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Wie der Wolf ins nördliche Amerika kam

Lange Zeit war der Grauwolf (Canis lupus) ein Meister der Anpassung und das am weitesten verbreitete Raubtier. Heute ist er in vielen Gebieten ausgerottet, etwa in großen Teilen Nordamerikas. Wie er dort ursprünglich hinkam, fand Evolutionsbiologe Stephan Koblmüller von der Uni Graz gemeinsam mit spanischen und US-Forschern heraus: Die heutigen nordamerikanischen Wölfe gehen alle auf eine Besiedelungswelle zurück, die vor 70.000 bis 24.000 Jahren stattfand. Die Einwanderer verdrängten die ansässigen Wölfe vollständig, die schon vor circa 500.000 Jahren ebenfalls aus Eurasien gekommen waren. Das belegen Fossilfunde.

Wie kam es zu der Wanderung? Spielte Ressourcenknappheit auf unserem Kontinent eine Rolle? „Nein", sagt Koblmüller, „die Wanderungen hingen ausschließlich mit den Meeresspiegelschwankungen zusammen." Schon ein nur um 50 Meter niedrigerer Pegel gab Land zwischen Ostsibirien und Alaska frei. Die Beringbrücke erweiterte sich im „Eiszeitalter" Pleistozän zum riesigen Kontinent Beringia und ermöglichte einen kontinuierlichen Genfluss zwischen Eurasien und Nordamerika. Damit war es erst vorbei, als die beiden nordamerikanischen Gletscher während des letzten eiszeitlichen Maximums verschmolzen und den Weg ins mittlere und südliche Nordamerika versperrten.

Genome von jetzt und damals

„Mit unseren Daten können wir nun sagen: Beim letzten Auftauchen der Beringbrücke wanderten die Vorfahren der heutigen Wölfe nach Nordamerika ein", sagt Koblmüller. Die Daten stammen aus der Untersuchung von 105 mitochondriellen Genomen sowohl prähistorischer als auch jetziger Wölfe. Die jüngeren Proben kommen von Tieren aus dem gegenwärtigen Verbreitungsgebiet des Grauwolfes, aber auch von den um 1900 ausgestorbenen japanischen Unterarten. Koblmüller arbeitet neben den Wölfen vor allem zu ostafrikanischen Buntbarschen, die dank ihres Artenreichtums ein ideales Modellsystem für evolutionsbiologische Forschung bieten.

Die Wolfsproben aus dem späten Pleistozän, deren Alter bekannt war, dienten dazu, den Stammbaum der Tiere zeitlich zu eichen. In Alaska gab es zu dieser Zeit etwa „Grauwölfe mit besonders kräftigen Kiefern und großen Reißzähnen", um die Knochen der Großwildbeute besser zu knacken. Damals war die vielfältige Megafauna mit Mammut, Mastodon, Bison oder Riesenhirsch noch vorhanden. Die beißkräftigen Wölfe sind am Ende des Pleistozäns verschwunden.

Nach dem Aussterben der großen Pflanzenfresser waren anscheinend agilere Wölfe im Vorteil, die nach dem Abschmelzen der Gletscher aus dem südlichen Nordamerika Richtung Norden wanderten. So schließt Koblmüller aus seiner Analyse, dass immer wieder neue, potenziell besser angepasste Wölfe die ursprünglicheren Formen verdrängt haben. Eine andere Möglichkeit - großräumiges Aussterben und spätere Rekolonisierung - ist weniger wahrscheinlich: Die gefundenen Fossilien dokumentieren keine Lücke im Vorhandensein von Wölfen im nördlichen Nordamerika.

Zu Theorien der Domestizierung des Wolfes, die schließlich zum Hund führte, gibt es noch keinen wissenschaftlichen Konsens: „Da wird derzeit extrem viel geforscht. Aber jede Arbeit, die publiziert wird, sagt etwas anderes." Keinesfalls sei der Wolf in Nordamerika domestiziert worden, sondern in Eurasien. Allerdings ist es vermutlich immer wieder zu beabsichtigten und unbeabsichtigten Kreuzungen, also genetischem Austausch, zwischen Wolf und Hund gekommen. Durch solche Vorfälle hat sich auch die schwarze Fellfärbung in Grauwolfpopulationen etabliert: „Die Mutation ist im Hund entstanden und wurde dann in den Vorfahren zurückeingekreuzt", erklärt Koblmüller. „In Nadelwäldern etwa gibt es sehr viele dunkle Wölfe - weil sie dort so besser angepasst sind."

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2016)

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