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Die Milchkuh liefert Daten

Ein großes Forschungsprojekt will Daten aus der klein strukturierten Milchproduktion in Österreich zusammenführen und nutzbar machen.

Weißes Gold? So wird Milch in manchen Weltregionen genannt: Die Kuh verwandelt wertloses Gras in ein kostbares Lebensmittel. Als Wiederkäuer nutzt sie Quellen, die anderen Nutztieren verschlossen bleiben. An das „weiße Gold" zu gelangen ist aber eine Wertschöpfungskette mit vielen Gliedern. Damit beschäftigt sich ein umfassendes Forschungsprojekt namens ADDA - Advancement of Dairying in Austria: eine Zusammenarbeit von Wissenschaft - Vet-Med-Uni Wien, Boku Wien, Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik, Austrian Institute of Technology - und der heimischen Milchindustrie. Finanziell unterstützt werden sie dabei vom Land Niederösterreich und vom Technologieministerium BMVIT.

„Die Milchwirtschaft ist ideal, um ein solches Netzwerkprojekt aufzusetzen", sagt Martin Wagner, Leiter des Instituts für Milchhygiene an der Vet-Med-Uni Wien. „Denn entlang der Lebensmittelkette bedingt ein Element das andere: die Fütterung den Tierstatus, der Tierstatus die Menge und Qualität der Milch, die Milch die Wettbewerbsfähigkeit." All das wird heute bereits durch Messungen erfasst. In den immer stärker computergesteuerten Einzelbetrieben findet ein ständiges Monitoring von Tiergesundheit, Futtermittelverbrauch oder Rohmilchqualität statt.

Moderne Systeme erfassen über 1000 Parameter aus der Lebensgeschichte jeder Kuh, bei jedem Melkgang kommen etwa 150 zur Milch hinzu - ein Sensor ist etwa im Halsband integriert. Unfassbare Datenmengen, „Big Data", sammeln sich so an; ADDA soll sie kollektiv nutzbar machen.

Am Anfang der Wertschöpfungskette steht die Kuh. Wenn eine Hochleistungskuh viel Milch geben soll, 12.000 kg im Jahr, muss man sie entsprechend füttern. Der Pansen, Gärkammer des Verdauungstrakts beim Rind, hat dabei - ähnlich dem Darm beim Menschen - großen Einfluss auf den Gesamtzustand der Kuh, selbst auf ihre Eutergesundheit, die wesentlich für die Milchleistung ist.

Weltweite Milchmenge steigt

Genau diese Milchleistung, die Laktation, hat im Lauf der Jahre enorm zugenommen. Die Menge der angelieferten Milch ist laut Agrarmarkt Austria von 1995 mit 2,3Mio. Tonnen auf knapp drei Mio. Tonnen 2013 gestiegen - und das bei heute niedrigeren Tierbeständen. Es ist die Leistung der Einzeltiere, die derart forciert wurde. „Wobei mittlerweile die Milchleistung nicht mehr höchste Prämisse ist", so Wagner. „Es gibt Überlegungen, die Nutzungsdauer der Tiere zu verlängern." In deutschen Großbetrieben betrage diese derzeit zwei bis drei Laktationsperioden, in Österreich fünf bis sechs. Das Tier wird so zum Produktionsmittel, sein Wohlbefinden sei im Projekt indirekt über die Tiergesundheit ein Thema. Man bediene diesen Aspekt etwa mit der Entwicklung besserer Antibiotika.

Generell ist die Gabe von Antibiotika in der Lebensmittelproduktion relevant - nicht nur für das Tier: Als Therapie (früher auch zur Leistungssteigerung) eingesetzt, können diese zur Entstehung von „multiresistenten Keimen" beitragen. Solche Keime härten sich im Körper eines antibiotikabehandelten Tieres ab, sodass zu einem späteren Zeitpunkt, zu dem sie auf einen Menschen treffen, kein Kraut gegen sie gewachsen scheint: Dem Patienten verabreichte Antibiotika können dann wirkungslos sein.

Im Vergleich zur Fleischproduktion ist der Einsatz von Antibiotika bei Milchkühen zwar geringer, er wird aber bei ADDA auch analysiert. „Man könnte unterschiedliche Analysenmethoden mittels Ö-Norm harmonisieren", sagt Wagner. Dies ließe dann eine ökonometrische Bewertung zu. Aber: „Welche Bedeutung haben gewisse Kennzahlen für den Bauern und sein Brieftascherl?"

Die Forscher planen jedenfalls ein ADDA-Handbuch, das mit der Zentralen Arbeitsgemeinschaft der Rinderzüchter erarbeitet wird: Darin könnten Datenmengen gebündelt als Entscheidungshilfe für die Praxis dargestellt werden. So erfasst etwa der Melkroboter während des Melkgangs Daten zur Milchmenge, andere Daten stammen aus Tankmilchproben, die auf Eiweiß- und Fettgehalt, Zellzahl usw. getestet werden.

Kleine Betriebe, gutes Image

ADDA könnte so Inkubator für weitere Maßnahmen sein - Vorbild ist der „Food Valley" im niederländischen Wageningen, ein Lebensmittelforschungszentrum riesigen Ausmaßes -, dimensioniert aber entsprechend der klein strukturierten österreichischen Milchwirtschaft. Hier werden durchschnittlich 16 Milchkühe pro Betrieb gehalten, während es in Deutschland 54 sind. „Das mag kostenmäßig ein Nachteil sein, aber nicht für das Image", sagt Wagner und denkt dabei an Spezialitäten, Bio- und Veredelungsprodukte mit „glaubhaftem Charakter".

Immer noch seien große Molkereien wie die ADDA-Projektpartner Kärntner Milch, Obersteirische Molkerei oder Berglandmilch als Genossenschaften organisiert, „so bleibt die Wertschöpfung im Tal. Ich bin kein Globalisierungskritiker, aber auf 1000 Metern Seehöhe wächst kein Getreide. Die Almen sind für den Tourismus relevant, die Bauern leben vor Ort und identifizieren sich mit ihrem Betrieb."

2013 wurden 48 Prozent heimischer Milchprodukte exportiert. Wagner: „Das ist nur aufrechtzuerhalten, wenn wir auch Forschung betreiben." Laut Prognose der Welternährungsorganisation FAO wird der weltweite Milchkonsum bis 2050 aufgrund größerer Nachfrage aus Asien und Afrika stark steigen. „Der Massenmarkt kann zwar nicht unser Anspruch sein", sagt Wagner. Doch haben kleinteilige Produktionsstrukturen in Zeiten von zwischen Mensch und Tier übertragbaren Krankheiten auch ihren Vorteil: Sie sind weit weniger anfällig für das Auftreten derartiger Erreger als „tierintensive" Gebiete.

LEXIKON

Laktation ist die Milchleistung. 1995 gab eine Kuh in Österreich im Schnitt 4600 kg Milch/Jahr, 2012 6400 kg/Jahr. Nach dem Kalben gibt eine Kuh zehn Monate lang Milch (Laktationsperiode).

K-Projekte sind Teil des Comet-Programms von BMVIT und BMWFW, das die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft fördert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2014)



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