Eigentlich begann die ganze Chose mit einer für die meisten Rap-Fans durchaus erfreulichen Nachricht: Für das 30 Jährige Jubiläum des auch über Szene-Grenzen als Klassiker anerkannten De La Soul Debüt „3 Feet High and Rising" sollte das bisher offline gehaltene Früh-Werk der legendären New Yorker Band endlich auch in den digitalen Äther wandern. Denn lediglich die beiden neuesten und in Eigenregie veröffentlichten Alben befinden sich bereits in diversen Streaming-Angeboten. Der Grund dafür ist eine komplizierte Rechtslage, die die Lizenzen für die Platten zwischenzeitlich in den Katalog des Major-Label Warner Music gespült hat. Aber dazu später mehr.
Anfang letzter Woche sahen die New Yorker Rap-Legenden keinen anderen Ausweg aus ihrer Situation, als den Streit über das Online-Release und vor allem die Ausschüttung der Lizenzgebühren über Instagram an die Öffentlichkeit zu tragen. Und die Zahlen klingen genauso verheerend, wie sie sind: 90 Prozent der Einnahmen sollen an das Label Tommy Boy Entertainment gehen, während den Künstlern gerade einmal zehn Prozent bleiben. Logisch also, dass De La Soul in dem Zusammenhang von einem gierigen Albtraum sprechen. Als sehr zynischer und wahrscheinlich weißer Mensch könnte man nun natürlich schulterzuckend erwidern, De La Soul seien halt selbst Schuld einen solch schlechten Vertrag überhaupt unterschrieben zu haben. Wie ignorant so eine Aussage ist, zeigt sich jedoch schon, wenn man sich das Jahr anguckt, in welchem dieser Vertrag unterschrieben wurde: 1989. Das ist noch bevor das Internet überhaupt kommerzialisiert wurde, geschweige denn irgendein Hahn nach Streaming oder bloßer Digitalisierung des Musikvertriebs gekräht hätte. Logischerweise konnte also keine vernünftige Klausel für eine eventuelle Verteilung von Lizenzgebühren nicht physischer Medien eingearbeitet werden. Und das spielt logischerweise dem künftigen Eigentümer dieser Lizenzen, sprich dem Label, in die Karten.
Allerdings verneinten die Native Tongues Legenden auch nicht, dass ihr langjähriger Vertrag auch damals schon ganz klar zu ihrem Nachteil war. Bei einem Interview in der Radio-Sendung Sway In The Morning, dass sogar den eher für seine Wutausbrüche bekannten Joe Budden zu Tränen rührte, erzählten die drei Mitglieder, bewusst einen schlechten Deal bei Tommy Boy eingegangen zu sein, weil sie sonst nirgends die Möglichkeit gehabt hätten, ihre Musik unter kompletter kreativer Kontrolle zu veröffentlichen. Die Mischung aus einem noch in den Kinderschuhen steckenden und instabilen Genre, einer (teilweise) rassistischen Industrie und dem jungen Alter der Bandmitglieder, ließen die Labels damals stark an einem Erfolg von De La Soul zweifeln. Dass sich Tommy Boy nach dem (labelseitig unvorhergesehen) Erfolg der Gruppe einfach ins Fäustchen lachte, anstatt den Vertrag anzupassen und die Gruppe entsprechen zu entlohnen, ließ die Band nach Eigenaussage lange Zeit lediglich von Konzerteinnahmen und Merchandise leben. Auch der Zwang, das aktuellste Album „And the Anonymous Nobody..." über Kickstarter als Crowdfunding-Kampagne realisieren zu müssen, resultiert aus diesem schlechten Deal. Ebenfalls gaben De La Soul bekannt, dass Tommy Boy ihnen mitgeteilt habe, sämtliche Samples der frühen Alben, entgegen den Ankündigungen von Tommy Boy Gründer und Chef Tom Silverman, nie geklärt zu haben. Mit dem digitalen Release sollen nun wohl Posdnuos, Trugoy und Maseo für eventuelle Klagen den Kopf hinhalten. Der eigentliche Grund für die Abstinenz aus dem digitalen Musikbusiness ist jedoch die Pleite von Tommy Boy Entertainment in 2002. In deren Zuge gerieten alle Lizenzen, die Tommy Boy besaß, in die Hände des bis dato als Vertriebspartner und 50%-Eigner agierenden Majorlabels Warner Bros Entertainment. Und der Major ließ den De La Soul Katalog schließlich im Schrank einstauben anstatt zu digitalisieren oder an die Urheber zu verkaufen. Trotz langjähriger Bemühungen der New Yorker schien es unmöglich, sich freizukaufen und die Lizenzen selbst zu vermarkten. Für Tom Silverman hingegen brauchte es anscheinend nur wenig Mühe, die Rechte 2017 zurückzukaufen, um De La Soul nun weiter auszubeuten.
Spätestens diese Geschichte schreit eigentlich nach einer längst überfälligen Reform von Urheber- und Vertrags-Recht von Musikern. Zumindest, wenn man sie nicht so angeht, wie die Europäische Union aktuell.
Eigentlich unzusammenhängend und relativ überraschend, schlägt Kanye West aktuell in genau diese Kerbe. Ende Januar wurde bekannt, dass der zuletzt, um es positiv zu sagen, sehr impulsiv agierende West seinen Verlag EMI und sein Label Roc-a-Fella Records verklagt. Zunächst war nicht klar, worum es in der Klage genau ging. Lediglich der dringende Wunsch aus beiden Verträgen auszusteigen war bekannt, bis vor wenigen Tagen die Klageschrift aus dem EMI– Rechtsstreit öffentlich gemacht wurde. Kanye möchte nämlich nicht nur raus aus dem Vertrag, sondern auch seine Copyright-Rechte zurück und fordert sogar finanzielle Entschädigung. Gewinnt Kanye den Rechtsstreit, wäre das ein enorm wichtiger Präzedenzfall, der nicht nur die Ausgangslage von De La Soul einmal um 180 Grad dreht.
Und tatsächlich hat Yeezy auch ein Ass im Ärmel: die sogenannten Section 2855 aus dem kalifornischen Arbeitsrecht. Das Gesetzt limitiert persönliche Arbeitsverträge auf sieben Jahre. Ein Präzedenzfall hierfür geht auf das frühe Hollywood der 30er und 40er Jahre zurück, als Schauspieler und Schauspielerinnen noch nicht nur für einen Film eingekauft, sondern von den großen Studios vertraglich gebunden wurden. Es war eine gängige Praxis, die schon damals existierende Sieben-Jahre-Regel zu ignorieren und die Verträge von Darstellern einfach ohne deren Zustimmung als Kompensation für die vermeidlich verschwendete Zeit zwischen zwei Filmen zu verlängern. 1943 wollte die Schauspielerin Olivia de Havilland das jedoch nicht auf sich sitzen lassen, verklagte Warner Brothers und gewann tatsächlich. Wegen diesem Urteil ist die Praxis, nur für einen Film zu engagieren in Hollywood gang und gäbe geworden. Seitdem verbreitet dieses Gesetz Angst und Schrecken bei Verlagen, Filmstudios und auch Plattenfirmen. Vielleicht schafft Kanye nun einen weiteren mächtigen Fall mit ähnlichem Impact auf die Musikindustrie.
Im Fall De La Soul zeigt sich zumindest ein wenig Bewegung. Nachdem zunächst Tidal aus Solidarität mit den Künstlern angekündigt hat den Katalog erst ins Angebot aufzunehmen, wenn Tommy Boy und De La Soul sich einig werden und auch der öffentliche Backlash gegen das Label immer größer wurde, gab Tom Silverman bekannt, die Alben zunächst nicht online zu stellen. Bevor es erneut an den Verhandlungstisch geht, möchte die Plattenfirma allerdings die öffentliche Stimme De La Souls stumm stellen und forderten eine Verschwiegenheitsklausel – noch vor den eigentlichen Verhandlungen. Die Band reagiert auf Instagram in Bezug auf die Macht ihrer Stimmen nur spöttisch mit der Frage „You want me to leave my weapon home?“.
Zum Original