Nikolas Kappe

Senior Editor @Mesh Collective / UFA X (RTL Group), Berlin

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Spandau träumt von einer Clubszene

Autor: Sie sind szenig, unkommerziell und meist nur halb legal: Techno-Partys unter freiem Himmel liegen in Berlin seit Jahren voll im Trend. Für viele verkörpern sie das echte, hippe Berlin, das junge Touristen suchen, das Leute aus der ganzen Welt anzieht. Weil die Spontan-Raves aber gerade im Innenstadtbereich Anwohner stören und häufig Dreck zurückbleibt, gibt es immer wieder Ärger mit der Polizei. Schon zu Beginn des Jahres machte die Clubcommission, ein Zusammenschluss von Berliner Club-, Party- und Kulturereignisveranstaltern und Sprachrohr der Berliner Clubszene, auf das Problem aufmerksam. Damals diskutierten Politik, Verwaltung und Kulturschaffende, wie man eine Lösung für „Free Open Airs" finden könne. Die gibt es nun offenbar - in Spandau.

Man prüfe derzeit die Nutzungsmöglichkeiten von drei öffentlichen Plätzen, um sie für Zwecke dieser Art freizugeben, ließ Bezirksstadtrat Carsten Röding (CDU) auf Anfrage mitteilen. Welche das genau sein sollen, ließ Röding noch offen.

Das ausgerechnet Spandau jetzt mit Ravern und Kreativen flirtet, ist gar nicht so ungewöhnlich, wie es zunächst einmal klingen mag. Zum einen treibt es Clubs und Feiernde zunehmend in die Randbezirke, zum anderen träumt der Bezirk bereits seit 2012 von einer Clubszene. Seit- dem kümmert sich das „Kreativnetz Spandau" gezielt um die Ansiedlung von Künstlern im Westen Berlins. Die Legalisierung von „Free Open Airs" soll ein weiterer Schritt in diese Richtung sein.

Für Thomas Scheele von der Clubcommission ist das ein großer Erfolg: „Wir werden ab dem September legale Free Open Airs in Berlin feiern können" , sagt er. Lediglich über das Procedere der Anmeldung von Veranstaltungen müsse man sich noch Gedanken machen.

Denn ganz ohne Regeln geht es natürlich nicht. „Ziel ist es ,einerseits die Verwaltung zu entlasten und anderseits die Anmeldung für Veranstalter deutlich zu vereinfachen", sagt Scheele. Das Aufstellen einer Musikanlage im öffentlichen Raum sei nämlich auch in anderen Teilen von Berlin nicht per se verboten, lediglich die Anmeldung sei mit großem bürokratischem Aufwand verbunden, zudem sehr teuer und langwierig. Derzeit erfordert eine Anmeldung mehrere hundert Euro Gebühren und mindestens zwei Monate Bearbeitungszeit.

Spontanpartys 24 Stunden vorher online anmelden

Viele Veranstalter verzichten deshalb bisher einfach auf eine Genehmigung - was häufig zu Ärger führt. Vorbild für Spandau könnte die Stadt Halle an der Saale werden - hier können Spontanpartys, auf bestimmten Plätzen, 24 Stunden vorher online angemeldet werden. DieZahl der Beschwerden bei der Polizei ist seitdem um 80 Prozent gesunken.

Ob das Modell auch stadtweit Anwendung finden kann, bleibt jedoch mehr als fraglich: Jüngst wollte Linke-Chef Klaus Lederer in einer Kleinen Anfrage vom Senat wissen, wie dieser zur Free-Open- Air-Szene steht. Die Antwort dürfte für viele Raver eher ernüchternd ausgefallen sein: Zwar schätze man die Berliner Musikszene sehr; Naturschutz sowie das „Ruhe- und Erholungsbedürfnis vieler Menschen" hätten aber klar Vorrang gegenüber den Party-Interessen.

„Der Nutzungskonflikt ist dem Senat also bekannt, unternehmen will er aber nichts", ärgert sich Lederer. Viele Beispiele hätten gezeigt, dass offizielle Feierflächen die Konflikte befrieden könnten. Außerdem sollen die Freiräume ja nicht ausschließlich für Party-Zwecke genutzt werden - auch Künstler, Theatergruppen und Kinderprojekte könnten regelmäßig davon profitieren. „Es ist höchste Zeit, dass sich Senat und Bezirksämter mal zusammensetzen und eine Lösung finden ", sagt Lederer.

Außerdem gehe der Senat von völlig falschen Zahlen aus, sagt Thomas Scheele. In der Antwort der Senatsverwaltung ist die Rede von durchschnittlich drei Open- Air-Partys pro Wochenende mit jeweils rund hundert Personen. Da die Verwaltung aber keine eigenen Zahlen vorlegen kann, beruft man sich auf Schätzungen der Clubcommission - und diese sind laut Scheele schlicht falsch wiedergegeben: „Das sind nicht die Zahlen, die wir dem Senat genannt haben." Die Clubcommission gehe nämlich nicht von drei, sondern von bis zu dreißig Veranstaltungen pro Wochenende aus. „Die Problematik wird heruntergespielt, indem man die Zahl der Betroffenen als extrem gering darstellt."

Ein Plädoyer für mehr Lärmtoleranz in der Innenstadt lesen Sie hier.
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