Es ist schon lange kein Geheimnis mehr: Die großen Hits werden immer kürzer. Einen fast 10-minütigen Klopper auf Platz Eins der Charts zu sehen ist 2021 so gut wie unmöglich. Selbst Songs mit einer Spielzeit von über vier Minuten scheinen in der Pop-Musik ausgestorben. Den Grund dafür hat nun eine Studie des Technik-Konzerns Samsung offengelegt: Die Aufmerksamkeitsspanne für Musik ist in den vergangenen Jahren extrem gesunken.
Ganze acht Sekunden gibt der durchschnittliche Hörer einem Song noch Zeit, bis ein Urteil über Top oder Flop gefällt wird. Anders gesagt: Nach acht Sekunden wird geskippt. Für das Jahr 2030 sagen die Forscher eine noch kürzere Zeitspanne vorraus. Zum Vergleich: Im Jahr 2000 lag die durchschnittliche Aufmerksamkeit noch bei 12 Sekunden. Sie ist also bereits um ein Drittel gesunken!
Es ist also davon auszugehen, dass Songs in Zukunft sogar noch kürzer werden. Spielzeiten von einer Minute sollten in zehn Jahren keine Seltenheit mehr sein. Sicherlich ist auch der Übergang der Musikindustrie in das Streaming-Zeitalter ein Grund dafür. Spotify und Co. erkennen einen Stream ab der magischen Grenze von 30 Sekunden an. Wenn die halbe Minute durchgehalten ist, bekommen die Künstler ihr Geld. Was nach den 30 Sekunden passiert, interessiert den schwedischen Streaming-Giganten nicht.
Diese Entwicklung bedeutet also auch, dass man eigentlich nur 30 Sekunden braucht, um Geld zu verdienen. Alles darüberhinaus ist aus Business-Sicht überflüssig und kann wegrationalisiert werden. Die Gleichung ist simpel: Warum sollte mein Song acht Minuten dauern, wenn in der Zeit auch acht oder sogar bis zu sechzehn einzelne Songs abgespielt werden können, die mir zusammen das acht oder sogar sechszehnfache an Geld einbringen?
Ebenfalls bieten mehrere Songs eine höhere Trefferwahrscheinlichkeit. Die Möglichkeit, dass ein Fan den einen achtminütigen Song nicht mag ist deutlich geringer, als dass dieser zumindest einen von acht Songs gut findet und diesen mindestens 30 Sekunden anhört.
Einen weiteren Faktor bildet zudem die Song-Struktur. Je kürzer die Aufmerksamkeit, desto schneller und heftiger muss etwas passieren. Lange Intros mit ewigen Instrumentalpassagen gehören der Vergangenheit an. Es geht meistens sofort richtig los, der Refrain steht direkt zu Beginn des Stücks.
Aber zurück zu den nackten Zahlen: Ganze 80% der meistgestreamten Songs auf Spotify überschreiten die vier Minuten Marke nicht. Das wird auch in den Charts spürbar: In England dauerten Nummer Eins Songs 1988 im Durchschnitt noch satte 4 Minuten und 16 Sekunden. Heute kommen die Hits an der Spitzenposition der Charts gerade mal auf 3 Minuten und 3 Sekunden. Es wird über eine Minute eingespart.
Ist das alles wirklich so schlimm? Der Reflex als alteingesessener Musikfan nun zur großen Wutrede auf das digitale Zeitalter und Spotify & Co. anzusetzen, hat sicherlich bereits an diesem Punkt eingesetzt. Es ist jedoch Vorsicht geboten, was allzu wilde Anschuldigungen angeht. Denn: die Länge oder Kürze von Musik bestimmt traditionell das Medium, über welches es veröffentlicht wird. Als die Schallplatte den Markt beherrschte waren die meisten Alben exakt so lang, wie es das Medium zulässt, oder eben Doppel-LPs. Als die CD in den 80er Jahren übernahm, brachte sie mit ihren 74 Minuten Abspielzeit einen neuen Standard für die Länge eines Albums mit sich. Falls ihr euch fragt warum Pop-Songs meistens um die drei Minuten andauern: Das habt ihr den Radiostationen zu verdanken.
Am Ende ist die Frage nach dem aktuellen Standard in der Musikindustrie also historisch gesehen immer eine Frage des Mediums. An der Qualität der Musik ändert sich nichts. Wenn die Vision eines Künstlers groß genug ist, wird sich mit Sicherheit sowieso nicht an irgendwelche Industrie-Vorgaben gehalten. Und die Musiker, die sich daran halten, haben das auch schon immer so gemacht. Bis hier war das nur für euch die Normalität.