App Daten zur Verfügung, Trafi spielt Daten auch an die Stadt zurück. „Wir sind eine Art ‚Hub' für das Unternehmen geworden", sagt Povilas Poderskis.
Datensicherheit? „Very German"Der Direktor der Stadtverwaltung sitzt in einem Besprechungszimmer in einem Hochhaus auf der anderen Flussseite, wo es keine Altstadt gibt, sondern Geschäftsviertel. Er trägt ein kurzärmeliges blaues Hemd, trinkt schwarzen Kaffee und isst Schokolade. Hinter ihm durch das Fenster sind moderne Glastürme zu sehen. Und die Daten? Poderskis muss schmunzeln. „Very German", sagt auch er.
Tatsächlich verkauft Trafi die gesammelten Daten nicht, sondern bietet sie der Stadt lediglich an. Die nutzt sie dann, um Verkehrswege zu verbreitern, Ampeln oder Zebrastreifen zu verschieben. Denn immerhin weiß sie nun, was für ein Verkehrsaufkommen es wann und wo gibt. Das Ziel ist es, mithilfe von Big Data den Verkehr weiter zu individualisieren.
Dass bei all dem Fortschritt in Vilnius in vielen Bussen Klimaanlagen fehlen oder die Trolleybusse, also die Oberleitungsbusse, teilweise noch aus den 80er-Jahren stammen, mutet merkwürdig an. Daran wird auch Trafi so schnell nichts ändern können.
Gudonavicius ist weiter optimistisch. Das erklärte Ziel von Trafi ist es, die Idee von Verkehr, für die das Unternehmen steht, weltweit zur ersten Wahl für Kunden im Nahverkehr zu machen. Internetriesen wie Google, der Autobauer Skoda oder die Weltbank arbeiten mit Trafi zusammen an Lösungen für Verkehrsprobleme. Denen gegenüber lizenziert das Unternehmen seine Dienstleistungen und verdient so Geld. Dabei - und das wird in der Zentrale immer wieder betont - werden keine Nutzerdaten verkauft. Trafi will bloß, so heißt es, als Motor funktionieren, um Kunden, Städten und Anbietern eine „integrated experience" zu bieten - ein „integriertes Erlebnis".
Nachdem Katrin Göring-Eckardt mit dem CityBee eine Runde durch die Innenstadt von Vilnius gedreht hat, wirkt sie zwar beeindruckt davon, wie einfach die App zu handhaben ist, einen skeptischen Blick und ein Naserümpfen kann sie sich aber nicht sparen. Beim Datenschutz bleiben wohl noch Fragen offen. „Very German" vielleicht.
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