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Der Frieden starb mit zwei Schüssen

Zwei Schüsse ließen die Friedensbemühungen im Nahen Osten jäh platzen: 20 Jahre nach dem Attentat auf Israels Regierungschef Rabin scheint ein Ende im jüdisch-palästinenischen Konflikt ferner denn je.


Von Nikolaus Klinger | 04.11.2015 - 11:00


Es war ein Mord, der die Friedensbemühungen im Nahen Osten erschütterte und Israel 20 Jahre später noch immer bewegt: Am 4. November 1995 bezahlte der jüdische Premier Itzhak Rabin für seine Ideale mit dem Leben. Auf einer Friedenskundgebung wurde Rabin von einem 25-jährigen israelischen Fanatiker mit zwei Schüssen getötet. Das Attentat entsetzte die Welt - geschah es doch just in einer Zeit, in der im Nahost-Konflikt echte Hoffnung auf Frieden aufkeimte.

Zwei Jahre zuvor, 1993, hatte Rabin vor dem Weißen Haus in Washington dem damaligen Palästinenser-Chef Jassir Arafat erstmals die Hand gereicht. Mit der medienwirksamen Geste wurde das Gaza-Jericho-Abkommen (auch Oslo-Abkommen genannt) besiegelt - der erste Schritt zur Autonomie der Palästinenser. Gemäß des Abkommens sollte eine palästinensische Selbstverwaltung gebildet werden, die in Wirtschafts- und Sicherheitsfragen mit Israel kooperieren sollte. Die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO verpflichtete sich im Gegenzug aus ihrer Charta alle Passagen zu streichen, die die Vernichtung Israels zum Ziel hatten. Beide Seiten erkannten einander damit erstmals offiziell an. 1994 erhielten Rabin, Israels Außenminister Shimon Perez und PLO-Chef Arafat für ihre Bemühungen den Friedensnobelpreis. Noch wenige Jahre zuvor wollte Rabin als Verteidigungsminister Palästinensern während eines Aufstands die "Knochen brechen".

Hetzkampagne mit tödlichem Ende War nun tatsächlich der Weg frei für ein Miteinander am Gazastreifen? Mitnichten. Das Oslo-Abkommen schürte den Hass jüdischer und palästinensischer Extremisten. Ministerpräsident Rabin wurde als Landesverräter gebrandmarkt. Jüdische Siedler in den besetzten Gebieten sprachen vom "Ausverkauf Israels". Die Opposition um "Likud"-Führer Benjamin Netanjahu zog alle Register, um das Abkommen zu vereiteln. Plakate zeigten ihn mit der palästinensischen Kafia auf dem Kopf, andere gar in einer Uniform der "SS".

Trotz des rauen Klimas verzichtete Rabin bei öffentlichen Auftritten stets darauf, eine schusssichere Weste anzulegen. Eine Haltung, die dem 73-Jährigen just bei einer Friedenskundgebung zum Verhängnis wurde. Auf dem "Platz der Könige Israels" in Tel Aviv fallen jene zwei Schüsse, die den Friedensprozess in Nahost um Jahrzehnte zurückwerfen sollten. Der 25-jährige Jigal Amir, ein nationalistischer Jus-Student, erschießt den Ministerpräsidenten am 4. November 1995 mit einer 22-Kaliber-Pistole. Amir wird Minuten nach der Tat gefasst, Rabin verstirbt auf dem Weg ins Krankenhaus. Der Attentäter wird zu lebenslanger Haft verurteilt, Reue zeigt Amir bis heute nicht.

"Hätte er nur weitergelebt" Rund um den Globus herrschte Bestürzung, die politischen Folgen des Attentats waren nicht abzusehen. Experten fürchteten, dass die Kugeln des Attentäters nicht nur den Staatschef, sondern auch den Friedensprozess, getötet hatten. "Hätte er nur weitergelebt, wäre innerhalb von drei Jahren eine umfassende Friedenslösung erreicht worden", sagte Ex-US-Präsident Bill Clinton vor zehn Jahren anlässlich des 15. Todestages seines Freundes und politischen Weggefährten.

Dieser Tage gedenken tausende Israelis dem ermordeten Ministerpräsidenten. Fast 100.000 Menschen versammelten sich am Wochenende in Tel Aviv auf dem Platz jener Kundgebung vor 20 Jahren. Der "Platz der Könige" heißt mittlerweile Itzhak-Rabin-Platz.

Die Schüsse auf Itzhak Rabin hallen bis heute nach: Die Palästinenser haben weiter keinen eigenen Staat, immer noch herrscht Terror am Gaza-Streifen. Allein seit Anfang Oktober wurden neun Israelis und 66 Palästinenser getötet - mehrere dabei bei Messerangriffen auf Juden. Die entscheidenden Fragen wie der Status Jerusalems oder die Grenzen eines künftigen Palästinenserstaates sind weiter ungelöst. Rabins Worte aus einer Rede anno 1993 klingen aktueller denn je: "Es ist genug! Lasst uns beten, dass der Tag anbrechen wird, an dem wir alle von unseren Waffen Abschied nehmen."

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