ZEIT Wissen: Herr Sachse, viele Paare haben ihren Sommerurlaub vermutlich schon gebucht. Als Psychologe und Therapeut können Sie gut einschätzen: Unter welchen Umständen steigen die Chancen, als Single zurückzukehren?
Rainer Sachse: Am besten stellen Sie es an, wenn Sie bereits im Alltag ungeklärte Konflikte haben und die mit in den Urlaub nehmen. Urlaub ist ein Multiplikationsfaktor: Probleme, die schon zu Hause existieren, werden da verschlimmert. Vielleicht sind Sie auch noch so naiv, anzunehmen, ein Urlaub verbessere Ihre Beziehung. Auch keine schlechte Taktik: Zu hohe Erwartungen können nämlich für noch mehr Enttäuschung sorgen.
ZEIT Wissen: Bei welcher Art von Urlaub kann das denn am ehesten gelingen?
Sachse: Ich empfehle Entspannungsurlaube - die bieten ein hohes Konfliktpotenzial: Sie verbringen viel mehr Zeit miteinander als üblich und können sich gegenseitig so richtig aneinander aufreiben. Von einem Erlebnisurlaub würde ich eher abraten, denn da können Sie ja viel unternehmen und sich und Ihren Problemen aus dem Weg gehen.
ZEIT Wissen: Was sind die besten Gelegenheiten, um im Urlaub einen Streit anzufangen?
Sachse: Das beginnt schon vor der Abreise: Fahren Sie mit Ihrem Partner in den Urlaub, ohne sich vorher darüber zu unterhalten, wie Sie sich die gemeinsame Zeit vorstellen. Ein Streit ist Ihnen dann so gut wie sicher: Der eine will am Strand liegen, der andere losziehen und Kirchen anschauen. Durch komplett andere Erwartungen schaffen Sie es, sich den Urlaub gegenseitig zu vermiesen.
ZEIT Wissen: Und was ist, wenn sich die Partner gut genug kennen, um zu wissen, was der andere möchte.
Sachse: Das ist ja bloß ein Trugschluss: Paare haben oft den Eindruck, sich schon sehr gut zu kennen und eigentlich nichts mehr bereden zu müssen - ein Irrtum und eine gute Voraussetzung für Konflikte! Jeder Partner verändert sich mit der Zeit, und nach ein, zwei Jahren kennen die beiden einander doch nicht mehr. Mein Rat: dann auch nicht miteinander zu kommunizieren und sich so noch mehr zu entfremden.
ZEIT Wissen: Ganz konkret: Wo ist das Konfliktpotenzial höher - am Meer oder in den Bergen?
Sachse: Wenn Sie einen eifersüchtigen Partner haben, wäre mein Tipp, ans Meer zu fahren. Da haben Sie mehr Versuchungen durch Bikini-Schönheiten und Adoniskörper und somit gute Chancen auf Eifersuchtsszenen. Vor allem, wenn Ihr Partner einen histrionischen Persönlichkeitsstil hat: Diese Personen haben das Gefühl, sie verlieren bereits an Wichtigkeit, wenn der Partner jemand anderen ansieht. Versäumen Sie dann also nicht, die Sonnenbrille abzunehmen, wenn Sie attraktiven Badegästen nachschauen. Abraten würde ich bei einem solchen Partner allerdings von einem Urlaub in den Bergen: Da haben alle Beteiligten zu viel Kleidung an.
ZEIT Wissen: Mit welcher Formulierung sollten Sätze beginnen, um sich am eindringlichsten Vorwürfe zu machen?
Sachse: Sehr gut eignen sich Sätze, die mit "Wie immer" oder "Ist ja mal wieder typisch für dich" anfangen. Damit drücken Sie aus, dass Sie von Ihrem Partner ohnehin nichts als Enttäuschungen erwarten. Ebenso gut funktionieren können "Du-Aussagen" für Vorwürfe und Unterstellungen. Vergessen Sie nicht die abwertende Formulierung.
ZEIT Wissen: Und wenn Paare sich im Urlaub von Alltagskonflikten erholen wollen?
Sachse: Das ist erst recht ein guter Ansatz für einen miesen Urlaub: Sie und Ihr Partner gehen geladen in den Urlaub und reagieren schnell negativ aufeinander. Im besten Fall streiten Sie sich über banale Dinge wie nasse Badehosen auf dem Bett. Dann schaukeln Sie sich gegenseitig so hoch, dass Sie drei Tage lang sauer aufeinander sind. Das nennt man auch hyperallergische Reaktionen.
ZEIT Wissen: Sie sind seit 21 Jahren mit Ihrer Frau verheiratet. In Ihren Urlauben muss einiges falsch laufen ...
Sachse: Wir haben eine zu gute Streitkultur. Manchmal können wir uns heftig fetzen, aber dann setzen wir uns wieder zusammen und machen ganz gute Kompromisse. Damit sinken die Chancen auf schwelende Konflikte. Wenn wir drei oder vier Wochen Urlaub machen, haben wir in der Regel auch zwei bis drei heftige Streits unterwegs. Das hält uns aber von nichts ab.
Rainer Sachse ist Psychologieprofessor an der Universität Bochum und leitet eine Praxis für Psychotherapie. In seinen Büchern gibt er Anleitungen zu Lebenskatastrophen, etwa: Wie ruiniere ich meine Beziehung - aber endgültig (Klett-Cotta).
ZEIT Wissen Nr. 4/2015