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Interview

"Wir sind schon längst tot"

Helden sehen anders aus. Omar García sitzt vornübergebeugt auf dem Sofa in der Wohnung eines Freundes in Mexiko-Stadt: Zahnspange, Kinnbart, nervöses Lächeln. Eigentlich hat der 25-jährige Lehramtsstudent gerade Semesterferien, aber erholen konnte er sich nicht. Omar ist müde – vom Reden, vom Protestieren, vom Nervös-über-die-Schultern-Blicken. Vor wenigen Stunden hat er eine Rede gehalten, eine von unzähligen in diesem Sommer, sie enden immer mit den Worten: »Vivos se los llevaron, vivos los queremos – Lebend habt ihr sie genommen, lebend wollen wir sie zurück.«
Seit einem Jahr ist Omar nicht nur ein einfacher Lehramtsstudent, sondern Studentensprecher und Anführer einer revolutionären Bewegung.
Am 26. September 2014 kam es in der Kleinstadt Iguala im mexikanischen Bundesstaat Guerrero zu einem Zusammenstoß zwischen Studenten der Ayotzinapa-Universität und Lokalpolizisten – es wurde geschossen, zwei von Omars Kommilitonen starben, 43 weitere wurden auf Trucks geladen und verschwanden spurlos. Viele gehen davon aus, dass die jungen Männer von Killern der allmächtigen Drogenkartelle umgebracht wurden. »Der 26ste« nennt man dieses Datum in Mexiko heute, wie 9/11, ein Tag, der alles änderte. Omar hat eine Mission, will die Öffentlichkeit, die Regierung und die Justiz solange an den Fall erinnern, bis er aufgeklärt wird. Eigentlich aber geht es noch um viel mehr. Neun Drogenkartelle streiten in Mexiko um Einflusszonen, Handelsrouten und Produktionsstätten – große Teile der Polizei und Politik stehen unter dem Einfluss der »Narcos«. Und immer häufiger werden normale Menschen zum Kollateralschaden des Konflikts. Während es in Deutschland 650 Morde im Jahr gibt, sind es im ähnlich großen Mexiko mehr als 20 000.
Iguala ist eine unfassbare Tragödie. Iguala ist Alltag in Mexiko.

Omar, vor genau einem Jahr verschwanden deine Freunde. Inzwischen hat deine Universität wieder geöffnet. Konntet ihr zu einem Alltag zurückfinden?
Klar, irgendwie geht alles geht: Wir schreiben Prüfungen und machen Praktika. Doch der »26.« hat mein Leben und das meiner Kommilitonen für immer umgekrempelt. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, fertig zu studieren und mir einen ganz normalen Job zu suchen. Die Dinge, die wir gesehen und erlebt haben, sind gefährlich für mächtige Leute. Viele von uns denken darüber nach, im Ausland politisches Asyl zu beantragen. Gleichzeitig wollen wir aber in der Lage sein, unser Land zum Positiven zu verändern. Am liebsten würde ich in Mexiko bleiben, Jura studieren und Anwalt werden. Aber das ist sehr gefährlich.

Warum?
In Mexiko hat man sich längst daran gewöhnt, dass sich die Kartelle untereinander abschlachten oder sich mit der Armee bekriegen. Nun aber immer häufiger auch normale Bürger ins Visier der Killer. Seit Monaten erhalten wir Todesdrohungen und werden auf Schritt und Tritt verfolgt. Vor ein paar Wochen zerrten Auftragskiller einen meiner Kommilitonen in Acapulco in ein Auto und ließen ihn erst Stunden später wieder frei. Man gab ihm eine Botschaft mit: »Wenn ihr nicht klein beigebt, legen wir euch alle um.« Ich glaube, dass wir sowohl von den Behörden als auch von kriminellen Gruppen beobachtet werden. Sie wissen, wer wir sind und wo wir leben.
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