Annette Hillebrandt, Architektin und Professorin für Baukonstruktion, Entwurf und Materialkunde an der Bergischen Universität Wuppertal, nimmt seit vielen Jahren die Baubranche in die Pflicht, deren CO2-Ausstoß und Abfallproduktion riesig ist. „Dennoch", sagte sie vor dem Interview, „gibt es in Deutschland nur eine Handvoll Leute, die sich mit diesem Thema beschäftigen." Annette Hillebrandts Arbeit wurde vielfach ausgezeichnet. Der „Atlas Recycling", den sie 2018 gemeinsam mit drei Kolleginnen herausgebracht hat, klärt über Materialien und Inhaltsstoffe auf und enthält ausführliche Beschreibungen, wie Gebäude als Materialressource geplant werden können und wie Bauen nachhaltiger funktionieren kann. Er erhielt im vergangenen Jahr den Hans-Sauer-Award für herausragende Forschungsarbeiten.
Meine Südstadt: Wie genau sieht nachhaltiges Bauen aus?
Annette Hillebrandt: Den Begriff „Nachhaltiges Bauen" gibt es sicher schon vierzig, fünfzig Jahre lang. Damals verstand man darunter Bauen mit Stroh, Lehm und Holz, das haben wir ein bisschen als Öko-Ding abgetan. Und man muss im Nachhinein sagen: Global gesehen und angesichts der Krise, die wir jetzt haben, war das wohl schon damals das „richtige" Bauen. Wir verbrauchen einfach zu viele Ressourcen und hinterlassen zu viel Abfall, damit meine ich auch CO2.
Für dieses riesige Abfallaufkommen ist leider auch meine Branche stark mit verantwortlich: jährlich kommen mehr als fünfzig Prozent des Abfalls aus dem Bauwesen - seit mehr als zwei Jahrzehnten.
Warum ist es nicht günstiger für Bauende, auf bereits vorhandene Ressourcen zurückzugreifen?
Da gibt es Schwierigkeiten. Zum einen ist es so, dass wir keinen vernünftigen Rückbau haben. Auch hier in Köln: Es gibt immer noch zu viele Baustellen, die nicht selektiv zurückgebaut werden, wo nicht in Einzelteilen alles demontiert und ordentlich sortiert wird, sondern einfach niedergerissen wird und am Ende ein Haufen unsortierter Müll dabei herauskommt. Zweites Problem: die Wiederverwendbarkeit gebrauchter Bauteile und Baustoffe. Eine Isolierverglasung z.B. hat eine bestimmte Lebensdauer von vielleicht 30 Jahren; wenn man jetzt also ein Fenster wiederverwenden will, das schon zehn Jahre alt ist: Wer gibt dann darauf noch die Gewährleistung? Der Hersteller sicher nicht, der Rückbauunternehmer auch nicht, ebenso wenig wie die Architekten. Es gibt keine gesetzliche Regelung dazu.
Hat das auch mit Subventionen zu tun?
Auf jeden Fall. Wenn eine Regierung in der Hinsicht wirklich was bewegen wollte, müsste sie auch sagen: Wir bezahlen die Tests für die Leistungsfähigkeit der Alt-Bauteile. Damit würde man die Bereitschaft zur Wiederverwendung sicher erhöhen. Außerdem muss der Bedarf immer abgeglichen werden: was ist überhaupt verfügbar auf dem Gebrauchtmarkt? Dazu müsste man eine bundesweite Gebrauchtbörse initiieren. Der logistische Aufwand kostet leider letztlich mehr Geld - also Umkehren des Planungsprozesses: erst Bauteile kaufen, dann planen - und dies für Architekten ziemlich unsmart, mit großer Einschränkung der kreativen Freiheit. Dann lagern, bevor man überhaupt weiß, ob der Bauantrag durchgeht. Das Risiko erhöht sich und die Planer müssten auch mehr Honorar bekommen. Also müsste man - wenn Ressourcenschonung gewollt wäre - den Bau mit ReUse-Material subventionieren. Umgekehrt könnte man aber auch sagen, dass unsere Neu-Produkte alle viel zu billig sind. Und zwar vor allem, weil wir das end of life nie in die Kosten mit einrechnen.
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