Ole Helmhausen

Freier Reisejournalist, Blogger, VJ, Montreal

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Nachhaltiger Tourismus in Neufundland: Zukunft auf der Klippe - SPIEGEL ONLINE - Reise [1]

"Tu ein bisschen in deinen Drink." Ein bisschen was? Das irisch gefärbte Neufundländisch klingt ungewohnt. "Ein bisschen . Vom oice-Berg." Phil Fowley hievt einen dicken Eisklumpen aus der Kühltruhe und bearbeitet ihn mit einem Pickel. Dann gießt er Screech ein, neufundländischen Rum, und einen Schluck Cola dazu. Zuletzt folgt ein o ice-Würfel von dem Eisberg, der im Juni vorbeigedriftet ist. Selten schmeckte Rum Cola besser.

Phil's Shed, ein mit alten Sofas eingerichtetes Mittelding aus Kneipe und Partykeller, ist der soziale Mittelpunkt des 250-Seelen-Fischerhafens Tilting auf Fogo Island. Die karge Felseninsel mit ihren rund ein Dutzend Dörfern liegt vor der Nordostküste Neufundlands - und selbst für hiesige Verhältnisse weit ab vom Schuss. Outports werden solche isoliert liegenden Nester in der kanadischen Provinz genannt. Oft schön anzusehen, doch die Jungen ziehen weg - es gibt ja keine Perspektive.

Nichts los in Tilting? Mitnichten. Drei Rum-Colas später weiß man es besser. Aus aller Welt kämen Menschen, um das ultramoderne Squish Studio zu fotografieren, sagt Phil. Das schneeweiße Einzimmer-Atelier liegt wie ein aufgelaufener Eisberg gegenüber auf einer Klippe und bietet Künstlern aus aller Welt einen Rückzugsort.

Der kanadische Architekt Todd Saunders hat dieses und drei weitere Studios auf der Insel entworfen - alle an exponierten, landschaftlich dramatischen Standorten. Die B&Bs der Insel seien seit dem Bau der Studios vor vier Jahren besser gebucht als je zuvor, sagt Phil und gießt nach.

"Fogo first"

Es tut sich also etwas auf Fogo Island, und das liegt an Zita Cobb. Die schlaksige 56-Jährige mit Kurzhaarschnitt wurde hier geboren, studierte auf dem Festland und ging nach Kalifornien, wo sie in der Glasfaserindustrie ein Vermögen machte. 2001 war sie die drittbestbezahlte weibliche Führungskraft in Nordamerika. Dann beschloss sie, ihr Geld in die Wiederbelebung ihrer siechen Inselheimat zu investieren, und kehrte nach Fogo Island zurück.

"Wir retten unsere Traditionen nur, wenn wir die Leute überzeugen können, zu Hause zu bleiben", sagt Cobb. Die grimmige Leidenschaft, die sie in der Unternehmenswelt nach oben getragen hat, ist nicht zu überhören. 2003 gründete sie die Shorefast Foundation, eine Stiftung, die die 400 Jahre alte Inselkultur für das Globalisierungszeitalter fit machen soll.

"Fogo first" ist Grundsatz bei allen Projekten: Lassen sich alle Materialien auf der Insel besorgen, alle Jobs von Einheimischen erledigen? Junge Unternehmer erhalten von der Stiftung Kleinkredite, sie unterstützt nachhaltige Fischerei und traditionelles Handwerk wie Bootsbau und Quiltstickerei.

Kunst versteht Zita Cobb als Fogos Türöffner zur Welt. Nach den 2011 eröffneten Studios folgte 2013 das Fogo Island Inn, fünf Kilometer vor Tilting in Joe Batt's Arm, entworfen von demselben Architekten. Der Hotelbau besteht aus mehreren versetzt übereinander geschichteten, weißen Quadern, die zum Teil auf Stelzen auf der Felsküste ruhen und damit im Design den neufundländischen Fischerhütten nachempfunden wurden.

Auch hier gilt "Fogo first": Die große Mehrheit der 80 Hotelangestellten kommt von der Insel, das Inventar stammt fast ausnahmslos von einheimischen Handwerkern und Näherinnen und steht zum Verkauf. Zum Konzept gehören auch die Community Hosts, eloquente Einheimische, die die Gäste in Trucks zu ihren Lieblingsplätzen fahren, gern erzählen und im Anschluss auch mal einen heben.

Wie die ersten Jahre liefen? "Wir hatten mehr zu tun als erwartet", sagt Cobb. "Der Lernprozess war immens, wir fingen ja bei null an. Aber wir Neufundländer haben die Gastfreundschaft ja quasi im Blut. Bei der Schulung des Personals mussten wir sogar ausdrücklich darauf hinweisen, die Gäste nicht schon beim Einchecken zu umarmen."

Die Besucher mögen die informelle Art von Personal und Community Hosts. "Wir hatten nie das Gefühl, in einer dieser anonymen Fünf-Sterne-Herbergen zu sein, im Gegenteil", sagen Barry und Trish aus Toronto beim Auschecken, "das Inn hat für uns den Kontakt zu vielen Einheimischen auf der Insel hergestellt."

Musikfestival in der Einsamkeit

Die Offenheit und das kulturelle Erbe der Neufundländer sind der Joker in Zita Cobbs Zukunftsplänen. Und den will Shaun Majumder in Burlington ebenfalls einsetzen. Auch diesem Outport, der eine Tagesreise von Fogo entfernt auf der Baie Verte Peninsula liegt, geht es nicht gut. Majumder, hier geboren und inzwischen ein erfolgreicher Stand-up-Comedian und Fernsehstar in Hollywood, kehrt jeden Sommer zurück nach Burlington - oft mit Freunden im Schlepptau.

"Erst dabei fiel mir auf, dass es hier weder Hotels noch Restaurants gab, und das ist einfach schade", sagt Majumder. "Outports wie Burlington sind der Ursprung von allem - die Lieder Neufundlands, die Geschichten, die Traditionen, die Kochrezepte, einfach alles kommt von hier." Seine Vision ist ehrgeizig. "In zehn Jahren möchte ich Burlington als internationales Touristenziel sehen, mit einer nachhaltigen, von Einheimischen geführten und von Regierungen unabhängigen Tourismusindustrie."

Majumber - und mit ihm ganz Burlington - träumt von einem Luxushotel, wie es Zita Cobb bereits gebaut hat, von touristischen Angeboten wie Eisbergbeobachtung oder Schneemobiltouren. Bis es soweit ist, stellt sich das Dorf der Welt mit dem dieses Jahr im August zum vierten Mal stattfindenden Burlington Gathering vor. Die Erlöse des dreitägigen Festivals fließen in eine gemeinnützige Stiftung, die damit bereits verschiedene Kleinkredite für hiesige Unternehmer und ein Gewächshaus finanziert hat.

Bei der Programmgestaltung helfen Majumders Promi-Connections: Die Konzerte und Stand-up-Shows drinnen und draußen werden nicht nur von beliebten Lokalmatadoren, sondern auch landesweit bekannten Stars wie Sam Roberts, Sean McCann und Alan Doyle von den neufundländischen Folkrockern Great Big Sea bestritten. Preisgekrönte Köche aus Neufundland kochen an offenen Feuern.

"Wir wachsen gewaltig. Das zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind", sagt Majumder. Doch der Fernsehstar weiß, dass er noch viel vor sich hat. "Dies ist kein Sprint, sondern ein Marathon." Auch Zita Cobb bleibt, bei allem bisherigen Erfolg, nüchtern: "Wenn das hier schief geht, kann ich mich auf der Insel nicht mehr blicken lassen."

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