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Reportage

Mädchen im Sturm

Ich war zwölf Jahre alt und stand im Tor. Zum ersten Mal in meinem Leben. Ich musste unseren verletzten Keeper vertreten, weil kein anderer wollte. Es regnete in dünnen Fäden, der Rasen war nass und schnell, der Ball glitschig. Die Handschuhe, die mir mein Trainer mit einem kurzen Kopfnicken gegeben hatte - du machst das schon, sollte das wohl heißen -, waren mir viel zu groß. In Kombination mit dem weiten Trikot und den Riesenhosen, mit den Polstern an Hintern, Knien und Ellenbogen, muss ich wie eine Comicfigur ausgesehen haben. Und dass unser Gegner, der ASV Waldsee aus dem wenige Kilometer entfernten Nachbardorf, ein Mädchen in den Sturm gestellt hatte, machte die Sache nicht besser.

Ein Mädchen im Sturm!

Das war keine Kleinigkeit für einen Zwölfjährigen, der immerhin schon einiges gelernt hatte über das andere Geschlecht und seine Nebenwirkungen. Erstens: Mädchen können eigentlich keinen Fußball spielen. Daraus folgte unweigerlich zweitens: Sollte sie ein Tor schießen, würde mich meine Mannschaft hinterher mit Häme überziehen.

Sie konnte Fußball spielen. Und sie hat zwei Tore geschossen.

Ein Kopfballaufsetzer, der so viel Fahrt aufnahm, dass ich die Beine nicht mehr rechtzeitig zusammenbekam. Ein Rechtsschuss, flach in die Ecke geschlenzt, ich plumpste bedröppelt zu Boden. Als ich wieder auf den Beinen stand, sah ich zuerst das vor Scham errötete Gesicht meines Liberos, der an diesem Sonntagmorgen etwas zurückhaltend gewirkt hatte. Das Mädchen konnte nicht nur Fußball spielen, sie war auch schön. Ich glaube, sie hieß Sabrina.

In der Kabine blieb es letztlich ruhig. Keine Häme. Nur kollektive Starre. Wir hatten verloren.

Dieses Jugendspiel war mein Erstkontakt mit der weiblichen Seite des Fußballs. Gleichzeitig wurde ich ein Mann, ein bisschen zumindest. Und als Mann kann man sich doch nicht von einem Mädchen tunneln lassen, dachte ich auf der Rückfahrt. Mein Vater dachte wohl das Gleiche. Er saß am Steuer und rauchte durch einen dünnen Fensterspalt. Regen peitschte unerbittlich auf die Windschutzscheibe. Wir schwiegen.

Drei Jahre später spielten wir gegen die TuS Niederkirchen, tiefste Pfalz, träge Provinz, aber sie hatten dort einen Bundesligaverein. Und im Zentrum stürmte Heidi Mohr, damals Nationalspielerin und Ligatorschützenkönigin. Es war ein Vorbereitungsspiel, Jungs gegen Frauen. Ihr dürft heute nicht grätschen, hatte unser Trainer in der Ansprache gesagt. Irgendwas mit Verletzungsgefahr. Da haben wir erst komisch geguckt und dann Witze gemacht, enge Manndeckung heute, Trikottausch nach dem Spiel, so Sachen eben - und dann haben wir sieben-drei gewonnen. Zaghaft im Zweikampf. Wir kamen ohne eine einzige Grätsche aus. Etwa zu dieser Zeit muss der Gedanke entstanden sein, dass eine bessere Bezirksligamannschaft der Männer jederzeit und mühelos das Nationalteam der Frauen schlagen könnte.

"So ein Quatsch", sagt Alice, als ich ihr davon erzähle.

Alice spielt bei Hansa 07, dem ältesten Fußballverein in Kreuzberg, der vor über einhundert Jahren gegründet wurde. Seit einem Jahr gibt es auch ein Frauenteam. Alice spielt in meinem Verein! Und seitdem hat sich dort einiges verändert. Auch bei mir, in meinem Männerfußballkopf.

Denn die Frau, die sagt, ein Klischee sei der erste Schritt zur Wahrnehmung und die Frauenquote aus Gründen der Gleichberechtigung falsch, hat mehr Ahnung von Fußball als ich, das musste ich mir irgendwann eingestehen. Alice hat eine wissenschaftliche Arbeit über die Rolle des Fußballs in der algerischen Unabhängigkeitsgeschichte verfasst, sie lernt Arabisch, um den Fußball im Nahen Osten kennenzulernen, und natürlich weiß sie, welche Teams aus der zweiten spanischen Liga zuletzt abgestiegen sind. Sie weiß das und noch vieles mehr. Sie ist mehr Fußballfan als ich. Und sie stand wahrscheinlich öfter in der Kurve.

Sie kann sich sogar detaillierter an ihr erstes Europapokalspiel im Stadion erinnern als die meisten meiner Fußballfreunde, an das Wetter, das Ergebnis, die Torschützen, die Fehlentscheidung des Schiedsrichters und das erste Hassgefühl, wie sie es nennt, nachdem ihr Lieblingsteam, der FC Nantes, gegen den FC Porto ausgeschieden war. Alice ist eine Frau, die es nie gab in meiner Vorstellung, sie sagt: "Fußball ist die Hauptnebensache meines Alltags." Und sie fragt sich manchmal: "Gibt es überhaupt einen Tag ohne Fußball in meinem Leben?"

An diesem Wochenende beginnt die Weltmeisterschaft der Frauen, mit dem Eröffnungsspiel in Berlin. Drei Wochen später findet das Finale in Frankfurt statt. Von den deutschen Fußballerinnen wird nicht weniger als die Titelverteidigung erwartet, das hört man oft zurzeit, die Erwartung ist eher eine Forderung. Das ist allerdings nur die sportliche Sicht auf das Turnier.

Im Grunde geht es um etwas anderes, und das hat nichts mit Technik und Taktik zu tun. Es geht um die weltweit beliebteste Sportart, die von Männern wie mir dominiert wird, die sich nur widerwillig damit arrangiert haben, dass inzwischen auch Frauen Tore schießen und Titel gewinnen wollen. Sie waren immer Nische, zwischenzeitlich illegal, später allenfalls geduldet. Heute spielen mehr als eine Million Mädchen und Frauen Fußball, Tendenz steigend. Und trotzdem werden sie immer noch belächelt. Sie gelten als Eindringlinge, denn Fußball, das ist die letzte Bastion des Mannes.

"Sagt man das so?", fragt Alice.

In manchen Männerrunden, Tendenz fallend, kursieren noch ewiggestrige Ansichten, alles viel zu langsam, diese Wuchtbrummen, haben doch keine Ahnung von richtigem Fußball, der immer nur Männerfußball sein kann. Man lobt nicht einen von Frauen durchgeführten Spielzug, man staunt darüber. Man spricht nicht über ihre Aufstellung, sondern über ihre Frisuren. Auf allen Ebenen ist das so. Ablehnung, Geringschätzung, Bevormundung. Es gibt Sportjournalisten, die während der Weltmeisterschaft am liebsten Urlaub genommen hätten, um nicht berichten zu müssen. Es gibt Fernsehredakteure, die mit mehr Bildschnitten arbeiten, um ein Frauenfußballspiel schneller erscheinen zu lassen. Eine Studie hat ergeben, dass Schiedsrichter offensichtlich zum Beschützerinstinkt neigen und häufiger auf Foul entscheiden, wenn Frauen in Zweikämpfe gehen. Frauenfußball ist Genderdebatte - und am Ende steht dann oft, er sei weiblicher geworden und natürlich auch spielerisch attraktiver.

"Darum geht es doch gar nicht", sagt Alice. "Wir müssen nicht über Frauen reden, nicht über ihre Rolle in der Gesellschaft, wir müssen über Fußball reden."

Also reden wir.

Alice ist dreiundzwanzig. Sie kommt aus Frankreich, aus Nantes, sie ist in einer Neubausiedlung am Stadtrand aufgewachsen. Seit vier Jahren wohnt sie in Berlin. Sie hat ein internationales Parlamentsstipendium bekommen und arbeitet im Bundestag. Vor dem Haus ihrer Eltern lag eine Wiese, auf der haben sie immer Fußball gespielt, die Jungs aus der Nachbarschaft und sie, das einzige Mädchen. "Vier gegen vier, schnell und direkt, viele kurze Pässe", sagt Alice. Heute stehen dort, wo sie ihre Leidenschaft für den Ball entdeckte, neue Häuser.

Eines Tages, Alice war sieben Jahre alt, hat ein kinderfreundlicher Nachbar eine rechteckige Fläche in die Wiese gemäht. "Das war richtig genial", sagt sie. Einen Sommermonat lang hatte Alice einen Fußballplatz direkt vor ihrer Haustür. Sie musste nach der Schule nur noch schnell ihre Hausaufgaben erledigen, dann konnte sie raus, auch wenn es ihren Eltern nicht gefiel. Rein in die kurze Hose, die Stollenschuhe binden, sie hatte einen eigenen Ball. Ihr kleiner Bruder war oft dabei. Alice war immer noch das einzige Mädchen. Und das sollte noch lange so bleiben. Einen Verein hat sie erst in Berlin gefunden. "Ich habe immer davon geträumt, ein Trikot zu tragen, feste Trainingszeiten zu haben, am Wochenende früh aufstehen zu müssen. Erst jetzt weiß ich, wie das ist."

Etwa fünfhundert Meter von ihrem Elternhaus entfernt, Alice konnte den Rasen von ihrem Fenster aus sehen, lag ein richtiger Fußballplatz. Dort verbrachte sie die meisten Sonntage ihrer Kindheit. Es war ein Ritual. Um elf kam die Zusammenfassung der französischen Liga im Fernsehen, danach spielte die Lokalmannschaft, die Erste Herren, die Zweite, die Jugendteams, danach kickte sie selbst. Ein Mädchenteam hatte der Verein nicht. Sie musste zugucken, als ihr kleiner Bruder dem Club beitrat, sie stand am Spielfeldrand, als der zweite Bruder folgte.

Einmal ist Alice mit den beiden zum Training gegangen, Mädchen und Vereinsfußball, unvorstellbar, aber dem Coach ist es zunächst nicht aufgefallen, weil sie eine Mütze trug. "Ich habe dich noch nie gesehen hier, aber nicht schlecht", hat er hinterher gesagt und wollte sie schon zum Vereinsbeitritt überreden. Da hat Alice ihre Tarnkappe abgenommen, die langen Haare fielen herunter, sie grinste. "Was, du bist ein Mädchen, was machst du hier?" Sie musste den Platz verlassen. Sie war deprimiert. "Aber ich habe Fußball immer als Ganzes geliebt", sagt Alice. "Ich liebe das Zuschauen, ich liebe es, darüber zu sprechen, darüber zu lesen, einfach alles."

Sie sammelt Autogrammkarten, Tickets, Schals, ihr Vater schickt einmal im Monat das französische Fußballmagazin So Foot nach Berlin, das hatte er ihr nach dem Auszug versprochen. Und sie hat eine signierte Wollmütze, die ihr der Brasilianer Ronaldinho geschenkt hat, schenken musste, als das kleine Mädchen mit den großen Augen vor ihm stand und nicht nach dem Souvenir fragte, sondern es verlangte. "Die zeige ich jemandem nur, wenn er es zu schätzen weiß." Ihr größter Schatz aber ist das erste Trikot, das sie sich von ihrem Taschengeld finanzieren musste, so wie die erste Auswärtsfahrt nach Bordeaux. Sie hat ihrem kleinen Bruder eine Karte gekauft und ist dann, ganz die große Schwester, mitgefahren. "Das kann mir keiner mehr wegnehmen", sagt Alice.

Wir sitzen im Görlitzer Park, es ist ein milder Frühsommerabend, Fledermäuse und Maikäfer kreisen über unseren Köpfen. Wir trinken Flaschenbier und warten auf die Mondfinsternis. "Wenn du mit mir über Fußball reden willst, dann musst du schon viel Zeit mitbringen", hatte Alice vorher gesagt. Die Mondfinsternis werden wir verpassen.

Als wir im Laufe des Abends darüber reden, ob es überhaupt sinnvoll ist, Frauenfußball mit Männerfußball zu vergleichen, als wir also an einen Punkt gelangen, an den zuletzt viele solcher Gespräche gelangt sind, springt plötzlich ein Mann aus dem Gebüsch. Er rennt an uns vorbei und den leichten Abhang hinunter. Hinter einem Baum schlägt er einen Haken, mit dem die zwei grün gepanzerten Verfolger anscheinend nicht gerechnet hatten - der Mann entkommt.

Alice und ich schauen uns an. Wir müssen beide lachen. Ich finde es lustig, dass der mutmaßliche Drogendealer fliehen konnte, weil die Polizistin langsamer war als ihr Kollege. Sie hatte den kürzeren Weg, sie hätte ihn stellen können. Und dann fühle ich mich plötzlich ertappt. Kurz zuvor, mitten im großen Fußballvergleich, hatte Alice gesagt, dass doch keiner auf die Idee kommen würde, einen Sprinter mit einer Sprinterin zu messen oder einen amerikanischen Film mit einem deutschen. Ich hatte zugestimmt, logisch, ergibt ja keinen Sinn. Wo waren wir stehen geblieben?

Alice spielt im defensiven Mittelfeld, manchmal in der Abwehr. Dabei ist es keine Selbstverständlichkeit, dass es bei den Frauen von Hansa 07 inzwischen feste Positionen gibt. Die meisten Spielerinnen, die in der vergangenen Saison das Team gegründet haben, hatten vorher nie gegen einen Ball getreten, nie einen Doppelpass gespielt. Sie kamen aus Neugier ins erste Training, bei drei Grad und Schneeregen im März, sie kamen, um ihren Fußballfreund zu verstehen, weil die Arbeitskollegin dabei war, oder weil sie im Internet gelesen hatten, dass Hansa eine Frauenmannschaft anmelden will. "Wir waren quasi gezwungen, offen zu sein, uns kennenzulernen, keine musste allein um einen Platz im Team kämpfen", sagt Alice.

Zum Kader, der heute etwa dreißig Fußballerinnen umfasst, gehört eine Schauspielerin, eine Tennislehrerin, eine Fernsehredakteurin, Frauen, die an der Bar arbeiten oder eben im Bundestag. Jede sechste Spielerin ist lesbisch, eine will lieber als Spieler bezeichnet werden. Blutige Knie sind bei allen ein beliebtes Fotomotiv.

Alice hat zufällig von Hansa erfahren. Der Dozent, der ihre Arbeit über Algerien gelesen und für sehr gut befunden hatte, war auch gleichzeitig der Vereinspräsident. "Die Stimmung war von Anfang an gut", sagt Alice. "Und das spielerische Niveau, mein Gott, es war egal. Alle wussten Bescheid, dass es so sein würde." Und so haben sie dann auch das erste Ligaspiel verloren. Neun Gegentore. Geschossen haben sie keins. Einige, die bereits in anderen Frauenteams gespielt hatten, waren überrascht. Es hätte schlimmer kommen können.

Viele wussten auch nach der zweiten und dritten Niederlage noch nicht, was ein Sechzehnmeterraum ist, welche Sanktionen dort bei Handspiel drohen, und natürlich war Abseits ein großes Missverständnis. Also haben sie in den nächsten Monaten erst mal Grundlegendes gelernt. Wie führe ich einen Einwurf richtig aus? Wie stelle ich eine Mauer? Warum muss ich nach einer Verletzungsunterbrechung den Ball wieder zurückgeben, wenn die Gegnerinnen ihn ins Aus geschossen haben? Über ein Jahr später wissen alle, was ein taktisches Foul ist, und sie können dieses Wissen auch umsetzen. Die erste Gelbe Karte der Saison bekam eine Abwehrspielerin. Es hätte auch die Rote sein können. Die gab es dann später für Beleidigung. Da hatte das Team gelernt, dass auf dem Fußballplatz zuweilen raue Umgangsformen herrschen.

Ich habe die ersten drei Heimpartien gesehen, unser Frauenteam spielt immer am Sonntagmorgen um zehn, wir spielen um zwölf. Ich stand mit Teamkollegen und Kaffee am Spielfeldrand, manchmal haben wir uns ein wenig lustig gemacht über das weibliche Spielverständnis, das anfänglich nur darin bestand, den Gegnerinnen den Weg zu versperren. Der Ball war zweitrangig. Oder über die Sprünge, die einige Spielerinnen dabei zeigten, grand jeté heißt er beim Ballett, beim Fußball bringt er nichts, Ball und Gegnerin sind noch vor der Landung weg. Der Trainer, ein ehemaliger Spieler, der mein Team verlassen hat, um die Frauen in Sachen Fußball aufzuklären, hat diesen Sprung in den Strafenkatalog aufgenommen. Zwei Euro pro Ausführung. Einen Strafenkatalog fanden die Studentinnen im Team allerdings gar nicht gut, es gab philosophischen und moralischen Einspruch, er wurde wieder abgeschafft. Ballettsprünge gibt es trotzdem nicht mehr. Die Frauen spielen nur noch Fußball.

Inzwischen trainieren sie auch zweimal die Woche, manchmal teilen wir uns den Kunstrasenplatz, der eigentlich nur einem Team ausreichend Platz bietet, und natürlich nutzen wir jede Gelegenheit dazu, den Fortschritt nach Männerkriterien zu beurteilen. Unbewusst. Das ist einfach so. Das wird noch eine Weile so bleiben. Das Tempo im Frauenfußball ist mit unserem nicht zu vergleichen, fällt uns immer zuerst auf. Das ist Fakt, nicht Vorurteil, aber es klingt so. "Ich würde nie widersprechen", sagt Alice.

Doch löst man sich vom Tempovergleich und beobachtet, wie das Frauenteam Laufwege trainiert, Freistoßvarianten, Absprachen in der Viererkette, kommt man an den Punkt, der Alice besonders wichtig ist: "Beim Frauenfußball entscheiden nicht Kraft und Schnelligkeit, sondern Technik und Taktik." Dass Frauen nicht so weit schießen können wie Männer sei doch im Grunde ein Vorteil. "Wir müssen es spielerisch lösen."

Das haben viele Spieler bereits verinnerlicht, darunter welche, die vor ein paar Monaten noch die Nase gerümpft haben. Heute geben sie Tipps beim Torschuss, erklären Fehler im Abwehrverhalten. Es ist Fußballhilfe, die gerne in Anspruch genommen wird. Wir sind kein reiner Männerverein mehr. Und vielleicht hat es unser Platzwart als Erster gewusst. Manchmal schaltet er für uns nur widerwillig das Flutlicht ein, und manchmal dauert es lange, bis die Kabinen offen stehen. Aber wenn die Frauen etwas brauchen, macht er alles freiwillig und schnell. Er hat in der abgelaufenen Saison sogar mehrere Spiele gepfiffen, weil mal wieder ein Schiedsrichter nicht da war oder erst gar nicht vom Verband angesetzt wurde.

Als ich den Frauen vor ein paar Wochen wieder zugeschaut habe, war ich beeindruckt über den neuen Spielfluss, der nicht mehr destruktiv war und auf Zufall beruhte, sondern auf einer konkreten Spielidee. "Zu wissen, dass es nur besser werden kann, war wichtig für die Motivation", sagt Alice. Die letzten drei Spiele haben sie gewonnen, zu Recht sogar, und das gegen Teams, die ihnen zu Beginn der Saison noch überlegen waren. Es lief auf einmal so gut, sie hätten gerne auf die Sommerpause und den ersten fußballfreien Monat seit der Teamgründung verzichtet. Jetzt beginnt wenigstens die Weltmeisterschaft, die Ablenkung im Fernsehen.

In der nächsten Saison, die Anfang August beginnt, soll es bei Hansa 07 mehr geben als die Gleichberechtigung in Gedanken. Das Frauenteam wird zum ersten Mal eigene Bälle bekommen. Dann sind sie nicht mehr auf Sponsoren angewiesen und müssen auch nicht mehr das Material benutzen, das wir ausrangiert haben. Der Antrag liegt dem Vorstand bereits vor, und er wird wohl nicht nur deshalb bewilligt werden, weil drei Frauen in die Vereinsspitze aufgerückt sind. Darunter auch Alice.

Vor ein paar Monaten war ich mit ihr im Stadion, Union gegen Augsburg, Zweite Liga, danach haben wir Bayern gegen Hamburg in der Kneipe gesehen. Ich weiß noch, wie ich mich gewundert habe, dass Alice die Einlaufhymne mitsingen konnte, neunzig Minuten lang viel textsicherer war als ich, und manchmal auch lauter. Und ich weiß noch, wie sie ohne gedankliche Anstrengung die Karrierestationen eines marokkanischen Verteidigers aufzählen konnte und anschließend zusammenfasste: "Das ist kein Schlechter für die Zweite Liga. Viel Erfahrung, gutes Stellungsspiel, kopfballstark." Das muss der Moment gewesen sein, in dem ich zum ersten Mal dachte: Man kann ja mit Frauen über Fußball reden.


Erschienen am 25. Juni 2011