In grünen Gummistiefeln und blauem Arbeitszeug steht Niels Friedrichsen an Deck. Anderthalb Tage war er jetzt auf See und ist mit seinen Netzen über den Meeresboden gepflügt. Hat die Krabben direkt an Bord sortiert, gewaschen, abgekocht und eingelagert. Bei Wind, Regen oder Sonnenschein, bei ruhiger See und Wellengang. Das braucht Kraft - und eine gehörige Portion Idealismus.
Im Grunde ist es bei den Krabbenfischern wie bei allen anderen Jobs: Es gibt die guten Tage - und es gibt die weniger guten. Für Niels Friedrichsen, 30 Jahre jung, haben die weniger guten längst überhand genommen. Schon im dritten Jahr in Folge läuft es jetzt so schlecht, dass aus einer diffusen Sorge konkrete Existenzängste geworden sind. "Noch mal", sagt Friedrichsen, "würde ich mir diesen Job nicht aussuchen."
52 Kisten mit je 18 Kilo frischer Krabben wird er heute an den holländischen Großhändler Klaas Puul verkaufen. Das ist sein gesamter Fang. "70 Kisten müssten es mindestens sein", sagt er, "sonst lohnt sich die Ausfahrt kaum."
Im Kern liegt das an den niedrigen Preisen, die die Fischer für ihre Krabben bekommen. Früher gab es für ein Kilo Krabben etwa vier Euro, jetzt muss Friedrichsen mit 2,50 Euro rechnen. Genau weiß er das aber erst, wenn Klaas Puul das wöchentliche Fax mit der Summe verschickt, die das Unternehmen zahlen wird. Drei Euro, so viel braucht Friedrichsen mindestens, damit sich die Ausfahrt lohnt. Die Fischer feilschen um Centbeträge. Der Markt allerdings ist millionenschwer.
Kontrolliert wird er von zwei holländischen Großhändlern. Mit einem Jahresumsatz von geschätzten 180 Millionen Euro ist Klaas Puul der kleinere von beiden. Zweiter Part der Doppelspitze ist das Unternehmen Heiploeg. 14 Millionen Kilo Krabben soll es pro Jahr aufkaufen und dabei rund 300 Millionen Euro erwirtschaften. Zusammen kommen Klaas Puul und Heiploeg auf einen Marktanteil, der sich zwischen 80 und 90 Prozent bewegt.
Es riecht nach Diesel, als Niels Friedrichsen die weißen Krabbenkisten
mit einem Kran aus dem dunklen Schiffsrumpf an Land hebt. Ein
Gabelstapler bringt sie direkt in die Büsumer Niederlassung von Klaas
Puul. Keine 5000 Einwohner hat das Nordseestädtchen, dafür ein
Vielfaches an Gästebetten und noch mehr Touristen, die Büsum jedes Jahr
zum wichtigsten Urlaubszentrum in Dithmarschen machen. Es ist vor allem
das Wattenmeer, das zieht, aber auch das maritime Flair und die vielen
Fischbuden, die in Hafennähe kaum noch zählbar sind. 3,50 Euro kostet
hier ein Krabbenbrötchen. Im Großen und Ganzen ist das nicht mehr oder
weniger als in Hamburg, Berlin oder Castrop-Rauxel.
Eigentlich müssten die Fischbudenbesitzer in Büsum einfach nur ihre 20,
50 oder 100 Meter zum Hafen gehen und sich die Krabben direkt von den
Schiffen holen. Das wäre logisch. Tatsächlich aber werden die Kisten mit
einem LKW quer durch Europa gefahren und nach Marokko verschifft. In
großen Hallen werden die Krabben hier von Hand gepult - und dann geht es
zurück. Das ist Globalisierung. "Früher", sagt Niels Friedrichsen,
"wurde in Polen gepult. Aber seit dem EU-Beitritt sind die
Lohnnebenkosten dort so stark gestiegen, dass sich das nicht mehr
lohnt." Deshalb Marokko - mit einer Ersparnis von rund 15 Prozent.
Pulmaschinen gelten als zwecklos. Zwar hat jede Krabbe zehn Füße und
zwei Fühler, ist aber äußerst unbeständig in ihrer Länge.
Rund 250 Krabbenkutter gibt es in Deutschland. Ein Teil davon wird von
den Vertragsfischern wie Niels Friedrichsen betrieben, die ihren Fang an
einen Händler weiterverkaufen. Der Rest bietet seine Ware auf Auktionen
an. Die meisten Fischer sind Einzelkämpfer oder kleine
Familienbetriebe, besitzen nur einen Kutter, höchstens zwei. Im
Gegensatz zu den Holländern haben es die meisten Deutschen verpasst,
rechtzeitig zu investieren, eine eigene Industrie aufzubauen. Die
Probleme sind deshalb auch hausgemacht.
Dass sich die Preisspirale seit Jahren abwärts dreht, liegt aber auch am stetig wachsenden Fischhunger der Europäer. Denn
neben dem Fressfeind Mensch fällt die Nordseekrabbe normalerweise auch
Kabeljau und Wittling zum Opfer - doch deren Bestände sind stark
geschrumpft. Das liegt an der massiven Überfischung der Nordsee, aber
auch am Anstieg der Wassertemperatur, der die Fische vertreibt. "Im
Moment gibt es Unmengen von Krabben", sagt Dirk de Beer. Er ist der
größte Krabbenhändler in Deutschland, jedoch klein im Vergleich zu den
Holländern Heiploeg und Klaas Puul. Schon die Preise der Großen sind
meist nahezu identisch und de Beer muss sich in diesem Punkt anpassen.
Der Preiskampf tobt - auch am anderen Ende der Handelskette.
"Vor allem die Discounter, die alles unschlagbar günstig haben wollen, machen Druck", sagt de Beer. Dass die Preise der Krabbenhändler so nah beieinanderliegen und den Wettbewerb in die Knie zwingen, hat die Kartellbehörden der Europäischen Union auf den Plan gerufen. Sogar Razzien hat es gegeben. Noch ist das Verfahren offen, Auskünfte unmöglich.
"Das Problem", sagt Händler de Beer, "sind die freien Fischer, die
ihren Fang auf den Auktionen für weniger als zwei Euro verkaufen." Da
sei es unternehmerisch unklug, seinen Kuttern Preise von über drei Euro
zu garantieren, wenn die Konkurrenz woanders für deutlich weniger
einkaufen kann. "Das Problem", sagt Fischer Friedrichsen dagegen, "sind
die Holländer mit ihren großen und gut ausgestatteten Schiffen." Die
können nicht nur in die tieferen Gewässern vordringen, sondern mit
modernster Technik deutlich mehr Krabben aus dem Meer holen.
Friedrichsen und viele der kleinen deutschen Betriebe können da einfach
nicht mithalten. "Bei uns drücken die Händler die Preise dann bis zur
Schmerzgrenze", sagt er. Ab und zu wehren sie sich mit Streik, stecken
dann aber im Dilemma: Fahren sie nicht raus, haben sie keine Krabben.
Und ohne Krabben gibt es kein Geld.
Dirk de Beer hat seinen Schreibtisch im Hauptsitz seines Geschäfts in
Greetsiel, tiefstes Ostfriesland, die holländische Grenze in Sichtweite.
Hier unten beginnen die Krabbenschwärme im Frühjahr mit ihrer
Wanderung. Kommen sie an der Schleswig-Holsteinischen Küste an, sind
viele Tiere bereits abgefischt. Niels Friedrichsen bleibt da nichts
anderes übrig, als resigniert mit den Schultern zu zucken und sich mit
dem Rest zu begnügen. "Die Natur ist da einfach gegen uns."
Friedrichsen wurde das Krabbenfischen quasi in die Wiege gelegt. Schon
in vierter Generation ist seine Familie mit diesem Beruf verwoben, auch
seine Brüder haben ihre eigenen Kutter, der Vater fährt mit seinen 61
Jahren noch immer aufs Meer. Um sich für seine Zunft einzusetzen, ist
Friedrichsen seit 2009 Vorsitzender des Landesverbandes der
Schleswig-Holsteinischen Krabbenfischer, zu der rund 60 Kutter gehören.
Er hat Briefe nach Kiel und Berlin geschickt - vergeblich.
Friedrichsen hat eine Ehefrau und zwei Kinder. Von allen hängen Fotos
im Führerhäuschen seines Kutters. Elena ist erst ein paar Monate alt,
sein Sohn Jonas wird vier. Kutter "Jonas" hingegen ist Baujahr 1980 -
und ist damit vergleichsweise jung. "Wir sind eine Museumsflotte", sagt
Friedrichsen, "aber es ist nun mal kein Geld da für Investitionen." Wann
immer er zu einer Fangtour aufbricht, hofft er, dass nichts
auseinanderfällt. "Eine Reparatur geht gleich in die Zehntausende und
ist unmöglich zu stemmen."
Sein Liegeplatz im Büsumer Hafen ist der Poller mit der Nummer 72. Direkt daneben, ebenfalls vor der Kühlhalle von Klaas Puul, liegt ein noch älterer Kahn. Über 40 ist er, noch aus Holz, aber leuchtend orange getüncht. Sein Name lautet "Hoffnung".
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