Oliver Weber

Student / Autor, Regensburg

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Artikel

Böckenförde und Carl Schmitt: Die Hand am Gang der Zeit


Der erste Brief bleibt noch im Ungefähren. Ernst-Wolfgang Böckenförde und sein älterer Bruder Werner fragen höflich nach, ob sie den "verehrten Herrn Professor in diesen Semesterferien einmal in Plettenberg aufsuchen dürfen" - bei der Lektüre seiner "Verfassungslehre" seien noch Fragen geblieben. Doch schon der nächste Brief deutet eine geistig-politische Übereinstimmung an: Man frage sich insbesondere, welche Richtlinien sich "aus den zum Teil widersprüchlichen politischen Grundentscheidungen des Bonner Grundgesetzes gewinnen lassen". Hinter der Verfassung und ihren Normen steht noch eine "konkrete Ordnung", die man zuerst verstehen muss, will man die Verfassungsartikel deuten - das dürfte in Plettenberg sofort auf Gefallen gestoßen sein.

Mit diesen beiden Nachrichten aus dem Jahr 1953 eröffnet der von Reinhard Mehring herausgegebene Briefwechsel zwischen dem Intellektuellen und späteren Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde und dem Staatsrechtler und einstigen "Kronjuristen des Dritten Reichs" Carl Schmitt den Einblick in eine intensive freundschaftliche Beziehung, die bis zum Tod Schmitts 1985 nicht abreißt. Die Verbundenheit beider war schon vorher bekannt. Sie wurde von Böckenförde, der vor drei Jahren verstarb, selbst in zahlreichen Widmungen, Schriften und Interviews freimütig bestätigt. Doch wie genau hatte man sich den Umgang vorzustellen? Als wechselseitige geistige Auseinandersetzung? Als Lehrer-Schüler-Verhältnis? Als bloße Übernahme einzelner Begriffe? Diese sorgfältige Briefedition legt nun eine rhetorische Einmütigkeit offen, die zugleich erstaunlich und im Hinblick auf jemanden, der wie kaum ein Zweiter die Legitimität der Bundesrepublik verteidigt hat, auch erklärungsbedürftig ist.

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