Nora Schmitt-Sausen

Journalistin Schwerpunkt USA, Berlin

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"Young Heart ": Opa singt Nirvana

Stan Goldman ist ein Phänomen. Der 78-Jährige scheint sich kaum aus dem Rollstuhl erheben zu können. Doch nur Sekunden später steht er auf der Bühne, röhrt, stöhnt und schreit fast wie Mick Jagger in seinen besten Zeiten. James Browns "I Feel Good" ist Goldmans Paradenummer - und das Publikum im Washingtoner Duke Ellington Theater reißt es vor Begeisterung von den Sitzen. "Diese Leute sind wunderbar. Sie sind so voller Energie. Das macht mir Hoffnung", sagt Konzertbesucherin Yvette Choban, selbst erst 61.

Bald in deutschen Kinos

Goldman gehört zum Chor Young Heart aus Northampton im US-Bundesstaat Massachusetts. Das jüngste Mitglied der 24-köpfigen Truppe ist derzeit 73, das älteste 89 Jahre alt - doch die Senioren sind weder zittrig noch müde. Im Gegenteil: Young Heart zeigen, dass man auch im Alter noch einen drauf machen. Ab 2. Oktober kann das auch das deutsche Publikum erleben - dann kommt ein bewegender Dokumentarfilm über die Combo in die hiesigen Kinos.

Auch darin wird man den kleinen, zerbrechlich wirkenden Lenny Fontaine (87) sehen, wie er zu "Road To Nowhere" grinsend und kraftvoll auf den Boden stampft. Chor-Kollege Goldman, der an einer schmerzhaften Wirbelsäulenerkrankung leidet, schwingt zum Queensong "I Want To Ride My Bicycle" den Gehstock im Takt. Und Charmeur Steve Martin (76) wirft bei "Yes We Can Can" von den Pointer Sisters, einem der populärsten Songs von Young Heart, Kusshände in den Saal und flirtet genussvoll mit seinem Publikum.

Es ist nicht nur das Wie, es ist auch das Was, durch das der Chor sein Publikum verzaubert: Young Heart singen keine Songs für die Kaffeefahrt - sondern treibende Rocksongs, lässigen Pop und bewegende Balladen. Chorleiter Bob Cilman lässt seine Senioren seit 1982 Songs von Nirvana, Jimi Hendrix oder David Bowie interpretieren. "Ich sehe das als Erweiterung meines Horizonts", sagt Goldman, sonst Hörer klassischer Musik.

Kaum jemanden sitzt mehr, wenn der Chor leidenschaftlich "You Can't Always Get What You Want" von den Rolling Stones schmettert oder Helen Boston (78) verschmitzt "Baby, Let's Walk On the Wild Side" ins Mikro haucht. Die Texte kriegen plötzlich ganz neuen Sinn. Unter den 800 Zuschauern in Washington singen, wippen, klatschen, lachen aber keineswegs nur Senioren. Gerade junge Leute sind begeistert von den quicklebendigen Alten. "Man meint immer, alte Leute hätten keinen Spaß, aber dieser Menschen sind einfach fantastisch", sagt die 26-jährige Amanda Nimmer. Bei Bob Dylans "Forever Young" kommen ihr die Tränen.

"Man muss gegen das Älterwerden ankämpfen", sagt Norma Landry, seit 15 Jahren bei Young Heart und mit dem Chor schon oft durch Europa getourt. "Mit 18 wollte ich Musik studieren, jetzt mache ich das eben mit 81. Und ich liebe es." dpa

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