Der Frankfurter Arachnologe Peter Jäger ärgert heimische Spinnen so lange bis sie zubeißen. Oft tun sie das selbst dann nicht. Die meisten Spinnenbisse hierzulande sind überhaupt keine.
Die Große Winkelspinne sitzt in der Klemme. Energisch rückt der Mann mit Vollbart ihr zu Leibe. Er hat ihre haarigen Beine zwischen Daumen und Zeigefinger genommen. Mit der anderen Hand drückt er ihren Giftapparat an seine Fingerkuppe. "Jetzt beiß doch!", murmelt er. Schließlich hat der Gleichmut der Spinne ein Ende. Sie spreizt ihre Mundwerkzeuge und versenkt ihre Giftklauen in der Haut ihres Peinigers. "Na endlich!", sagt der.
Wolfspinnen bauen ihre Nester zwischen Steinen oder unter Wurzeln und betäuben ihre Beute mit giftigem Biss. Dem Menschen können aber nicht gefährlich werden.
(Foto: iStockphoto)Selbst wer genau hinsieht, kann nicht entdecken, wo die Spinne zugebissen hat. "Einen Pieks wie von einer kleinen Nadel, mehr habe ich nicht gemerkt", sagt Peter Jäger. Er klingt fast enttäuscht. Eigentlich mag der Spinnenforscher vom Frankfurter Senckenberg Forschungsinstitut die wehrhaften Raubtierchen. Er würde sie nie zum Spaß ärgern. Aber dieser Selbstversuch ist wohl in ihrem Sinne: Jäger ist angetreten, die Ehre der Krabbler wieder herzustellen.
Für Menschen, denen beim Anblick von Spinnen ein Schauer über den Rücken huscht, sind Große Winkelspinnen besonders schrecklich. Die als Hausspinnen bekannten Tiere aus der Gattung Tegenaria gehören mit fast zwei Zentimetern Körperlänge und bis zehn Zentimetern Beinspannweite zu den größten deutschen Spinnen - und sie bewohnen fast jeden Keller im Land.
Unter den Spinnenängstlichen kursieren wilde Gerüchte über Beißunfälle mit den Tieren. Hausspinnen, die in Betten krabbeln und die Schlafenden anfallen. Oder hinterhältige Angriffe auf Staubwedel schwenkende Hausfrauen, die der Brut zu nahe kamen. Auch in der Toxinfo-Datenbank des Münchner Klinikums Rechts der Isar finden sich Spuren dieses Nimbus: "Beißt häufig", heißt es dort lapidar.
Schicksalsergebene Angstmacher"Völliger Humbug", sagt Jäger. "Die letzte Tegenaria habe ich 20 Minuten lang triezen müssen, bevor sie sich zu einem Biss entschlossen hat. Oft klappt es gar nicht. Aggressive Spinnen würden sich anders verhalten!" Den meisten Spinnen fehle der Instinkt, größere Angreifer zu attackieren. Sie suchen ihr Heil lieber in der Flucht oder ergeben sich ihrem Schicksal. Aber gerade weil die Tiere außerhalb des Nahrungserwerbs so ungern Gift versprühen, ist das Wissen darüber lückenhaft, welche Spinnen Menschen beißen könnten, und was das für Konsequenzen hätte.
Allerdings macht schon ein kurzer Blick auf die mehr als 1000 deutschen Spinnenarten klar, dass die meisten den Menschen gar nicht gefährlich werden können. "Sie kriegen ihr Maul nicht weit genug auf, um eine menschliche Hautfalte dazwischenzuklemmen", sagt Jäger. "Der Beißapparat mit den Kieferklauen, die Chelizeren, sind einfach nicht lang oder nicht kräftig genug." Er schätzt, dass Spinnen mindestens ein Zentimeter Körperlänge erreichen müssen, damit sie in menschliche Haut beißen können - am ehesten gelinge es ihnen bei den dünnhäutigen Stellen zwischen den Fingern, seltener bei der Hornhaut der Fingerspitzen. Auf Jägers Liste erfolgreich provozierter Bisse bei heimischen Spinnen stehen deshalb bislang nur wenige Familien: neben den Winkelspinnen die Kreuzspinnen, Listspinnen und Dornfinger.