2019 übergab Nursultan Nasarbajew nach 30 Jahren an der Spitze Kasachstans offiziell die Macht im Staate. Aber hat sich irgendwas verändert? Eine Analyse.
Andauernde Proteste, eine kriselnde Wirtschaft und das Coronavirus: Ein schwieriges Jahr liegt hinter Qassym-Schomart Toqajew. Am 20. März 2019 übernahm er das Präsidentenamt von Nursultan Nasarbajew, der das Land fast 30 Jahre lang regiert hatte.
Nasarbajew war am Tag zuvor zurückgetreten - zu einem Zeitpunkt, als der Unmut der Bürger über die soziale und wirtschaftliche Situation im Land immer größer wurde. Toqajew - ein Karrierediplomat und langjähriger Weggefährte Nasarbajews - stand vor der schwierigen Aufgabe, die Situation zu befrieden. Es wäre die Zeit für großangelegte Reformen gewesen. Stattdessen sorgte schon seine erste Amtshandlung für Spott und Ärger: die Umbenennung der Hauptstadt Astana in Nur-Sultan.
Seitdem kommt es im ganzen Land immer wieder zu Protesten. Im Frühjahr 2019 gingen hunderte Menschen auf die Straßen, um für freie und faire Wahlen zu demonstrieren. Für die Zivilgesellschaft schien sich ein Fenster geöffnet zu haben. Von einem „kasachischen Frühling" war gar die Rede. Die Polizei reagierte jedoch mit Festnahmen.
Nasarbajew hält im Hintergrund weiterhin die Fäden in der Hand: Als „Elbassy - Führer der Nation", als Vorsitzender des Sicherheitsrats und der Regierungspartei Nur-Otan hat er ein Mitspracherecht bei wichtigen Entscheidungen, wie zum Beispiel der Besetzung von hochrangigen Ämtern.
Nach seiner Wahl kündigte Toqajew an, sich den Problemen im Land zu widmen. Tatsächlich folgten kleinere Maßnahmen: Einer viertel Million Bürger wurden die Schulden erlassen, für einkommensschwache Familien wurden ein Programm für sozialen Wohnungsbau und ein Hypothekenprogramm aufgelegt. Bei einem monatlichen Durchschnittseinkommen von rund 200 Euro ist das jedoch ein Tropfen auf den heißen Stein, während gleichzeitig die nationale Währung stetig an Wert verliert und die Korruption weiter grassiert.
Offiziell sucht der neue Präsident das Gespräch mit den Bürgern und der Zivilgesellschaft. Anders als sein Vorgänger ist er in den sozialen Netzwerken aktiv, postet regelmäßig auf Twitter und Instagram. Allerdings erschöpft sich die Aktivität meist darin. Antworten auf Kommentare bleiben aus. Im Juli hat Toqajew den „Nationalen Rat für gesellschaftliches Vertrauen" ins Leben gerufen. Zu den Mitgliedern gehören Politiker, Wissenschaftler, Journalisten, staatliche Angestellte und Vertreter der Zivilgesellschaft - fast alle sind Teil der bestehenden Elite. Echter Dialog sieht anders aus.
Im Herbst begannen die Kasachen, gegen den wachsenden Einfluss Chinas zu protestieren. Kasachstan ist ein Schlüsselland der „Neuen Seidenstraße" und abhängig von Pekings Millionen, die es in die Infrastruktur investiert. Wie abhängig zeigt sich beim Umgang Chinas mit ethnischen Kasachen im eigenen Land. Wie die Uiguren werden auch sie zu Tausenden in sogenannten Umerziehungslagern gefoltert. Die kasachische Regierung schweigt dazu und führt sogar Prozesse gegen Kasachen, die aus Xinjiang ins Nachbarland Kasachstan fliehen und China kritisieren.
Auf eine weniger strikte Handhabung bei Protesten hofften viele Kasachen nach einem Berlinbesuch Toqajews im Dezember. Damals kündigte er an, das Versammlungsrecht in Kasachstan reformieren zu wollen. Doch bisher bleibt alles beim Alten: Ist eine Demonstration geplant, werden mutmaßliche Teilnehmer schon im Vorfeld verhaftet. Die wenigen, die dann noch hingehen, enden in Polizeigewahrsam, einige gar vor Gericht.
Nun könnte dem Regime ausgerechnet der Ausbruch des Coronavirus in die Hände spielen. Nachdem am 13. März die ersten Fälle offiziell bestätigt wurden, hat sich die Zahl der Infizierten innerhalb weniger Tage verzehnfacht. Seit dieser Woche stehen die größte Stadt des Landes, Almaty, und die Hauptstadt unter Quarantäne. Armeeeinheiten kontrollieren die Zufahrten in die Städte.