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Überlaufene Urlaubsziele: Wenn Tourismus zum Problem wird

© Hendrik Schwartz - Fotolia/Hendrik Schwartz/Fotolia

Gesperrte Inseln, demonstrierende Einwohner und steigende Preise: Viele Urlaubsorte leiden unter „Overtourism".

Blaue Kuppeln, weiße Hauswände und dahinter endloses Meer: Einst galt Santorin als die romantischste Inselgruppe Griechenlands, heute ist sie vor allem überlaufen. Gemütliches Schlendern durch die engen Gassen ist schier unmöglich - als Besucher muss man sich im Gleichschritt mit zehntausenden Touristen bewegen.

Die Kykladeninsel ist eine von vielen Orten, die mittlerweile unter sogenanntem „Overtourism" (Anm.: eine problematische Entwicklung des Massentourismus, bei der es zu einem Konflikt zwischen Einheimischen und Touristen kommt) leiden. Vor allem die vielen Kreuzfahrtschiffe, die täglich tausende Passagiere abladen, gelten als großes Problem für die Menschen vor Ort: „Dadurch werden die Einheimischen in ihrer Lebensweise sehr eingeschränkt, obwohl sie gleichzeitig nicht von dieser Art des Tourismus profitieren", erklärt Harald Pechlaner, Professor für Tourismus an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

Gemeinsam mit Wissenschaftlern der Ludwig-Maximilians-Universität München hat Pechlaner eine europaweite Langzeitstudie zum Thema Overtourism durchgeführt. Dass das Thema Massentourismus brandaktuell ist, belegen die Zahlen: So wurden 2017 laut ITB Berlin, Leitmesse der weltweiten Reisebranche, fast 1,2 Milliarden internationale Reisen weltweit verzeichnet, 6,5 Prozent mehr als 2016 - Tendenz steigend.

„Es war absehbar, dass es bei diesen Entwicklungen irgendwann ausarten wird," meint Jürgen Schmude, Professor für ökonomische Geografie und Tourismuswissenschaften an der Universität München, der ebenfalls an der Overtourism-Studie beteiligt war. „Bisher ist im Marketing und in der Forschung immer nur der Tourist im Mittelpunkt gestanden. In der jüngsten Diskussion wird erstmals die Lage der Einwohner berücksichtigt ." Neben den stetig wachsenden internationalen Besucherzahlen sei vor allem die zunehmende Unzufriedenheit vieler Bewohner ein Grund für die neue Perspektive gewesen, sagt Pechlaner: „Overtourism hat etwas mit der psychologischen Tragfähigkeit der Einheimischen zu tun. Es geht also darum, wie viele Touristen die Menschen vor Ort aushalten. Und gerade wurde in einigen Städten der Zenit erreicht."

Dass es vielen Städtebewohnern mittlerweile reicht, wurde in den vergangenen Jahren durch zahlreiche Protestaktionen deutlich: In Venedig stellten sich bereits 2015 rund 2000 Einheimische dem 300 Meter langen Kreuzfahrtschiff „Queen Victoria" bei der Einfahrt in den Kanal in die Quere. Ähnlich in Barcelona: Im Sommer 2017 versperrten Demonstranten am Strand liegenden Touristen auf der Barceloneta den Zugang zum Meer. Ende letzten Jahres gingen zum ersten Mal auch in Palma de Mallorca einige Spanier mit „Tourist go home!"-Plakaten gegen die Besuchermassen auf die Barrikaden.

Laut der Welttourismusorganisation „iwd" sind die Chinesen das reiselustigste Volk: Sie gaben 2017 rund 258 Milliarden Dollar für Reisen ins Ausland aus. Spanien gilt weltweit als beliebtestes Reiseziel. Die Anwohner empfinden die wachsenden Touristenmassen dabei nicht nur als lästig, sie leiden vor allem unter den steigenden Preisen, die der Ansturm zur Folge hat - und die bereits einige aus ihren Altstadtwohnungen vertrieben haben.

Dass Orte wie Barcelona, Venedig oder Santorin vom Tourismus wirtschaftlich abhängig sind, ist kein Geheimnis. Zu lange wurde dieser aber nicht reguliert, die Bedürfnisse der Einwohner wurden ignoriert. Nicht ohne Folgen. Pechlaner: „Wenn Einwohner das Gefühl haben, der Tourismus nimmt überhand, kippt die Stimmung. Darunter leiden dann Einheimische wie Reisende."

Noch radikaler geht die philippinische Regierung vor. Präsident Rodrigo Duterte ließ die Insel Boracay, die 2017 vom „Condé Nast Traveller" noch zur schönsten Insel der Welt gekürt wurde, wegen Problemen mit dem Umweltschutz kurzerhand komplett evakuieren.

Pechlaner beurteilt solche Ad-hoc-Maßnahmen kritisch: „Als Botschaft für die Einheimischen ist es zwar wichtig, zu zeigen, dass etwas getan wird, langfristig kann das Problem damit aber nicht gelöst werden."

Mögliche Lösungsstrategien müssen für jeden Ort individuell entwickelt werden. „Overtourism in Barcelona ist nicht derselbe wie jener in Venedig", betont Schmude.

Jetzt liege es an der Touristik, den Dialog mit Anwohnern zu suchen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln.

„Tourismusorganisationen entwickeln sich immer mehr zu Destinationsmanagementorganisationen, um die Touristenströme zu lenken", beobachtet Ulrike Rauch-Keschmann, Unternehmenssprecherin bei Österreich Werbung. Aus Marketingsicht sei es die Aufgabe der Organisationen, einen Ausgleich zwischen Bewohner- und Touristenbedürfnissen zu schaffen: „Hier liegt der Erfolg, denke ich, im gemeinsamen Gestalten von Tourismus, Bevölkerung und Infrastruktur - und zwar für die gesamte Region."

An welche Orte Sie abseits vom Massentourismus reisen können, lesen Sie am Sonntag in der Reise-Beilage. Überlaufene Orte in Österreich

In Salzburg würde Freiwilligkeit nicht mehr reichen. 50.000 Reisebusse pro Jahr, 6,5 Millionen Tagestouristen und weitere 1,7 Millionen, die in der Stadt übernachten - das ist rekordverdächtig. Sie drängen sich in der Altstadt. Um Zufahrten und Besucherströme zeitlich wie örtlich zu steuern, gilt seit 1. Juni eine Registrierungspflicht: Wer seine Bustruppe nicht vorab online für eines der beiden Terminals meldet oder zur falschen Zeit ankommt, muss 70 Euro Strafe zahlen. „Das System hat die Feuertaufe bestanden", versichert Stefan Loidl von Salzburg Tourismus. „120 bis 150 Busse werden pro Tag registriert." Die Kirche reagiert auch: Ab 2019 soll Eintritt für den Dom verlangt werden.

Im oberösterreichischen Hallstatt war es wohl die chinesische Kopie, die mehr internationale Gäste darauf aufmerksam machte: Hoppla, das gibt's ja auch im Original. Seither hadert die 800-Einwohner-Gemeinde mit allzu vielen Touristen. Geschätzte 900.000 sind es pro Jahr, viele in Bussen, 16.500 waren es im Vorjahr. Nun tüftelt eine Arbeitsgruppe an einem Konzept, um den Andrang zu bewältigen.Walter Strasser, Sprecher von Wien Tourismus, setzt auf Ausgewogenheit zwischen Einwohnern und Touristen, beide seien Zielgruppen: „Tourismus muss lebenswert für Bewohner, liebenswert für Gäste und profitabel für Unternehmen sein." Rund die Hälfte der Gäste seien Wiederbesucher, ihnen sollen auch Sehenswürdigkeiten abseits des Zentrums schmackhaft gemacht werden: „Die WU als architektonische Besonderheit oder die Heurigen in den Weinbergen bieten die Chance, Wien neu zu entdecken."

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