Nora Voit

Freie Journalistin, München

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Menopause * Das Beste aus Z+: Mit 27 in die Wechseljahre

Als sie die Pille absetzt, bleibt ihre Periode aus. Die Diagnose: 20 Jahre zu früh in den Wechseljahren. Die Geschichte einer jungen Frau, die dennoch ein Kind bekam

Wenn sich in der Mitte des Lebens der Hormonhaushalt ändert, gerät manches durcheinander - bei Frauen wie bei Männern. Alles nur schlimm? Nein, sagt die Wissenschaft. Ein Schwerpunkt über die Vielfalt der Wechseljahre

"Mit 27 Jahren stand auf einmal meine Welt auf dem Kopf." Mit diesen Worten beginnt Karla* ihren ersten Post auf Instagram. Darauf zu sehen: Ein Handyfoto vom Befund ihrer Blutuntersuchung, ein Meer aus Zahlen hinter unscheinbaren Vergleichszeichen und kryptischen Fachbegriffen. Der Östrogenwert: zu niedrig. Der FSH-Wert: zu hoch. Und ganz unten, der Wert des Anti-Müller-Hormons. Kleiner als 0,1. Das heißt: quasi keine Eizellreserve.

Karla, heute 30 Jahre alt, ist eine von durchschnittlich hundert Frauen mit prämaturer Ovarialinsuffizienz. Mehr als zwanzig Jahre zu früh steckt sie in den Wechseljahren, also der Zeitspanne, in der sich die Eizellreserven erschöpfen und damit die fruchtbare Phase einer jeden Frau zu Ende geht. Zwischen 45 und 60 Jahren klagen Frauen über Hitzewallungen, Reizbarkeit, Libidoverlust und Schlafstörungen. Sie tauschen sich mit Freundinnen, in Foren und Facebook-Gruppen über ihre Beschwerden aus. Als Karla die Diagnose erhält, ist sie ganz alleine.

Karla, die eigentlich anders heißt, lebt in einem kleinen Ort in Niedersachsen, ist Angestellte bei einer Krankenversicherung und war 27 Jahre lang gesund. Wie viele andere Mädchen hat sie mit 15 die Pille verschrieben bekommen, erst zehn Jahre später setzte sie sie ab, weil sie ihrem Körper etwas Gutes tun wollte. "Ich habe drei Kilo abgenommen, mich topfit gefühlt und war besser gelaunt", sagt sie heute am Telefon, wenn sie über damals spricht. Auch ihr Zyklus gewöhnte sich scheinbar schnell an die Umstellung: Sie hatte einige Monate lang wie jede andere Frau einmal im Monat ihre Periode, im Urlaub auf Bali war ihre Regelblutung noch einmal besonders stark. Dann blieb sie aus. Schwanger war sie nicht und wollte sie zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht werden.

Die Ärztin sagte: Das klingt ja fast nach Wechseljahren. Beide lachten darüber; ein absurder Gedanke

An die Wochen danach erinnert sich Karla noch genau: In Kundengesprächen auf der Arbeit färbten sich mehrmals die Stunde ihre Wangen rot; sie überfielen Hitzewallungen. Sie hatte miese Laune, schlief schlecht und lag nachts mit Panikattacken und Gedankenspiralen wach. Sie hatte keine Lust auf Sex, obwohl sie frisch mit ihrem Partner zusammen war. Es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren. Und bald schon stolperte sie in der Kundenberatung durch Sätze, die ihr normalerweise mühelos über die Lippen kamen. Nach zwei Monaten ging Karla mit ihren Beschwerden zu ihrer Hausärztin. Die sagte: Mensch, das klingt ja fast nach Wechseljahren. Beide lachten darüber; ein absurder Gedanke.

"Auch wenn es wenig Frauen sind, die insgesamt von dieser Erkrankung betroffen sind, ist man von jeder Einzelnen berührt", sagt Bettina Toth, Leiterin der Universitätsklinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin in Innsbruck. Rund 50 Patientinnen mit vorzeitigen Wechseljahren betreut sie aktuell, zwei davon kamen mit gerade einmal 17 Jahren wegen ausbleibender Periode und Stimmungsschwankungen zu ihr in die Sprechstunde. Manche der Frauen hatten einen langen Weg hinter sich, andere vermuteten einfach nur einen unregelmäßigen Zyklus. Viele der Patientinnen behandelt sie gemeinsam mit niedergelassenen Kollegen oft über Jahre und sogar Jahrzehnte. Austausch und Aufklärung sind bei seltenen Diagnosen wie dieser besonders wichtig, betont sie.

Nachweisen lassen sich die vorzeitigen Wechseljahre über eine Untersuchung von Hormonspiegeln im Blut: Je weniger weibliche Hormone der Eierstock bildet, desto höher schlägt der Wert des follikelstimulierenden Hormons (FSH) aus, das in speziellen Zellen der Hirnanhangsdrüse produziert wird. Der Körper versucht damit auszugleichen, dass die Produktion von Östrogen und Progesteron sinkt. Liegt das sogenannte Anti-Müller-Hormon noch dazu im nicht nachweisbaren oder sehr niedrigen Bereich, kann sich Bettina Toth fast sicher sein, dass bei der Patientin keine oder nur noch wenige Eizellen vorrätig sind. Auf die Diagnose folgten oft lange Gespräche mit den Patientinnen, sagt sie, manchen Frauen hilft eine psychotherapeutische Anbindung. Auch, weil vorzeitige Wechseljahre bedeuten, dass man mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr mit eigenen Eizellen schwanger werden kann.

Am Tag ihrer Diagnose saß Karla ihrer Frauenärztin gegenüber und verstand nur Bahnhof. Die Gynäkologin hatte eine Blutuntersuchung angeordnet und an diesem Abend im Spätherbst 2017, kurz vor Praxisschluss, minutenlang die Ergebnisse daraus vorgelesen. Von einem erhöhten FSH-Wert habe sie gesprochen und davon, dass sie schnellstmöglich einen Termin in der Endokrinologie in Hamburg machen sollte. "Sie wollte Mitgefühl zeigen, war aber total unsicher, hat verzweifelt geguckt und drumherum geredet", erinnert sich Karla heute.

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