Nora Voit

Freie Journalistin, München

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Das viel zu späte Entsetzen über die Verachtungs-Show | Übermedien

Es hätte gut ausgehen können: Zehn aus dem Trash-Fernsehen recycelte C-Promis, eine Luxusvilla am Strand von Phuket, 100.000 Euro Preisgeld. Der Sekt knallt, das Timing stimmt - das Konzept des neuen Sat.1-Formats „Promis unter Palmen" verspach soliden Quarantäne-Eskapismus.

Auch viele TV-Kritiker*innen wollten nach einer lähmenden Staffel „Dschungelcamp" und dem Flop von „Big Brother" über die modrigen Ecken unter Palmen hinwegsehen: „Niemand, aber wirklich niemand, hätte damit rechnen können, wie großartig, witzig, skurril und ablenkend diese Sendung werden würde", schwärmt „DerWesten" zum Showstart am 25. März, „Focus Online" sieht in „Promis unter Palmen" einen „echten Lichtblick" und eine „Perle", DWDL ein „Guilty Pleasure", „Bild" nennt das Format die „beste Trash-Show des Jahres", und sogar der „Spiegel" kommt zu dem Schluss: „Es kommt zu rechten Zeit."

Zu spät kommt die Erkenntnis: „Promis unter Palmen" ist triefend toxisches Fernsehen. Eigentlich wäre es das Mindeste, wenigstens das Finale nicht mehr auszustrahlen, das heute Abend bei Sat.1 auf dem Programm steht.

Alles ist vergiftet

Vier Folgen, über 500 Sendeminuten lang, blieb die beispiellose Giftigkeit dieser Show ohne große Reaktion. Weder sexuelle Belästigung, noch Mobbing, nicht einmal ein frauenverachtendes privates Video von Kandidat Bastian Yotta konnte an der kollektiven Verzücktheit an „Promis unter Palmen" rütteln.

Erst im Halbfinale lässt die x-te Mobbing-Attacke („Weißt du, was wir alle haben, was du nicht hast? Jemanden zu Hause, der sich auf einen freut") gegen Kandidatin Claudia Obert viele Zuschauer*innen von ihrer Sofaseligkeit aufschrecken. Am Abend vor Oberts „freiwilligem" Abgang, während die Kandidatin weinend auf dem Fußboden liegt und der Sender zum ersten Mal beschließt, sie als Opfer, nicht als betrunkene Witzfigur zu inszenieren, zieht ein Shitstorm durchs Netz:

Leider mutiert #PromisunterPalmen mit der heutigen Folge von einer sehr unterhaltsamen Trash-Sendung zu einem unerträglichen Mobbing-Format, bei dem alle Grenzen überschritten wurden. Finde es verantwortungslos, dass man da nicht eingegriffen hat.

- anredo (@anredo) April 22, 2020

Mit Ausstrahlung von Folge fünf sehen auch „Bild" & Co „keine TV-Unterhaltung mehr" („Bild"), sondern ein „Anti-Niveau-Format" („Web.de"), „schlimmer als das Dschungelcamp" („Die Welt"). Die Stellungnahme des Senders, dass zu jeder Zeit Betreuer und Psychologen vor Ort gewesen seien und die Sicherheit aller Beteiligten gewährleistet hätten, lässt die kollektive Empörung erst recht anwachsen. Ein Influencer-Unternehmen kündigt den beiden Haupt-Mobbern Carina Spack und Bastian Yotta den Vertrag, und der Gewaltpräventions-Berater Carsten Stahl erstattet Strafanzeige gegen Sat.1 und die verantwortliche Produktionsfirma Endemol.

Tage später nimmt der Sender die Mobbing-Folge aus seiner Mediathek. Die zuständige rheinland-pfälzische Landesmedienanstalt LMK prüft derzeit, ob Verstöße vorliegen - „auch zu Gesichtspunkten des Jugendschutzes", wie es auf Nachfrage von Übermedien heißt.

Bühne für Sexisten und Menschenfeinde

Die Geschichte vom Mobbing-Eklat einer Trash-TV-Show hätte damit erzählt sein können, konserviert als mäßig relevanter Teil der Fernsehgeschichte. Doch das Problem dieser Show fängt früher an und hört später auf.

Einer von zehn Kandidaten ist Bastian Yotta, Dschungelcamp-Überlebender und selbsterklärter Coach, einer, der meint, dass sich eine Frau „in den Arsch ficken zu lassen hat", schließlich habe sie drei Körperöffnungen. Entsprechender Müll sickerte Mitte April aus einem vier Jahre alten Coaching-Video ins Netz, da hatte Yotta bereits etliche Sendeminuten der im November aufgezeichneten Show gefüllt. Aus dem Zusammenhang gerissen, ein Ausrutscher, versuchte der 43-Jährige sich zu rechtfertigen. Auch Sat.1 reagierte unbeholfen. Erst eine Woche nach Auftauchen des Videoschnipsels twittert der Sender:

In eigener Sache: SAT.1 distanziert sich grundsätzlich von allen gewaltverherrlichenden und sexistischen Aussagen. Die Produktion von #PromisunterPalmen ist eine Aufzeichnung. Weitere Produktionen mit Bastian Yotta sind nicht geplant.

- SAT.1 (@sat1) April 20, 2020

Währenddessen beweist sich Yotta jeden Mittwoch zur Primetime als manipulativer Vollzeit-Sexist: „Bist du eine Frau, die zu ihrem Wort steht?", maßregelt er Obert, die er alkoholabstinent coachen möchte - wenn sie den Blick abwendet, fasst er ihr ins Gesicht, wenn sie nicht spurt, wird ihr das Essen am selben Tisch verweigert. Glaubt man einem Leak von RTL, verlässt Yotta die Show als Gewinner.

Kein Aufschrei, kein Einschreiten

Für noch mehr toxische Männlichkeit hat Sat.1 Ronald Schill engagiert, einst zum Innensenator von Hamburg aufgestiegener „Richter Gnadenlos", heute Quotengrapscher unter Palmen.

Schill führt fort, womit er bei „Promi Big Brother" 2014 Dritter wurde. In Folge vier zieht er, 61, die Kandidatin Janine Pink, 33, aufs Bett, drückt sich von hinten an sie, greift ihr an den Po. Sie kichert unbeholfen, ermahnt ihn, ihr lieber die Füße zu massieren. Kurz knetet er ihr die Zehen, dann krabbeln seine Finger an der Jogginghose nach oben zwischen ihre Schenkel, streicheln ihren Schritt. Mehrmals bittet Pink ihn folgenlos, seine Hände von ihrer „Monika" zu nehmen, nach sechs Minuten schält sie sich aus seinem Griff - sie müsse sich jetzt erstmal erholen.

Sechs Minuten lang halten Kameras drauf, zoomen ran an Pobacken und zwischen Beine. Fürs Entertainment krönt man Szenen wie diese mit drolligen Bauchbinden („sexsüchtiger Sexist") und bewirbt Online-Bonusmaterial („Grapscher Ronald und die Frauen"). Kein Aufschrei, kein Einschreiten.

Auch TV-Kritiker*innen finden die „Sex-Spielchen" („TV Movie") des „Lustmolchs" („Bild") noch immer amüsant. Anders als das kollektive Mobbing reicht die Belästigung einer Frau, die freiwillig an einer Unterhaltungsshow teilnimmt, als Trigger für einen Shitstorm offenbar nicht aus. Drei Jahre nach #MeToo, nach der Reform des Sexualstrafrechts mit dem selbst für einfachste Gemüter verständlichen Grundsatz „Nein heißt Nein", ist ausgerechnet eine kameraüberwachte Trash-TV-Villa Safe Space für sexuelle Belästigung.

Böses zum Frühstück, zum Mittagessen, beim Dinner

Wie konsequent der Sender Grenzüberschreitung als Unterhaltung verkauft, zeigen auch andere Szenen - teilweise lange vor dem umstrittenen Halbfinale. Ein Streit zwischen den beiden Erzfeindinnen Claudia Obert und Désirée Nick, der in einem Schubser endet. Ein vor Erschöpfung zu ertrinken drohender Tobi Wegener, der von seiner eigenen Mitstreiterin geschultert wird, bevor Rettungsschwimmer vor Ort sind. Später eine 63-jährige Désirée Nick, die nach einer Sport-Challenge in der Mittagshitze am Strand zusammenbricht, während der Sprecher kommentiert: „Désirée ist tot... unglücklich".

Nicht nur die Extremsituationen, die Handgreiflichkeiten und kollabierte Kandidat*innen, machen die Show schwer erträglich, sondern auch die alles durchdringende Bösartigkeit der Bewohner*innen untereinander, das ständige Erniedrigen, der Sexismus. Sätze wie „Du lebst doch von deinen Hupen" (Nick zu Spack) und „Das ist keine Frau, das ist ein Viech" (Mangiapane über Obert). Große Brüste machen alt, alte Frauen sind nichts wert, Frauen, die Schlappen tragen, sind Schlampen, und schönheitsoptimierte Blondinen verdienen ihr Geld zwangsläufig als Prostituierte. Böses zum Frühstück, zum Mittagessen, beim Dinner. Luftholen ist in der Show nicht möglich.

Aufwertung durch Abwertung

Es ist kein Geheimnis: Reality-TV-Teilnehmer*innen wissen, worauf sie sich einlassen - und erhalten als „Schmerzensgeld" bei „Promis unter Palmen" wohl zigtausend Euro Gage. Dementsprechend unterhaltsam kann man es finden, wenn Claudia Obert, nicht mehr ganz so erfolgreiche Modeunternehmerin Ende 50, sturzbesoffen im Satin-Nachthemd zu epischen Streichern über den Strand taumelt und Spielregeln nicht mehr kapiert. Schadenfreude kann für den quarantänegebeutelten Zuschauer heilsam sein - das Phänomen der eigenen Aufwertung durch Abwertung nennt die Soziologie „sozialen Abwärtsvergleich".

Wer kurz innehält, kann aber auch Zeuge davon werden, wie eine offenbar alkoholkranke Frau („Nüchtern halte ich das hier nicht aus") sich vor den Augen eines Millionenpublikums selbst zerlegt. Die Deutung der Bilder liegt beim Zuschauer. Nicht zuletzt die Rezeptionsethik entscheidet, ob ein Format Erfolg hat oder nicht, erklärt Joan Kristin Bleicher vom Institut für Medien und Kommunikation in Hamburg. Mehr als drei Millionen Zuschauer pro Folge und ein Marktanteil von 20 Prozent sprechen für sich: Der Zuschauer will's sehen.

„Kein Teilnehmer zu Schaden gekommen"

Geht es um die Produktionsethik, um die Rolle der Verantwortlichen, bleiben Fragen offen. Hätte die Produktion Janine Pink vor Ronald Schill und Claudia Obert vor sich selbst schützen müssen? Hätte sie Gewalt, Alkoholismus und sexuelle Belästigung kritisch einordnen, ja sogar einschreiten müssen? „Mobbing ist Teil des Unterhaltungsprinzips von Reality-TV, diese Shows leben vom Confrontainment", sagt die Medienwissenschaftlerin Bleicher, „und auch sexuelle Belästigung scheint zur Quotenstrategie zu gehören".

Auf eine halbseitige Nachfrage von Übermedien reagiert Sat.1 mit folgendem Pressestatement:

„Bei der Reality-Show ‚Promis unter Palmen' handelt es sich - wie der Name schon sagt - um eine Show mit Reality-erfahrenen Promis, die ihre Sendezeit daher meist sehr gezielt zu nutzen wissen und sich sehr bewusst sind, dass die Kamera permanent läuft. Wir schreiben den Promis nicht vor, wie sie sich als erwachsene Menschen zu verhalten haben. Wichtig ist: Kein Teilnehmer ist zu Schaden gekommen, die Sicherheit am Set war stets gewährleistet."

Grenzüberschreitungen beim Namen nennen

Ein Sender, dem jedes Mittel für die gute Quote recht ist, Kandidat*innen, die Gift spucken und eine Branche, an der offensichtlich sämtliche Debatten der vergangenen Jahre vorbeigezogen sind: Für Kulturpessimisten wäre „Promis unter Palmen" ein Anlass, mal wieder den Tiefpunkt der Fernsehunterhaltung auszurufen.

Mehr geholfen wäre der Unterhaltungskultur, würden zumindest die Medien Grenzüberschreitungen beim Namen nennen: Schill ist nicht rollig, sondern übergriffig. Yotta kein Coach, sondern Sexist. Nick keine Natter, sondern eine Menschenfeindin. Und „Promis und Palmen" ist selbst mit Lockdown-Langeweile nicht die „beste Show gegen den Quarantäne Blues", sondern eine Bühne für Arschlöcher, eine Spielwiese für Anti-Solidarität, ein Rückschlag für die Gleichberechtigung. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass grell ausgeleuchtete und kameraüberwachte Reality-TV-Villen nicht einen Mikrokosmos unserer Gesellschaft zeigen, sondern, naja, nur einen Haufen Müll.

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