Nora Schmitt-Sausen

Journalistin Schwerpunkt USA, Berlin

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Kreative Auszeit: Vor dem Studium in den Urwald - SPIEGEL ONLINE - Leben und Lernen

Zwischen zwei Lebensabschnitten mal etwas Neues ausprobieren? Statt an der Karriere zu feilen mal den Weltenbummler mimen? Ins " Gap Year" passt viel hinein. In angelsächsischen Ländern gehört ein kreativer Schlenker im Bildungsweg mittlerweile zum guten Ton und in den vorbildlichen Lebenslauf.

Auch Lauren war nach ihrem Highschool-Abschluss noch nicht für das College bereit. Die 18-Jährige hatte andere Pläne. "Ich musste erst mal meine Interessen sondieren, ohne durch den ganzen Karrieredruck belastet zu sein", sagt sie. Also legte sie ihre Bewerbung an der Princeton-Universität im Bundesstaat New Jersey auf Eis und machte sich auf nach - Marokko. Dort half sie dabei, Häuser zu renovieren, lernte Arabisch und erkundete die Sahara.

Bisher standen die US-amerikanischen Highschool-Absolventen in dem Verdacht, nach der Schule gerade mal von der Westküste bis zur Ostküste des Landes zu denken, den Rest der Welt ein wenig zu ignorieren und direkt nach dem Abschluss sofort den College-Büchern zu verschwinden. Jetzt hacken sie Holz am Amazonas, mixen Zement für Dorfschulen in Bolivien oder verbessern ihre Fremdsprachenkenntnisse beim Praktikum in Spanien.

Trendsetting mal andersherum: Von Europa in die USA

Der Vorreiter der "Gap Year"-Idee sind dieses Mal die europäischen Länder, speziell Großbritannien. Dort machen elf Prozent aller zukünftigen Studenten eine solche Pause vor der Uni, in Skandinavien ist die kreative Auszeit ebenfalls üblich.

Ganz so weit sind die USA noch nicht: Laut einer Studie der Universität von Kalifornien nehmen erst knapp zwei Prozent ihr Studium verspätet auf. Doch das Interesse am Gap Year steigt: Die Ende 2007 gegründete Internet-Plattform "Planet Gap Year" kam in diesem Jahr auf 25.000 Seitenaufrufe. "Das Bewusstsein hat sich sehr verändert", sagt Holly Bull, Präsidentin des "Center for Interim Programms", einer der bekanntesten Organisationen für Gap-Year-Aufenthalte in den USA.

"Viele nutzen die Zeit gezielt, um sich weiterzubilden", sagt Ulrich Grothus vom New Yorker Büro des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Vor allem überdurchschnittlich gute Studenten gönnen sich ein Jahr Pause von der Universität, um im Ausland neue Impulse zu bekommen. Der DAAD hilft dabei und vermittelt etwa Kontakte zu Forschungseinrichtungen in Deutschland.

Princeton schickt jeden Zehnten ins Gap Year

Amerikas Universitäten fördern den Trend mit eigenen Programmen: Die Uni Princeton gab kürzlich bekannt, dass man ab 2009 wenigstens ein Zehntel der Studenten zunächst ein Jahr zum sozialen Dienst ins Ausland schicken wolle, bevor sie ihr Studium beginnen.

Auch die Highschools können das wachsende Interesse nicht mehr ignorieren. Statt ihre Schüler lediglich mit den nötigen Infos rund um den schnellen College-Einstieg zu versorgen, wird jetzt auch vielfach über die Möglichkeiten des Gap Year informiert. Die Privatschule Hotchkiss in Connecticut hat in diesem Jahr sogar einen externen Berater angeheuert, der Schülern hilft, ihre Pläne zu verwirklichen.

Dass die Universitäten und Schulen auf den Zug aufspringen, sei eine noch nie dagewesene Entwicklung, sagt Bull. Doch die Hochschulen handeln nicht uneigennützig: Wenn die jungen Weltenbummler ihr Studium aufnehmen, verfügen sie über einen erweiterten Horizont, größere Motivation und Reife.

Auch in Deutschland ist die Auszeit bereits seit einigen Jahren stark im Kommen, wie Tanja Kuntz von der "Travelplus Group GmbH" bestätigt. Bereits 2004 hat die auf Sprachreisen und soziale Auslandsdienste spezialisierte Firma ein eigenes Gap-Year-Programm gegründet. Gut 5000 "gapper" schickt "Travelplus" heute jährlich in die Welt hinaus.

Für Lauren, die nun in diesem Herbst ihr Studium in Princeton beginnt, ist klar: Der Zwischenstopp auf der Karriereleiter hat sich gelohnt. Ihre internationale Entdeckungsreise habe ihre Lust aufs Lernen und ihre Neugier verstärkt. Sie habe einen "Mordshunger" auf Neues entwickelt.

Von Nora Schmitt-Sausen, dpa

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