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Sehnsucht nach Russland

Der Samstag ist Hochzeitstag in Tiraspol. Frischvermählte fahren vom Standesamt zu einem alten T-34-Panzer, das Denkmal erinnert an den Zweiten Weltkrieg. Brautpaar vor Panzer - das ist in Transnistrien das beliebteste Fotomotiv zum Start in den Bund fürs Leben. Nur wenige Schritte entfernt, gleich hinter dem Parlament, geht es ebenfalls um einen neuen Bund - den Anschluss an Russland. Nur zieht sich die Scheidung vom alten Partner - Moldau - seit Jahren in die Länge.

Aktivisten haben einen kleinen Pavillon errichtet. Am Zeltdach weht die russische Trikolore, daneben flattert die Flagge Transnistriens: rot-grün-rot, mit Hammer und Sichel - das Sowjeterbe prägt die Gegend noch immer. Die Aktivisten sammeln Unterschriften für einen Appell, Russland solle den selbsternannten Staat endlich als souverän akzeptieren.

Viele hätten bereits unterzeichnet, sagt eine junge Frau vor dem Pavillon. Nach der Anerkennung als Staat will die stark russisch geprägte Region mit knapp einer Million Einwohnern dann den nächsten Schritt gehen: möglichst schnell ein Teil der Russischen Föderation werden - so wie vor kurzem die Halbinsel Krim.

Transnistrien, abtrünniger Landstrich in der Republik Moldau, grenzt an den Südwesten der Ukraine. Mit dem Gewaltausbruch im nur hundert Kilometer entfernten Odessa rückt der Konflikt im Nachbarland plötzlich ganz nah an Transnistrien heran. In Moldaus Hauptstadt Chisinau und weiter im Westen fürchten Politiker, dass der Konflikt in der Ukraine auf Transnistrien überspringen könnte. Nach Angaben der Behörden in Odessa sollen viele der prorussischen Separatisten in Odessa in Wahrheit aus Russland stammen - und aus dem benachbarten Transnistrien.

1500 russische "Friedenssoldaten" in Transnistrien

Schon vor Wochen warnte Nato-Oberkommandant Philip Breedlove vor einem möglichen Einmarsch russischer Soldaten aus dem Osten der Ukraine bis nach Transnistrien. Dort sind seit einem Bürgerkrieg im Jahr 1992 etwa 1500 russische "Friedenssoldaten" stationiert.

Während die Sowjetunion zerfiel, erklärte sich die Region 1990 für unabhängig von Moldau. Seit dem Bürgerkrieg, dem allein auf transnistrischer Seite mehr als 800 Menschen zum Opfer fielen, funktioniert Transnistrien faktisch wie ein Staat, für die internationale Gemeinschaft ist die Region jedoch weiterhin ein Teil der Republik Moldau. Russland geriert sich als Schutzmacht, sendet Geld und günstiges Gas für die arme und isolierte Gegend. Transnistrien galt als "frozen conflict", aber seit der Annexion der Krim fürchten viele, dass der Konflikt jetzt wieder in eine heiße Phase eintreten könnte.

Erst vor kurzem erneuerten Parlament und Präsident in Tiraspol ihre alte Forderung nach Anerkennung; adressierten ihre Bitten an die Vereinten Nationen, die Europäische Union und Russland. Gleichzeitig drängt Transnistriens Oberhaupt Jewgenij Schewtschuk die proeuropäische Regierung Moldaus zu einer "zivilisierten Scheidung".

In Transnistrien hatten die Menschen zuletzt im Jahr 2006 über ihre Zukunft abgestimmt. Bei einem Referendum sprachen sich 97 Prozent für die Unabhängigkeit und eine anschließende Eingliederung in die Russische Föderation aus. Dieses Ziel haben die meisten nach wie vor. Moskau allerdings ziert sich - noch - und will die Separatistenrepublik weder anerkennen noch aufnehmen. Denn das hätte den Verlust von Einfluss auf die gesamte Republik Moldau zur Folge.

Russland, der ältere Bruder

Nicht nur am Parlament, auch anderswo in Tiraspol sammeln sie seit Tagen Unterschriften. Vor dem mit Säulen verzierten Rathaus steht ebenfalls ein kleiner Pavillon. Unter den Augen einer steinernen Lenin-Büste wartet knapp ein Dutzend Bürger darauf, sich in die Listen einzutragen. Es sind überwiegend ältere Menschen, viele Rentner, aber ein paar Jüngere wollen auch unterschreiben.

Russland sei für Transnistrien "wie ein älterer Bruder", so sagt es der Hochschulabsolvent Fjodor. Der 23-Jährige erzählt, dass er zwar Europa und Deutschland möge, vor allem die Kultur und "viele gute Produkte". Dennoch ist er überzeugt: "Das Leben ist besser, wenn Transnistrien ein Teil Russlands ist." Mentalität und Geschichte der Region seien russisch geprägt.

Vor 222 Jahren gründete Feldherr Alexander Suworow Tiraspol als Festung im Russischen Reich von Katharina der Großen. Später gehörte die Region zur Sowjetunion. Heute stammen die Menschen hier zu etwa einem Drittel aus russischen, ukrainischen und moldauischen Familien.

Die Gewalt in Odessa beunruhigt auch die Menschen in Transnistrien. "Es ist schrecklich", sagt eine Frau um die 50, die Angehörige in der Stadt hat. "Ich habe Angst." Schon seit Wochen sorgen sich die Menschen in Tiraspol über die Krise im Nachbarland. Über den Hafen von Odessa gelangt der Großteil alltäglicher Güter in die abtrünnige Region.

Warten auf das Jawort

Dass die Ukraine offenbar Männer aus Transnistrien mit russischem Pass an der Einreise hindert, sorgt in Tiraspol für Kritik. Nun berichten Medien, dass einige der Toten im abgebrannten Gewerkschaftshaus von Odessa aus Transnistrien stammen sollen. Am 9. Mai, dem Tag des Sieges der Sowjetunion über Nazi-Deutschland, erwartet Tiraspol den russischen Vizepremier und Transnistrien-Beauftragten Dmitrij Rogosin. Er soll die gesammelten Unterschriften dann entgegennehmen. Die Braut Transnistrien macht sich hübsch - und hofft, dass Moskau endlich das Jawort gibt.

Die Vereinigung mit Russland wollen zwar viele in Transnistrien, aber nicht alle. Etwas außerhalb des Zentrums, an der Straße Richtung Odessa, hängt über dem Eingang einer Schule ein blaues Schild mit lateinischer Schrift: "Lyceum Lucian Blaga". Seit Jahren gibt es Streit mit den Behörden wegen des Alphabets, denn auch die rumänische Sprache der Moldauer wird in Transnistrien üblicherweise mit kyrillischen Buchstaben geschrieben.

In dem Lyzeum ist das anders. Behörden diskriminieren und drohen mit Schließung. Hier lassen überwiegend Einwohner mit moldauischen und rumänischen Wurzeln ihre Kinder unterrichten. Sie haben einen anderen Blick auf die Lage in Transnistrien. Viele wünschten sich die Einheit mit Moldau, sagt Tatiana Andries. "Wir wollen nach Europa, wie alle zivilisierten Menschen", sagt sie. "Die Sowjetunion brauchen wir nicht."

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