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Ursula von der Leyen: (Wie) kann sie Putin stoppen?

Sie ist die mächtigste Frau Europas: Was kann Ursula von der Leyen gegen den Krieg tun? Politologe Peter Filzmaier analysiert.

Die russische Aggression gegen die Ukraine sei eine "Stunde der Wahrheit für Europa" sagte Ursula von der Leyen bei einer Sondersitzung des Europaparlaments am 1. März 2022. Aus Solidarität mit den Ukrainer:innen trugen viele Abgeordnete im Saal die ukrainischen Nationalfarben Blau und Gelb.

Eine schöne Geste, die den Krieg aber natürlich nicht beenden wird. Ein Krieg, der direkt an der Schwelle zur EU stattfindet, mitten in Europa. Tausende Opfer hat er bereits gefordert, seit Wladimir Putin seine russischen Truppen los schickte. Er ist eine Bedrohung für unsere Freiheit, erklärte die EU-Kommissionspräsidentin in ihrer Rede:

"Das Schicksal der Ukraine steht auf dem Spiel, aber es geht auch um unser eigenes Schicksal. Wir müssen die Kraft zeigen, die in unseren Demokratien steckt, das heißt, die Macht der Menschen, die ihren unabhängigen Weg frei und demokratisch wählen. "

Wird diese Kraft reichen, um Putin aufzuhalten? Als Präsidentin steht die deutsche Politikerin an der Spitze der Europäischen Kommission, sie vertritt die Interessen der Mitgliedstaaten und bestimmt die politische Agenda - und damit auch die nächsten Schritte im Umgang mit dem Krieg in der Ukraine.

Was bringen die Sanktionen?

Die Europäische Union reagierte bereits mit zahlreichen Wirtschaftssanktionen und unterstützt die Ukraine auch durch Waffenlieferungen. Welche Maßnahmen dabei wann und wie wirken, würde derzeit gerne die ganze Welt wissen, ist Politikwissenschaftler Peter Filzmaier überzeugt: "Ich möchte eine Gegenfrage stellen, die wahrscheinlich ungern gehört wird: Putin ist ja als kühl kalkulierender Stratege bekannt - welche der Sanktionen hat er also nicht sowieso erwartet und mitbedacht? Offenbar ist er der Meinung, dass diese unangenehm sein mögen, ihn aber nicht von seinen Zielen abbringen."

Auch, dass der Druck auf Putin durch die russische Bevölkerung, die unter den Sanktionen leidet, steigen könnte, bezweifelt der Politikwissenschaftler: "Die russischen Medien sind ja zur Putin'schen Propaganda verpflichtet und daher glaubt man in Russland an andere Schuldige." Wenn die aktuellen Sanktionen nicht greifen - welche Möglichkeiten hat Ursula von der Leyen dann noch, um den Krieg zu stoppen? Schließlich kündigte die Spitzenpolitikerin an: "Wir werden Putin dafür zur Rechenschaft ziehen."

Peter Filzmaiers Einschätzung: „Das hängt davon ab, wer bereit dazu ist, Entscheidungen zu treffen, die einen selbst sehr schmerzen. Das ultimative Beispiel dazu bieten die Gaslieferungen Russlands: Dreht Putin den Gashahn zu, hat die EU ein gewaltiges Energieproblem und eine Kostenexplosion. Umgekehrt gilt aber genauso: Dreht die EU den Geldhahn für Gaslieferungen zu, so verliert Putin seine wichtigste Einnahmequelle, um den Krieg längerfristig zu finanzieren."

Von der Leyens momentane Stärke sieht der Politologe in der Einigkeit und Geschlossenheit innerhalb der Mitgliedstaaten der EU gegen Russland, die einzigartig sei. Der Ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte eine Aufnahme in die EU, die so schnell aber nicht möglich sein wird. Laut Filzmaier würde dieser Schritt die Beziehung vieler EU-Staaten zu Russland schwer belasten, denn "das widerspricht geostrategisch und wirtschaftspolitisch den russischen Interessen." Trotzdem sicherte Ursula von der Leyen Selenskyi zu: "Sie sind einer von uns und wir wollen sie drin haben."

Wer ist Ursula von der Leyen?

Wer ist die Frau, die der Ukrainische Präsident um Hilfe bittet und die dieser Tage mit Europas Staatschef:innen verhandelt? Seit 1. Dezember 2019 ist Ursula von der Leyen EU-Kommissionspräsidentin. Zuvor war die 63-Jährige Deutschlands Verteidigungs-, Familien- und Arbeitsministerin. Knapp 14 Jahre lang arbeitete sie an der Seite der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel für die CDU. Jener Frau, der Italiens Ex-Premierminister Matteo Renzi kürzlich nachsagte, sie sei eine der Wenigen, die von Russlands Präsident Wladimir Putin gehört werde - und die ihn vielleicht aufhalten könne.

Seit Merkels Abgang Ende 2021 ist von der Leyen die mächtigste Frau Europas. Das zeigt traurigerweise auch: Es gibt 2022 immer noch kaum Frauen, die hohe politische Ämter bekleiden. Sogar in ihrer kurzen Amtszeit als Kommissionspräsidentin musste sie sich bereits gegen sexistisches Verhalten wehren. So etwa beim sogenannten Sofa-Gate in Ankara: Als sie gemeinsam mit dem EU-Ratspräsidenten Charles Michel im April 2021 die Türkei besuchte, wurde nur Michel neben dem türkischen Präsidenten Erdoğan ein Stuhl angeboten. Ursula von der Leyen musste am Rand auf einem Sofa Platz nehmen - ein offener Affront gegen die Spitzenpolitikerin. Danach fragte sie in einer Rede: "Wäre das auch passiert, wenn ich eine Krawatte getragen hätte?"

Wie könnte man mit Putin verhandeln?

Wie setzt man sich also durch in einer (politischen) Welt, die Frauen noch immer oft nur die zweite Reihe anbietet? Und vor allem: Gegen autoritäre Machthaber, die Krieg führen? Für Peter Filzmaier spielt es keine Rolle, was Ursula von der Leyen und Wladimir Putin voneinander halten. Viel mehr gehe es bei einer nichtmilitärischen Konfliktlösung darum, dass "alle beteiligten Akteure die Möglichkeit erhalten, Verhandlungsergebnissen mit Gesichtswahrung zuzustimmen." Das sei eben leichter, wenn eine neutrale Vermittlerin wie Angela Merkel zwischengeschaltet wird, da sie keine politischen Eigeninteressen mehr verfolgt.

Langfristig gehe es für Ursula von der Leyen auch um die Koordination mit den USA sowie der NATO. "Wie gestaltet die Kommissionspräsidentin also beispielsweise das Verhältnis zur Türkei und dessen nichtdemokratischen Staatschef Erdogan, der sich früher oft mit Putin abstimmte? Für viele solche Fragen war bisher noch gar keine Zeit."

Derzeit sollte die Spitzenpolitikerin aber vor allem ein Ziel haben: Die Geschlossenheit aller 27 EU-Mitgliedsstaaten nicht zu verlieren. "Inwieweit das in ihrer eigenen Hand liegt, ist eine andere Frage", gibt Peter Filzmaier zu bedenken. "Wir wissen alles nicht, welche Entwicklungen im Krieg Russlands gegen die Ukraine noch auf uns zukommen."

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