Nora Schmitt-Sausen

Journalistin Schwerpunkt USA, Berlin

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Artikel

Wo war Obama?

Von Nora Schmitt-Sausen

Es ist ein schmerzhafter Abend für Barack Obama: Romney spricht flüssig, Obama stottert. Romney lächelt offen, Obama senkt den Blick. Romney macht Witze an den richtigen Stellen, Obama an den falschen. Romney überrascht mit klaren Aussagen, Obama langweilt mit alten Geschichten. Die 90 Minuten des ersten TV-Duells zwischen Präsident Obama und seinem republikanischen Herausforderer erschüttern selbst die Moderatoren des liberalen Senders MSNBC. "Wo war Obama?", echauffiert sich der populäre Frontmann Chris Matthews unmittelbar nach Ende der Debatte vor laufenden Kameras. Er ist nicht der einzige, der sich diese Frage nach dem Auftritt stellt.

Der Präsident, einst umjubelter Star einer ganzen Nation, ein begnadeter Rhetoriker und charismatischer Visionär mit messerscharfen Verstand, er spielte in diesem Duell die Nebenrolle. Der Auftritt des Demokraten war uninspirierend, kraftlos, lustlos. Fast ohne jede Gegenwehr überließ er Romney das Feld. Schlimmer noch: Obama ließ sich von seinem Herausforderer vor sich hertreiben.

Romney attackiert, Obama lächelt

Romney attackierte Obama an genau den richtigen Stellen. Da, wo es dem Demokraten besonders wehtut. Er zeichnete ein düsteres Bild von dem Amerika unter Obamas Führung: eine Arbeitslosenquote im Dauerhoch, die Rekordzahl von 47 Millionen Amerikanern, die auf Essensmarken angewiesen sind, eine blutende Mittelklasse, massig Uniabsolventen ohne Job. Fast jeder Hieb saß.

Und was tat Obama? Nichts. Er griff nicht ein bei Romneys Ausführungen. Er widersprach ihm nicht. Er baute keine Gegenposition auf. Was tat Obama stattdessen? Er nickte zu den Aussagen Romneys. Oder blickte starr auf seine Notizzettel statt in die Augen seines Kontrahenten. Und er lächelte an Stellen, wo es nichts zu lächeln gab. Fast sah es so aus, als dächte der Präsident, er säße auf der Talkshow-Couch von Oprah Winfrey und plaudere über Michelle Obamas neustes Kleid. Nicht aber, als habe er gerade einen der wichtigsten Auftritte in diesem Wahljahr. Der Präsident wirkte merkwürdig entrückt.

Wie anders dagegen das Auftreten des oft als steif und leidenschaftslos beschriebenen Republikaners: Romney war locker, wirkte bei weitem nicht so angespannt wie Obama. Er suchte stets den direkten Blickkontakt mit seinem Gegenüber. Romney war in seiner Körperhaltung konsequent zu Obama geneigt, hörte sehr aufmerksam zu, wenn der Präsident sprach. Um dann, wenn er an der Reihe war, gnadenlos zu kontern oder besser gesagt: Obama aktiv in die Defensive zu drängen. Romney war hellwach und jederzeit bereit zum Angriff.

Republikaner ist der Chef im Ring

Selbst bei Themen, bei denen Romney in den vergangenen Monaten wenig souverän war, gelang es dem Republikaner, den Spieß umzudrehen. Beispiel Gesundheitsreform. Als Gouverneur von Massachusetts hatte Romney ein Gesetz durchgeboxt, das dem von Obama sehr ähnlich ist. Das hatte es ihm bislang schwer gemacht, Obamas Reform zu attackieren. Nicht so heute. Stolz erzählte Romney, dass sein Gesetz eine Vorlage für Obama gewesen sei. Gerne schmückt sich der Präsident mit den Federn seiner "historischen Reform". Heute brüstete sich Romney damit.

Romney bezichtigte Obama mehrfach, seine Hausaufgaben nicht gemacht zu haben und Unwahrheiten über ihn zu erzählen. Etwa bei der Frage nach Besteuerungen für Reiche. "Um das klar zustellen, ich werde keine Steuererleichterungen für Millionäre verabschieden, auch wenn Sie das noch so oft betonen". Reaktion Obama? Er ließ es widerspruchslos stehen. Romney redete die republikanischen Privatisierungs-Pläne für Medicare schön, die staatliche Krankenversicherung für Rentner. Obama? Ließ ihn gewähren. Energiepolitik: Romney listete Obamas Fehlinvestitionen in alternative Energien auf. Obama? Der nickte.

Andersherum verstand es Romney gekonnt, Obamas Ausführungen zu seinen Gunsten umzudeuten. Thema Investitionen in Schulen, Obamas Steckenpferd: "Ich liebe unsere Schulen. Ich liebe unsere Lehrer." Selbst eines von Obamas bekannten Stilmitteln, persönliche Geschichten von Menschen zu erzählen, die er bei seinen Reisen durch das Land trifft, machte sich Romney zu eigen. Er erzählte einfach seine Geschichten.

Romney bestens vorbereitet

Der Republikaner streckte mit solchen Manövern vor allem die Hand nach denjenigen aus, die noch unentschieden sind, für wen sie am 6. November votieren sollen. Er, der Multimillionär, oft skizziert als unempfänglich für die Sorgen der Durchschnittsamerikaner, sprach diesen nun aus der Seele: "Ich bin besorgt, dass der Weg, den Präsident Obama eingeschlagen hat, nicht der richtige für Amerika ist." Und: "Meine Priorität ist es, die Leute zurück in einen Job zu bekommen. Sie leiden."

Es war für jeden erkennbar: Romney war besser vorbereitet auf das Duell. Er wusste, welche Botschaften er loswerden musste und wie er sie zu formulieren hatte. Während Romney kurze prägnante Sätze abfeuerte, die beim Wähler haften bleiben, verzettelte sich Obama in ermüdenden, endlosen Schachtelsätzen. Obama wirkte so, als habe er sich zwischen Wahlkampftour und Staatsbankett mal eben ein paar Stichworte auf einem Schmierzettel für das Duell gemacht.

Obama: müde und eingefallen

Und noch ein Detail fiel auf: Der Präsident sah aus, als ob er drei Tage nicht geschlafen hätte. Unbarmherzig fingen die Fernsehkameras dunkle Augenringe, ein eingefallenes Gesicht und tiefe Falten um die Mundwinkel ein. Romney, 65, und damit 14 Jahre älter und eigentlich weniger telegen als Obama, wirkte dagegen fast schon jugendlich. Seine Haut war glatt, die Augen blitzten. Eine schlechte Ausstrahlung in der TV-Debatte ist schon vor Obama manch einem Kandidat zum Verhängnis geworden.

Am Ende der 90 denkwürdigen Minuten gratuliert Obama Romney. "Das war eine hervorragende Debatte". Das hat nicht nur er so gesehen.

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