Die TikTok-Karriere von foodkagechris beginnt am 28. Dezember 2019 mit einer Hähnchen-Reis-Pfanne. Hähnchenbrust mit Gemüse in einer Pfanne anbraten, mit Sojasoße und Kokosmilch ablöschen, Erdnussbutter und Reis dazu, fertig. Keine Musik, keine Effekte, selbst vor die Kamera zu treten traut er sich auch noch nicht. Das Video sehen damals nur ein paar Hundert Menschen. In den Tagen darauf lädt er Videoclips von kunstvoll geschnitzten Tieren aus Obst hoch: ein Schwan aus einem Apfel, ein Bär aus einer Orange. Alles mittelerfolgreich. Heute hat Christian, so heißt foodkagechris im echten Leben, auf TikTok mehr als 1,5 Millionen Followerinnen und Follower und mehr als 29 Millionen Likes. Er ist der größte kochende Influencer auf der Plattform in Deutschland. Wie ist er in nur anderthalb Jahren zum Social-Media-Star geworden? Und was verrät sein Aufstieg darüber, wie die sozialen Medien unsere Ernährung beeinflussen?
An einer unscheinbaren Haustür in einem kleinen Ort in Süddeutschland grüßt Christian im Anime-Shirt mit Peace-Zeichen. "Heyho", sagt er und führt in seine frisch sanierte Dreizimmerwohnung in einem Mehrfamilienhaus. In der Wohnung riecht es nach Wandfarbe und After Shave, fast so, als sei hier noch nie eine Herdplatte in Betrieb gewesen. Christian ist 35, Krankenpfleger in einer Psychiatrie, Japan-Fan, Technikfreak. Er ist Besitzer eines Saugroboters, einer Fritteuse, eines Reiskochers, eines verchromten Mülleimers mit Bewegungssensor und eines japanischen Messersets.
Christians Lieblingswörter sind "normal" und "cool". "Ich bin ein ziemlich normaler Typ", sagt er und bittet darum, so wenig private Details über ihn wie möglich zu verraten, damit keine Fans vor seiner Haustür aufkreuzen. Auch seinen Nachnamen will er lieber nicht im Internet lesen, dafür sei er schon zu bekannt, und Privatsphäre ist ihm wichtig. Nur so viel: Er ist als Einzelkind in Magdeburg aufgewachsen und hat sich schon als Schuljunge in japanischen Zeichentrickserien auf Super RTL verloren. Seine Hobbys sind Radfahren, Freunde treffen, Serien schauen, "normal halt". Vor einigen Jahren hat er sich bewusst für ein Leben auf dem Land entschieden. "Stadt ist cool, aber ich bin normaler Krankenpfleger, arbeite viel und brauche auch meine Ruhe", sagt er und lässt einen Kaffee durch den Vollautomaten.
Newsletter
Seien Sie live online dabei, wenn unsere Podcasts entstehen, und treffen Sie Ihre Lieblingshosts zum ersten ZEIT ONLINE Podcastfestival am Sonntag, 20. Juni 2021.
Mit Ihrer Registrierung nehmen Sie die Datenschutzbestimmungen zur Kenntnis.
Prüfen Sie Ihr Postfach und bestätigen Sie das Newsletter-Abonnement.
Ein raumhoher Sichtschutz verdeckt den Nachbarn den Blick in seinen Wohn- und Kochbereich. Seit Anfang des Jahres lebt er auf 85 Quadratmetern in einem 500-Seelen-Ort im Norden von Baden-Württemberg. Von seiner Terrasse aus blickt man auf eine Kirche, einen Friseursalon, ein historisches Wirtshaus, jemand schrubbt sein Auto. Sein Wohnort sei ein Glücksgriff, sagt er. Einen Supermarkt oder eine schnelle mobile Internetverbindung sucht man dort vergebens.
In seinem vierzehnten Video auf zeigte Christian einen Küchen-Hack. " How to make no mess" wird zu Beginn des Videos eingeblendet, dazu läuft der Song All Stars von Smash Mouth. In 9,6 Sekunden und zehn Schnitten erfährt man darin, wie man Sandwiches macht, ohne den Sandwichtoaster zu versauen: Gerät mit Backpapier auslegen, fertig. Den Tipp hat er bei Freunden aufgeschnappt, erzählt er, das Rezept, ein Toast gefüllt mit Banane, Duplo und Twix, ist Nebensache. 1,9 Millionen Aufrufe. "Das war das erste Mal, dass ich dachte, was passiert hier gerade?"
Die Plattform der Generation ZTikTok ist eine in China entwickelte Kurzvideo-App, die Plattform der Generation Z. Die App hat nach eigenen Angaben mehr als 700 Millionen monatliche Nutzerinnen und Nutzer weltweit, mehr als 60 Prozent davon sind zwischen 14 und 23 Jahre alt. Nur 15 Prozent aller User sind älter als 35. Wer sich hier anmeldet, dem werden vom Algorithmus in Endlosschleife Video-Snacks in den Feed gespült, nie länger als 60 Sekunden, oft nur 15 Sekunden, fast immer mit Musikfragmenten hinterlegt. Tanzende Teenies, Comedy-Sketche, Beauty-Hacks, Tiercontent. Und skurrile Rezeptvideos. Die Liste berühmter TikTok-Foodtrends ist lang: Breakfast Burritos. Dalgona Kaffee. Veganes Hühnchen. Pancake Cereals. Cloud-Bread. Tassenkuchen aus Oreo-Keksen. Das derzeit meist geteilte Rezept heißt Baked Feta Pasta und geht so: Cocktailtomaten, Knoblauch und Gewürze in eine Auflaufform geben. Ein ganzer Feta in die Mitte, Olivenöl drüber, backen. Nach 20 Minuten mit Nudeln vermischen, fertig.
Seitdem eine amerikanische Kochbuchautorin Anfang des Jahres das Rezept postete, das sie bei einer finnischen Bloggerin gefunden hatte, geht es viral, verließ die Plattform erst Richtung , dann Richtung YouTube, auf diverse Kochblogs, in Lifestylemagazine und schnell auch in jedermanns Küche. Im Februar schnellten die Google-Suchanfragen nach Feta weltweit exponentiell nach oben. Die Hashtags #bakedfetapasta und #fetapasta haben allein auf TikTok mittlerweile mehr als eine Milliarde Aufrufe.
"Es geht um Abwechslung im Alltag, viele dieser Trends flauen nach ein paar Monaten wieder ab", sagt die Ernährungswissenschaftlerin Eva-Maria Endres am Telefon. Sie forscht zu Foodtrends, hat ein Buch zur Ernährung in sozialen Medien geschrieben. Trendfood, sagt sie, falle unter die Kategorie Mikrotrends, die saisonal funktionierten. Die unterschiedlichen sozialen Plattformen befriedigen dabei ganz unterschiedliche Bedürfnisse ihrer User. Auf Instagram sind Nutzerinnen auf der Suche nach schönen Fotos und positiven Emotionen, es gehe um Ästhetik, sagt die Ernährungswissenschaftlerin. Farbenfrohe Smoothies und Bowls, die gleichzeitig auch noch gesund sind, kommen dort besonders gut an. Bei TikTok dagegen geht es um Spaß. Lecker muss es sein. Einfach. Und satisfying. "Die Videos müssen primitive Reize ansprechen, die auf unser Belohnungszentrum wirken und uns schnell Energie liefern. Das funktioniert am besten mit Zucker und Fett", sagt Endres.