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Radio-Beitrag

Das Referendum als Traum der Rechten und Alptraum der Linken

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War der Ruf nach Basisdemokratie nicht mal links?

Marine Le Pen schrieb Mitte der Woche ein Meinungsstück für die New York Times. Darin begann sie mit einer netten Anspielung auf die alte Rivalität zwischen Franzosen und Engländern, und dass die Franzosen es ja normalerweise gar nicht gern sähen, dass Leute von der Insel ihnen die Schau stehlen, aber: Hut ab. Der Brexit – für sie ein Akt der Courage. Eine wahrhaft politische Entscheidung gegen eine Elite, die nur mit Wirtschaftsprognosen argumentierte. Ein Akt der Auflehnung gegen das Völkergefängnis, das die EU geworden sei. Doch einen Käfig hält ein Mensch, der Freiheit liebt, nicht aus. Am Ende schrieb Le Pen, dass das britische Referendum nur ein Anfang sein werde. Es werden Referenden in ganz Europa folgen. Und das bedeute nichts weniger, als dass ein „Frühling der Völker“ bevorstehe.

So weit sind wir gekommen: Die Rechten freuen sich auf Volksabstimmungen. Und die Linken zittern davor. Warum ist das Volk den Rechten näher als den Linken?

Genauer: Warum wählten bei der österreichischen Präsidentschaftswahl 86 Prozent der Arbeiter den FPÖ-Kandidaten Hofer? Warum stimmten die armen, abgehängten, postindustriellen Gegenden in Nordengland für den Brexit und reiche Akademiker für den Verbleib in der EU? Warum sind die Rechten beim Volk, beim echten Volk, bei Arbeitern und Abgehängten?

Erster Grund: Die Rechten haben die Sprache. In Großbritannien argumentierten Linke, Liberale und proeuropäische Konservative aus einer rein defensiven Haltung heraus. Im Brexitwahlkampf referierten sie fast nur wirtschaftliche Argumente. Marine le Pen hat in diesem Punkt tatsächlich recht. Die Befürworter von „Remain“ warnten vor einem Kursverfall des britischen Pfunds. Sie sagten eine Rezension vorher. Sie argumentierten rein verantwortungsethisch: Seid Euch den Folgen Eures Handelns bewusst. Stimmt nicht für den Brexit, seid vernünftig, denkt an die Konsequenzen. Sie appellierten an den Verstand und nie ans Herz.

Rechtspopulistische EU-Gegner dagegen sagen: Freiheit! Souveränität! Lasst uns unser Land zurückholen! Unabhängigkeitstag! Hört den britischen Schrei der Hoffnung! Die Rechte von heute, sie nutzt eine alte, doch immer noch progressive Sprache: die der Emanzipation. Die Rechte spricht von Werten, die Linke von Wechselkursen. Was ist attraktiver?

Dazu kommt, dass die Linke Kontakt und Tuchfühlung zu Arbeitern verloren hat. Labour und andere Sozialdemokratien in Europa sind Kulturlinke geworden. Ihre Themen: Postkoloniales, Homosexualität, Feminismus, Critical Whiteness. Der US-amerikanische Philosoph Richard Rorty schrieb schon vor zwanzig Jahren über eine Linke, die ihr natürliches Biotop in den Gewerkschaften verlassen und an die Universitäten verlagert hatte. Rorty zufolge nahm die Post-68er-Kulturlinke die Gesellschaft nur noch im Tunnelblick wahr: als Kampf für die Rechte von Minderheiten. Er forderte: „Interessiert euch jetzt bitte mal wieder für die Probleme weißer heterosexueller Männer, die keine Arbeit finden und ihre Familien nicht versorgen können.“ Genau diese Männer stimmten für den Brexit. Genau diese Männer werden im Frühjahr 2017 Marine Le Pen in Frankreich und Geert Wilders in den Niederlanden wählen. Das hat viel mit ihrem Hass auf die Schlaumeierei der besseren linken Kreise zu tun.

Ein letzter Grund noch, warum die Linke das Referendum fürchtet und die Rechte es verlangt. Bei Volksabstimmungen hat es die Rechte leichter. Für sie ist die Masse, wie Georg Diez auf Spiegel Online schrieb, Mittel, kein Zweck. Linke und Liberale dagegen wollen Menschen erziehen. Sie diskursfähig machen. Sie in die Lage zu versetzen, durchdachte, reflektierte und damit erst wahrhaft demokratische Entscheidungen zu fällen. Die Rechte holt die Leute da ab, wo sie stehen. Positiv formuliert: Sie nimmt die Leute ernst und will ihnen nicht erzählen, was sie zu tun haben. Negativ formuliert: Sie redet ihnen nach dem Mund. Sie manipuliert sie. Sie stachelt sie auf, packt die Leute bei ihrer Wut, bei ihrer Fremdenfeindlichkeit, sie spricht zu den dunkleren Teilen des Selbst.

In Großbritannien war diese Strategie sehr erfolgreich. Die bittere Ironie, und auch das hat Georg Diez auf Spiegel Online geschrieben, ist die: Das Volk, die untere Mittelschicht, hat geputscht. Sie hat gegen eine EU-freundliche Elite geputscht. Sie tat es mithilfe einer EU-skeptischen, wirtschaftsliberalen, sehr sehr klassenbewussten britischen Elite. Und die wird ihre Wähler nun ans Messer liefern.

Bayern 2, Jazz&Politik, vom 2. Juli 2016