Politische Berichterstattung, gibt's die im Fernsehen eigentlich noch? Gerade so eben: Das NDR-Magazin "Panorama" feiert sein 50. Jubiläum. Im Interview erklärt Moderatorin Anja Reschke, warum es früher einfacher war, für Aufreger zu sorgen - und was sie von der Talk-Offensive im Ersten hält.
SPIEGEL ONLINE: "Panorama" wird 50. Ist das auch ein Anlass zur Wehmut?
Reschke: Nein, wieso?
SPIEGEL ONLINE: In den sechziger und siebziger Jahren gab es noch Lagerkämpfe, man wusste, wo der Gegner steht. War früher doch alles besser?
Reschke: Im Gegenteil: Es gab früher Sendungen, die könnte man heute nie mehr so machen, weil im Prinzip überhaupt nichts Neues drin war. Ein Beispiel: Die Sendung zur SPIEGEL-Affäre 1962, die "Panorama"-Mitbegründer Gert von Paczensky damals fast den Job gekostet hat, ist eine reine Kommentierung mit abgefilmten Nachrichten-Schlagzeilen, Karikaturen und Kommentaren von anderen Journalisten. Von daher hat sich das Exklusivitäts-Niveau bei uns eher gesteigert. Aber es war natürlich früher viel einfacher, Aufregung zu erzeugen.
SPIEGEL ONLINE: Anfeindungen von Politikern wie das legendäre Strauß-Zitat "Es waltet ein Unstern über 'Panorama'" trugen ja auch zur Aufwertung und Profilierung bei. Haben Sie selbst so etwas mal erlebt?
Reschke: Als wir vor neun Jahren in Berlin unseren Film über die Zweitwohnungssteuer gemacht haben, wo wir einfach nur Politiker gefragt haben, ob sie in Berlin wohnen, dort auch angemeldet sind und Zweitwohnungssteuer zahlen, waren die total sauer. Weil sie so simpel demaskiert wurden.
SPIEGEL ONLINE: Die jüngsten großen Enthüllungen gingen allerdings vom Internet aus, siehe WikiLeaks und GuttenPlag. Wie wichtig kann da das Fernsehen noch sein?
Reschke: Gut, bei WikiLeaks wurden Informationen zunächst an eine Internetplattform gegeben. Aber einschätzen und bewerten mussten das doch wieder Journalisten. Enthüllung ist aber auch nicht das einzig Entscheidende für ein Magazin wie unseres. Das Kerngeschäft ist, Hintergründe zu vermitteln. Bei der WikiLeaks-Geschichte haben wir zum Beispiel gezeigt, wie unwürdig mit Bradley Manning, der ja verdächtigt wird, die Dokumente an WikiLeaks gegeben zu haben, umgegangen wird. Der wird behandelt wie ein Verbrecher.
SPIEGEL ONLINE: Seit 2009 gibt es auch noch "Panorama - Die Reporter", gerade wurde mit "Panorama Nord" ein weiterer Ableger vorgestellt - pure Lust am Experiment oder blanke Angst, irgendwas zu verpassen?
Reschke: Wichtig ist, dass wir immer wieder neue Formen ausprobieren. Ich hätte auch nichts dagegen, dass man die Hauptsendung ab und zu mal komplett umkrempelt: Moderation/Beitrag, Moderation/Beitrag - ich weiß nicht, ob diese Form des Journalismus noch für die nächsten 50 Jahre funktioniert. Vielleicht muss man auch mal sagen: So, heute machen wir eine monothematische Sendung und setzen damit ein Statement.
SPIEGEL ONLINE: Wie jüngst bei "Der Drückerkönig und die Politik", Christoph Lütgerts vieldiskutierter Dokumentation über den Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer?
Reschke: Es gab bei der Maschmeyer-Geschichte einen Acht-Minuten-Film, der in "Panorama" laufen sollte. Und dann hat Stephan Wels, der Leiter der Innenpolitik beim NDR, entschieden: Nee, daraus machen wir einen Halbstünder und gehen noch mehr in die Tiefe. Die Redaktion fand das erstmal doof, weil das unser Aufmacher war, ein schickes Stück, das "Panorama" gut zu Gesicht gestanden hätte. Aber es hat sich ausgezahlt: Ich glaube, dass man öfter das Format weiten muss, damit es ausstrahlt. Das ist der Vorteil von "Panorama - Die Reporter"...
SPIEGEL ONLINE: ...wo sich der Journalist oft recht aufdringlich in den Vordergrund spielt...
Reschke: Klar, manche nennen das vielleicht eitel, aber beim Zuschauer kommt das gut an. Jeder Film entsteht durch einen Reporter, warum soll man den nicht auch mal zeigen?
SPIEGEL ONLINE: 2006 mussten die Polit-Magazine der ARD bei einer großen Programmreform Federn lassen, wurden von 45 auf 30 Minuten eingedampft. Zum Geburtstag kriegen Sie nun eine 45-Minuten-Ausgabe spendiert - einmalig?
Reschke: Ja, leider. Dadurch, dass uns eine Viertelstunde weggenommen wurde, fallen eben viele Themen hinten runter. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann würde ich auch klarkommen mit einer halben Stunde, aber bitte alle zwei Wochen. Einfach eine höhere Schlagzahl.
SPIEGEL ONLINE: Es gibt ja immer mal wieder Überlegungen, die sechs Polit-Magazine der ARD unter einer Dachmarke zusammenzuführen...
Reschke: Ich persönlich finde sechs politische Magazine in der ARD schon viel. Aber dieser Gedanke stößt bei den anderen nicht auf große Sympathie. Wer verzichtet schon gerne auf den Namen seines Magazins? Eine Zusammenführung ist wahrscheinlich genauso utopisch wie die Idee, alle Bundesländer könnten sich aufs gleiche Bildungssystem einigen.
SPIEGEL ONLINE: Politische Inhalte sollen in Zukunft eher totgeredet als erklärt werden, hat man den Eindruck. Haben Sie eine Meinung zu der für Herbst angesetzten Talk-Offensive von ARD-Programmdirektor Volker Herres?
Reschke: Ich bin gespannt, wie das funktioniert. Jeden Abend Talk, das finde ich schon recht ambitioniert.
SPIEGEL ONLINE: Zum "Panorama"-Jubiläum gibt es auch eine Doku über die Geschichte der Sendung. Der ehemalige Redaktionsleiter Hans-Jürgen Börner sagt darin: "'Panorama' muss verboten werden wollen." Trifft das heute noch Ihr Selbstverständnis?
Reschke: Wir dürfen nicht Krawall um des Krawalls Willens erzeugen, das finde ich platt. Du musst schon etwas haben, wo du sagst, das rüttelt auf, weil's die Sache wert ist.
SPIEGEL ONLINE: Voraussetzung für den "Panorama"-Journalismus ist ja immer auch der Rückhalt im Sender und eine gute Rechtsabteilung. Mal in die andere Richtung gefragt: Haben Sie schon Fälle der Einmischung des Senders in redaktionelle Belange erlebt?
Reschke: Ganz ehrlich: Ich kann mich an keinen einzigen Fall erinnern. Allerdings hatten wir mal einen O-Ton von Günther Oettinger, der uns androhte, sich beim Intendanten zu beschweren. In dieses Zitat waren wir ganz verliebt und haben es rauf und runter gespielt. Da kam natürlich irgendwann mal von der Hierarchie des Hauses: Sagt mal, Leute, reicht's nicht langsam?
SPIEGEL ONLINE: "Panorama" war 2010 das erfolgreichste der ARD-Polit-Magazine mit durchschnittlich 3,08 Millionen Zuschauern; vor ein paar Jahren waren es noch 3,5 Millionen. Wie wichtig ist für Sie die Drei vor dem Komma?
Reschke: Es sehen einfach insgesamt weniger Menschen fern. Dennoch würde es wehtun, wenn wir unter drei Millionen fallen würden. Manchmal habe ich Angst, dass das Fernsehen komplett seine Funktion als journalistisches Medium verliert. Nachdem ich für das Buch, das ich über "Panorama" geschrieben habe, in die Fernsehgeschichte eingestiegen bin, muss ich sagen: Wow, Fernsehen war mal ganz schön intellektuell. Schade, dass das Medium teilweise so verblödet wurde.
SPIEGEL ONLINE: Sie selbst sind seit Juli 2001 bei "Panorama", erreichen also bald die Zehn-Jahres-Marke...
Reschke: Ist das wirklich so? Oh Gott! Wahrscheinlich stehe ich mit 80 immer noch da, mit Stock und Gehwagen, und moderiere "Panorama" um 1.15 Uhr mit einem einzigen Beitrag in der Länge von zehn Minuten. Erschreckend! Wobei: Zehn Jahre klingt lange, aber ich glaube, dass die Menschen jetzt überhaupt erst anfangen, mich mit "Panorama" zusammenbringen. So lange braucht das eben in der heutigen Fernsehwelt, wenn man nur alle drei Wochen senden darf.
Das Interview führte Peter Luley
"Panorama" (Jubiläumssendung): Donnerstag, 22.00 Uhr, ARD
"Unbequem und unbestechlich" (Dokumentation): Donnerstag, 23.15 Uhr, NDR
"Panorama Nord": 14., 21. und 28. Juni, jeweils 21.15, NDR
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