Brüssel will die Zuckerquote abschaffen. Das passt den Erzeugern überhaupt nicht. Die Industrie klagt über zu hohe Preise. Aus Brüssel Von unserer Korrespondentin Patricia Dudeck
Brüssel. Für die Rübenbauern bleibt es unfassbar: EU-Landwirtschaftskommissar Dacian Ciolos schlägt wirklich vor, die Zuckerquote im Zuge der Agrarreform ab 2016 als einen Bestandteil der EU-Zuckermarktordnung abzuschaffen. Offenbar auf Anraten von Ökonomen. Herbe Kritik erntete er dafür gestern von Europaabgeordneten im Agrarausschuss. Beim EU-gesteuerten Abbau des heimischen Zuckerrübenmarkts 2006 bis 2009 sind europaweit 79 Zuckerfabriken geschlossen und abgerissen worden - auch in der Region. Noch 104 Fabriken verarbeiten Rüben zu Zucker, davon 20 in Deutschland.
Sie dürfen gerade mal noch so viel produzieren, dass 85 Prozent des Bedarfs der Lebensmittelindustrie in der EU gedeckt ist, das sind in Deutschland etwa 2,9 Millionen Tonnen Zucker und 14 Millionen Tonnen für ganz Europa. Die Rübenbauern sind von der Zuckermarktordnung abhängig. Sie sichert ihnen das Einkommen. Es gibt einen Mindestpreis für Zuckerrüben, den horrende Importzölle vor dem Weltmarktwettbewerb absichern. Überproduktionen fließen in die Nichtnahrungsmittelindustrie. Doch gerade jetzt brauchen Hersteller von Konfitüren, Limonaden, Süß- und Backwaren mehr Zucker. Durch die EU-Importpflicht sehen sie sich in existenzbedrohende Misslagen gezwungen. 15 Prozent des Rohzuckerbedarfs für Lebensmittel und Getränke müssen Fabriken aus bestimmten Schwellen- und Entwicklungsländern, den AKP- und LDC-Staaten, dazukaufen. Zum Problem wurden über die vergangenen zwei Jahre schlechte Ernten in Indien und Brasilien, das 50 Prozent der Weltmarktexporte bestreitet.
Zucker ist Mangelware. Der sonst so billige Weltmarktpreis schoss über den Preis der EU hinaus. Die üblichen Zulieferer verkauften daher lieber auf dem Weltmarkt als in die EU.
Das Kilo kostet 20 Cent mehrAldi Süd musste beispielsweise bereits neue, teurere Verträge mit Zuckerproduzenten abschließen. Dies spürten Verbraucher Anfang des Monats: Der Preis für ein Kilo Zucker stieg von 65 auf 85 Cent. Weitere Händler ziehen mit ihren Hausmarken nach. Weil der Zuckerpreis in Polen hoch war, kauften Gastwirte die Läden im grenznahen Bereich der Bundesrepublik regelrecht auf. Händler mussten den Zuckerverkauf auf haushaltsübliche Mengen rationierten. Seit Monaten haben Hersteller von Konfitüren, Limonaden, Süß- und Backwaren große Schwierigkeiten ihren Zuckerbedarf zu decken, erklärte Karsten Daum vom Infozentrum Zuckerverwender (IZZ). Aufträge seien zum Teil wegen Lieferproblemen der Zuckerproduzenten abgelehnt worden.
„Die Preisexplosion bedroht die Existenz einiger Firmen", so Daum, daher fordert das IZZ eine Erhöhung der Zuckerquote auf 100 Prozent des EU-Bedarfs bis zum Ende der Förderperiode 2015, danach soll das Quotensystem mit der Agrarreform komplett verschwinden. „Wir brauchen einen freieren Markt in Europa mit Wettbewerb unter Zuckerherstellern um Mengen und Marktanteile. Angebot und Nachfrage sollen die Preise und den Markt regulieren."
Die Kommission versucht bereits Versorgungslücken mit Zuckerreserven aus Überproduktionen zu schließen. 500000 Tonnen, die sonst in die Nichtlebensmittelproduktion fließen, gab sie für Lebensmittel frei. Daum: „Das war hilfreich, doch reichen diese kurzfristigen Notbehelfe nicht aus. Die Preise bleiben weiter an der Decke." Dies zeige, dass die Quotenregelung nicht mehr angemessen sei. Die Zuckermarktordnung biete keine Gewähr für eine sichere Versorgung.
Das sehen die Zuckerbauern anders: Der flexible Einsatz von eigenen Zuckerreserven würde sehr wohl eine sichere Versorgung der Bürger mit Zucker höchster Qualität zu vernünftigen Preisen gewährleisten, erklärte Dr. Fred Zeller, Geschäftsführer des Verbands Süddeutscher Zuckerrübenbauern. Würden die Pläne der EU-Kommission allerdings Wirklichkeit, seien EU-Bürger erst recht abhängiger von der Versorgungsmöglichkeiten des Weltmarkts und dessen schwankenden Preisen, so seine Prognose.
Eine Fabrik für 350 Millionen EuroRübenbauern würden weniger für ihren Rohstoff bekommen. Das bedeute das Aus für viele Betriebe in weniger begünstigten Gegenden. Profitieren würden die starken Rübenregionen wie Frankreich, Deutschland, Polen und die Beneluxländer davon nicht, sagte Zeller. Denn zu einem Ausbau der Erzeugung, müssten neue Zuckerfabriken gebaut werden. „Der Bau einer Fabrik kostet mindestens 350 Millionen Euro. Solch eine Investition ist aber in solch einem wirtschaftlichen Umfeld nicht möglich." Zuckerproduzenten und Rübenbauern fordern daher eine längere Übergangszeit. Zeller: „Wir müssen nach einer tiefen Reform der EU-Zuckerpolitik von 2006 bis 2009 unseren Sektor weiterentwickeln. Dazu brauchen wir Zeit bis 2020, wie es das EU-Parlament und der deutsche Bundesrat fordern."