Nikta Vahid-Moghtada

Freiberufliche Journalistin und Redakteurin, Berlin / Leipzig

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Psychopharmaka: Medizin mit schlechtem Ruf

Psychopharmaka machen abhängig, verändern die Persönlichkeit und haben mehr Nebenwirkungen als Wirkung? Obwohl mittlerweile viele psychische Erkrankungen mit den Präparaten behandelt werden, haben sie noch immer einen schlechten Ruf. Es sei noch viel Aufklärungsarbeit nötig, sagt die Leiterin der Tagklinik für Depression am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München, Annette Sonntag.

Medikamente die direkt im Gehirn wirken, sind zwar kein Allheilmittel. Sie sind aus der Therapie psychischer Erkrankungen aber kaum mehr wegzudenken. "Am häufigsten werden diese Medikamente bei Depressionen mit höherem Schweregrad eingesetzt", sagt Sonntag. Schizophrenie lässt sich gar nicht ohne Medikamente behandeln, und auch bei Angst- und Zwangserkrankungen gehören sie oft zur Therapie dazu.

Für die betroffenen Menschen seien Psychopharmaka ein Segen, sagt auch Isabella Heuser-Collier, Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité Berlin. "Schwerkranke Patienten, die wir als Psychiater sehen, sind in der Regel sehr dankbar für die Medikamente." Die medikamentöse Behandlung ist aber nur ein Teil der Therapie. Ohne begleitende Sitzungen bei einem Psychologischen Psychotherapeuten ergibt der Einsatz von Psychopharmaka kaum Sinn.

Es gibt allerdings auch Fälle, in denen Pillen unnötig sind: etwa wenn jemand nach einer Trennung oder einem Todesfall in eine Krise gerät. Dann genüge in der Regel eine Psychotherapie, sagt Sonntag. Laut einer Auswertung der Krankenkasse AOK erhalten zudem Menschen in Pflegeheimen zu oft Psychopharmaka. Die Medikamente sollen sie ruhigstellen.

Wie Psychopharmaka wirken

In erster Linie mildern die Tabletten bestimmte Krankheitssymptome. Wenn ein depressiver Mensch mit Schlafstörungen ein Medikament mit schlaffördernder Wirkung einnimmt, geht es ihm tagsüber besser. Dadurch fällt es auch leichter, die übrigen Symptome zu bewältigen, sagt Sonntag. Oft genug werden Patienten durch die Tabletten überhaupt erst in die Lage versetzt, an einer Psychotherapie teilzunehmen.

Daneben haben Psychopharmaka aber auch unerwünschte Wirkungen. Patienten sollten sich darüber ausführlich aufklären lassen, sagt Heuser-Collier. Nebenwirkungen wie Erektionsstörungen bei Männern oder eine mögliche Gewichtszunahme durch schlafanstoßende Antidepressiva müssten immer in Relation zum Nutzen der Medikamente gesehen werden. Nur wenn der Nutzen die Risiken übersteigt, macht die Einnahme auch Sinn.

Bestimmte Psychopharmaka wie Benzodiazepine - Valium-ähnliche Substanzen - können auf Dauer außerdem abhängig machen. Sie sollten deshalb nie langfristig eingenommen werden. Heuser-Collier zufolge kommen sie besser nur bei einem Klinikaufenthalt unter ärztlicher Aufsicht zum Einsatz. Benzodiazepine haben aber auch einen klaren Vorteil: Sie wirken sofort und werden daher zum Beispiel eingesetzt, wenn jemand suizidgefährdet ist.

Andere Antidepressiva machen dagegen weder abhängig, noch verändern sie die Persönlichkeit. Ganz im Gegenteil, sagt Sonntag: Gerade durch die Wirkung der Medikamente wird der Patient idealerweise wieder zu der Persönlichkeit, die er vor seiner Erkrankung war.

Eingriff ins Gehirn

Psychopharmaka wirken direkt im Gehirn. Sie greifen in den Neurotransmitterstoffwechsel ein, beeinflussen also die Botenstoffe, die im Gehirn für unser Verhalten, für Emotionen, die Wahrnehmung und für das autonome Nervensystem wichtig sind.

Letztlich versuchen die Wirkstoffe, dort wieder ein Gleichgewicht herzustellen, erklärt die Pharmakologin Cica Vissiennon, die am Institut für Medizinische Physik und Biophysik an der Universität Leipzig forscht. Heilen lassen sich Menschen mit Psychopharmaka aber nicht. Lediglich die Symptome können beeinflusst werden, so Vissiennon. Aus diesem Grund ist es wichtig, die medikamentöse Behandlung mit einer Psychotherapie zu kombinieren.

Die Behandlung mit Psychopharmaka ist Vissiennon zufolge außerdem ein langwieriger Prozess. Die gewünschte Wirkung tritt bei vielen Medikamenten erst nach Tagen oder Wochen ein - eventuelle Nebenwirkungen dagegen sofort. Umso wichtiger sei es, über die erste schwierige Phase hinwegzukommen. Erst dann erleben Patienten den positiven Effekt der Medikamente, sagt Annette Sonntag. "Die meisten Nebenwirkungen sind in der Anfangszeit am stärksten, lassen aber im Laufe der Therapie nach." Die psychotherapeutische Begleitbehandlung ist auch deshalb wichtig. Sie hilft über die erste schwierige Phase hinweg.

Wer psychische Probleme hat, sollte grundsätzlich nicht zu lange abwarten, sich Hilfe zu holen. Je früher Erkrankungen erkannt werden, desto besser lassen sie sich behandeln. "Das heißt nicht, dass Patienten gleich Medikamente einnehmen müssen. Manchmal helfen gerade Menschen, die schon Erfahrung mit Psychotherapie haben, und die eher leichter krank sind, einige therapeutische Sitzungen zur Auffrischung", sagt Heuser-Collier.


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