Oda Tischewski

Journalistin (Hörfunk, Print, Online), Berlin

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"Ich habe panische Angst, jemals wieder schwanger zu werden"

Gewalt unter der Geburt - "Ich habe panische Angst, jemals wieder schwanger zu werden"

Do 25.11.21 | 07:26 Uhr | Von Oda Tischewski


"Hauptsache, das Kind ist gesund": Das hören Frauen oft, wenn die Geburt anders verlaufen ist, als sie es wollten. Gewalt in der Geburtshilfe ist kein Einzelfall. Am Aktionstag gegen Gewalt an Frauen protestieren Mütter weltweit. Von Oda Tischewski

Giulia war 22 als sie ihr erstes Kind bekam. Die Schwangerschaft verlief problemlos, die werdende Mutter, die ihre Geschichte hier lieber anonym erzählen will, fühlte sich stark und optimistisch. Doch dann kam die Geburt. Die erste Phase zog sich hin. Das ist nicht selten bei der ersten Schwangerschaft, aber Giulia empfand die Wehen als produktiv, die Geburt machte Fortschritte.

Ihren Hebammen allerdings ging es nicht schnell genug. "Permanente Beobachtung, ich war ständig am Wehenschreiber", erinnert sie sich. Obwohl ihr das Laufen auf dem Gang wirklich geholfen habe, wurde sie wieder aufs Zimmer geführt. Ihr sei gesagt worden: Sie sei sonst zu schwach, um ihr Kind zu bekommen, und dann müsse man doch einen Kaiserschnitt machen. "Die wussten genau, dass ich das nicht wollte, danach hatten sie am Anfang gefragt - und genau damit haben sie mir dann immer wieder gedroht", erzählt Giulia. Dass sie jung war, bedeutete für ihre Geburtshelfer Giulias Meinung nach nicht etwa, dass sie große Kraftreserven hatte, sondern dass man sie bei Entscheidungen während der Geburt übergehen konnte.

Hilfe und Beratung Wehenhemmende und wehenfördernde Medikamente zeitgleich

Giulia bekam keinen Kaiserschnitt, aber sie bekam eine PDA, eine Rückenmarksbetäubung, die sie nicht gewollt hatte und vor der sie sich wegen einer Wirbelsäulenverkrümmung fürchtete. Das Kind wurde in ihrem Bauch unter dem ganzen Körpergewicht einer Assistenzärztin Richtung Geburtskanal geschoben. Diesen sogenannten "Kristeller-Handgriff" lehnt die Weltgesundheitsorganisation WHO ab. In ihre Venen liefen zeitgleich wehenhemmende und wehenfördernde Medikamente, über die man sie trotz mehrfacher Nachfrage nicht aufgeklärt habe. Das Kind wurde schließlich mit der Saugglocke geholt, die Plazenta im Anschluss einfach aus der Gebärmutter gezogen, wie sie schildert. "Ich habe panische Angst, dass ich jemals wieder schwanger werde, weil ich das nicht nochmal durchmachen will", sagt Giulia heute. Sie ist 24.

Unnötig schmerzhafte Behandlungen, Demütigungen, Vernachlässigung, Bevormundung: Was manche Frauen unter der Geburt erleben, wird oft als notwendiger Teil des Prozesses abgetan. Hauptsache, das Kind ist gesund, so das Argument.

Die Berliner Hebamme Jana Friedrich Physische und psychische Gewalt unter der Geburt

Aber wie geht es den Müttern nach so einer Geburt? Sogenannte postpartale psychische Erkrankungen, oder ein belastetes Verhältnis zwischen den Eltern oder zwischen Mutter und Kind kommen aus unterschiedlichen Gründen vor. Eine Studie der Berner Fachhochschule Gesundheit [bfh.ch] aus dem Jahr 2020 kommt allerdings zu dem Schluss, dass Frauen, die unter der Geburt Zwang erlebt haben, ein höheres Risiko tragen, im Anschluss eine postpartale Depression oder eine andere psychische Erkrankung zu entwickeln.

Physische und psychische Gewalt sind dabei die eine Seite, doch die Berliner Hebamme Jana Friedrich kennt auch weitere Formen der Gewalt, vor allem aus ihrer Zeit an verschiedenen Kliniken: "Schwangere bleiben unter der Geburt ohne Betreuung, weil die Hebamme sich wegen Unterversorgung um mehrere Frauen gleichzeitig kümmern muss. Frauen werden abgewiesen, weil Räume fehlen. Aufgrund von Personalmangel werden geburtshilfliche Standards außer Acht gelassen. Ich sehe das als strukturelle Gewalt."

Strafanzeigen nicht entgegengenommen

Die Diplompsychologin Claudia Watzel glaubt allerdings nicht, dass die finanzielle und personelle Ausstattung von Kliniken die alleinige Ursache für Gewalt in der Geburtshilfe ist. Watzel setzt sich seit Jahren aktiv für die Rechte von Schwangeren auf eine gewaltlose Geburt ein. "Wenn Männer Kinder kriegen würden, wäre die Interventionsrate viel geringer und das, was passiert, würde nicht passieren. Ich glaube, das ist ein Ausdruck dessen, dass Frauenrechte ganz grundsätzlich in unserer Gesellschaft nicht besonders hoch gehandelt werden", so Watzel. Nicht selten würden Strafanzeigen von Frauen nach Geburten gar nicht erst entgegengenommen. Es fehle das öffentliche Interesse, sei das Argument der Ermittlungsbehörden.

Diplompsychologin Claudia Watzel | Bild: privat Klar machen, dass man seine Rechte kennt

Gesellschaftliche Veränderungen dauern. Doch was bleibt Frauen, die jetzt gerade schwanger sind, um sich gut auf eine Geburt vorzubereiten? Es kann hilfreich sein, wenn die Schwangere deutlich darauf hinweist, dass sie ihre Rechte kenne, so Claudia Watzel: "Es ist gut zu wissen, was meine Patientenrechte sind. Da würde ich mir manchmal auch mehr Mut von den Frauen wünschen, diese Rechte auch durchzusetzen."

Die Hebamme Jana Friedrich unterrichtet in ihren Geburtsvorbereitungskursen daher nicht nur Atem-, sondern auch Fragetechniken. Sie verweist auf ein Tool namens "Brain" für eine informierte Entscheidungsfindung. "Brain" steht dabei für "Benefits, Risiken, Alternativen, Intuition und Nichtstun". "Wenn eine Entscheidung ansteht, kann man fragen: Was hat das für Vorteile, welche Risiken gibt es, was haben wir für Alternativen, was sagt mein Bauchgefühl dazu und was passiert jetzt eigentlich, wenn wir einfach nichts machen?", so Friedrich.

Außerdem kann in der herausfordernden Geburtssituation auch ein gut informierter Begleiter hilfreich sein: Auch der Vater des Kindes, die Mutter, Schwester oder Freundin der Schwangeren oder eine professionelle Geburtsbegleiterin können deutlich sagen, was sich die werdende Mutter für ihre Geburt wünscht - und was nicht.

Hilfe und Beratung
Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen 08000/116 016 (gebührenfrei, 24/7) Telefonseelsorge: 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222 oder 116 123 (gebührenfrei, 24/7) Hilfetelefon Schwierige Geburt: 0228/92 95 99 70 (Festnetzgebühren, Mi 12-14, Do 19-21 Uhr)
Sendung: Inforadio, 25.11.2021, 09:25 Uhr

Beitrag von Oda Tischewski

Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen 08000/116 016 (gebührenfrei, 24/7)

Telefonseelsorge: 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222 oder 116 123 (gebührenfrei, 24/7)

Hilfetelefon Schwierige Geburt: 0228/92 95 99 70 (Festnetzgebühren, Mi 12-14, Do 19-21 Uhr)

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