Nora Koldehoff

Freie Autorin / Freie Journalistin, Köln

3 Abos und 1 Abonnent
Artikel

"Lebensend und Sonnenschein"

Szene im Park (Bild: Nora Koldehoff)

Als die Schelle ertönt, die das Signal zum Start gibt, setzt sich die Gruppe „Geh' aus, mein Herz, und suche Freud" singend in Bewegung. Das Publikum folgt. 40 Jahre alt ist das „Altentheater" des „Freien Werkstatt Theaters" in diesem Jahr geworden und das wird gefeiert - mit Veranstaltungen und Sondervorstellungen. Am vergangenen Sonntag lud das Ensemble zum Jubiläum zu einem ganzen besonderen Tag ein, zu einem Theaterspaziergang mit anschließendem Picknick im Grünen.

Beim Theaterspaziergang wurden der Römerpark zur Bühne und Kulisse für kleine Szenen, in denen zum Teil der Ort und zum Teil die Lebenswelt der Darsteller*innen das Thema waren. So schlüpfet einer der Darsteller in die Rolle des 1852 geborenen städtischen Gartendirektors Adolf Kowallek und berichtete, wie der Park entstanden ist. Ein anderer begeisterte sich für die Artenvielfalt der darin stehenden Bäume. Von Station zu Station führte die Schauspielgruppe ihr Publikum, rezitierte zwischen Sträuchern stehend oder im Eiben-Gebüsch auf einem Ast hockend Gedichte und auch eigene Texte. Die Sprache der Blumen, der eigene Körper und die Liebe zu einem Baum, der nicht mehr steht, wurden lyrisch in Szene gesetzt. Das Gedicht „Warnung" von Jenny Joseph erzählt davon, wie ausgiebig das Alter auch dafür genutzt werden kann, Angepasstheit und Erwartungen abzuschütteln und einfach mal über die Stränge zu schlagen.

Darsteller*innen fanden sich zwischen den Bäumen zu Tanzpaaren zusammen. Als Gorillas Maskierte bereiteten dem überraschend ein jähes Ende, und nach einem kurzen Vortrag ging diese Performance nahezu nahtlos in die Suche aller nach dem Glück über - ob mit Metalldetektor, Schaufel oder Schmetterlingsnetz ausgerüstet. Als Gartenzwerge verkleidet warnte die Gruppe ihr Publikum: „Wer altet, erkaltet". Oder sie nahm Frauengespräche auf dem Friedhof auf's Korn und Männergespräche über altersbedingte Gebrechen und technische Hilfsmittel, die als Fazit „Lebensend und Sonnenschein" schmetterten.

Die Geschichte von Abraham Ochs

Den Abschluss der Runde durch den Park bildete die Geschichte des jüdischen Kindes Hans Abraham Ochs, der als Achtjähriger im Römerpark von Mitgliedern der Hitlerjugend erschlagen wurde, nachdem er einen Bekannten aus der Gruppe angesprochen hatte. Zum Ausklang spielte Sabine Falter auf dem Akkordeon das hebräische Volkslied „Hava Nagila".

Was das „Altentheater" so besonders macht, ist nicht nur das gehobene Alter der Darsteller*innen. Es ist vielmehr die Spiellust, die sie sich erhalten haben. Dieses Laientheater bringt keine fertigen Theaterstücke auf die Bühne, sondern Szenen, die sich im Dialog zwischen Regisseurin und Darsteller-Gruppe entwickelt haben. „Beim Theatertraining", erläutert Ingrid Berzau, die gemeinsam mit Dieter Scholz das „Altentheater" leitet, „gebe ich Themen in die Gruppe, auf die diese dann reagiert. Das können persönliche Themen sein oder auch politische oder gesellschaftliche. In dem Moment ist es aber erst ein Testlauf: Wie reagiert das Ensemble, ist das ein Thema, das etwas anstößt, oder nicht. Und alle, die mitmachen, geben ihre persönlichen Assoziationen hinzu: Gedanken, Reaktionen und auch persönliche Erlebnisse. Das fließt dann wieder in die Entwicklung des Stückes ein. Thematisch hängen die Szenen eines Stückes zusammen, nicht aber unbedingt inhaltlich. In jedem Fall aber sind unsere Stücke alle sehr persönlich und durch die Charaktere der Einzelnen geprägt."


(...)


Mittwoch, 26. Juni 2019 | Text: Nora Koldehoff



Zum Original