Oliver Weber

Student / Autor, Regensburg

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Artikel

Die vierte Gewalt: Volkes Stimme

Ist die Presse zu regierungsnah? Diese Frage - meist nimmt sie die Antwort schon vorweg - hat sich während der Pandemie zu einem beliebten Vorwurf entwickelt. Oppositionspolitiker, Maßnahmengegner und kritische Stimmen in der Presse selbst tragen ihn vor, weil sich der Großteil der Journalisten angeblich auf die Verteidigung der Pandemiepolitik zurückgezogen hat, statt die Regierung offensiv anzugreifen. Als „vierte Gewalt" im Staate, so lautet eine beliebte Begründung der Kritik, müsste die Presse aber die Exekutive kontrollieren - und nicht etwa ihre protestierenden Mitbürger.

Die Kritik hat schon deswegen leichtes Spiel, weil der Topos der „vierten Gewalt" selbst bei den Kritisierten als unbefragte Prämisse gilt. Kein Wunder: Man begegnet ihm in Journalistenlehrbüchern und sozialwissenschaftlichen Grundlagenwerken ebenso wie in manchen juristischen Kommentaren. Dort kommt die obligatorische historische Herleitung der Phrase meist mit ein paar Zeilen aus - Jean-Jacques Rousseau wird fälschlicherweise als ihr Urheber genannt. Dabei verrät gerade der historische Kontext, wieso man die Rede von der „vierten Gewalt" besser dort gelassen hätte, wo sie hingehört: im neunzehnten Jahrhundert.

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