Nicolas Martin

Autor, Redakteur, Trainer, Bonn

1 Abo und 1 Abonnent
Artikel

Kolumbiens Drogenmafia macht Druck (2017)

"Kolumbien ist voller Koka", ist sich der Buchautor Gustavo Duncan sicher. "Ich gehe davon aus, dass es dieses Jahr die größte Kokaernte aller Zeiten geben wird." Duncan unterrichtet Politikwissenschaften an der privaten Universität Eafit in Medellín. Im Hintergrund seines Wohnzimmers prangt das Konterfei des jungen Pablo Escobar auf einem seiner Bücher im Regal. Duncan könnte mit seiner These richtig liegen, denn allein von 2013 bis 2015 verdoppelte sich laut den Vereinten Nationen die Anbaufläche von Kokasträuchern. Wohl auch deshalb, weil die Regierung im Rahmen der Friedensverhandlungen mit der Farc darauf verzichtet hatte, Kokafelder aus der Luft mit Pflanzengift zu zerstören.

Autor Gustavo Duncan

"Die Farc ist so etwas wie die Regierung der Kokaplantagen", ist Duncan überzeugt. Schätzungen gehen davon aus, dass sich rund 70 Prozent der Anbaufläche in Gebieten befinden, in denen die Farc bisher die Macht hatte. "Mit dem Friedensprozess zwischen dem kolumbianischen Staat und der Guerilla geht nun eine Phase des Drogenhandels zu Ende", analysiert der Wissenschaftler.

Die Zeit der großen Kartelle ist vorbei

Wer nun in die Fußstapfen der ältesten Guerillabewegung Lateinamerikas tritt, sei schwer zu sagen. An Möglichkeiten mangelt es in Kolumbien allerdings nicht. Denn nach dem Ende der beiden Großkartelle von Medellín und Cali Mitte der 90er Jahre zerfaserte das Milliardengeschäft mit Kokain. Seitdem teilen Paramilitärs, Guerilla und das organisierte Verbrechen den Drogenkuchen unter sich auf.

Von 2013 bis 2015 hat sich die Anbaufläche verdoppelt

Auch ist umstritten, wie stark die Guerilla tatsächlich in das Kokaingeschäft verwickelt ist. Laut dem ehemaligen kolumbianischen Präsidenten Álvaro Uribe ist die Farc "das größte Drogenkartell der Welt." Bestätigt ist bisher nur, dass die Kämpfer ihren Krieg auch über das Eintreiben von Steuern bei den Kokabauern finanzierten. Ob sie darüber hinaus auch massiv in die Verarbeitung der Kokapflanze zu Kokain und den lukrativen Überseehandel involviert war, wird sich wohl erst bei den Aussagen der Farc-Kämpfer im Rahmen des Friedensprozesses zeigen. Dieser verpflichtet die Rebellen, vor Gericht genaue Auskunft über ihre Aktivitäten abzulegen.

Der Anbau geht weiter

Die Zeitschrift Economist schätzt, dass die Farc allein bis zum Jahr 2012 durch ihre illegalen Geschäfte bereits ein Vermögen von 10,5 Milliarden Dollar angehäuft habe - obwohl sie teilweise ein Heer von 18.000 Mann finanzieren musste. Für die Sicherheit Kolumbiens ist die entscheidende Frage nun, wer das neu entstehende Macht-Vakuum füllen wird. "Wir können heute nicht genau abschätzen, wie groß der Einfluss der anderen bewaffneten Gruppen ist", analysiert Duncan. "Wer aber davon ausgeht, dass mit dem Rückzug der Farc kein weiterer Kokastrauch mehr gepflanzt wird, der liegt falsch."

Schätzungen gehen davon aus, dass die Farc 70 Prozent der Anbaugebiete dominiert

Bo Mathiasen ist da deutlich zuversichtlicher. Der Chef des UN-Büros für Drogen und internationales Verbrechen (UNODC) in Kolumbien verweist auf die Größe der kolumbianischen Sicherheitskräfte. Kolumbien verfügt über fast eine halbe Million Personen in Uniform. "Das Potenzial ist also groß, die Kontrolle und die Rechtsstaatlichkeit in den Zonen der Farc wieder herzustellen", so der Diplomat.

"Mordraten könnten zunehmen"

Im Hauptquartier des UNODC in Bogotá werden auf mehreren Stockwerken Satellitenbilder ausgewertet, Karten gezeichnet und wird an Alternativen zum Koka-Anbau geforscht. Das Büro von Mathiasen arbeitet dabei eng mit den kolumbianischen Sicherheitsbehörden zusammen. Das organisierte Verbrechen werde mit ziemlicher Sicherheit in einigen Gebieten probieren, den Anbau an sich zu reißen. "Es ist möglich, dass wir im Zuge des Friedensprozesses einen Anstieg von Morden in bestimmten Zonen beobachten können". Die Regierung kenne aber das Risiko und gehe dagegen vor, bilanziert der UNODC-Chef.

UNDOC-Chef Bo Mathiasen

Erst im vergangenen Jahr startete die kolumbianische Armee eine Offensive gegen das sogenannten Urabeño-Kartell, auch unter dem Namen Clan Usuga oder Clan del Golfo bekannt. Vor wenigen Tagen nahmen die Sicherheitsbehörden weitere 22 Mitglieder der Gruppe fest. Die im Nordwesten an der Grenze zu Panama ansässige kriminelle Gruppe ist weltweit organisiert. Dafür sprechen zumindest Festnahmen von ranghohen Mitgliedern in Argentinien und Spanien.

Kokain wird bereits billiger

Doch anders als beispielsweise das Medellín Kartell von Pablo Escobar sind die neuen "Narcos" bescheiden. "Es ist ihr Geschäftsmodell so diskret und leise wie möglich zu sein", sagt Mathiasen. Ihre Struktur sei außerdem nicht mehr hierarchisch, sondern sehr lose organisiert. "Es wird immer schwieriger, sie zu jagen", gibt er zu bedenken. Neben dem organisierten Verbrechen ist da auch noch die zweite und deutlich kleinere Guerillagruppe des Landes. Auch die ELN wird Interesse am Einflussgebiet der Farc haben. Momentan befindet sich die Gruppe zwar in Friedenssondierungen mit der Regierung - diese könnte sich laut Beobachtern aber noch lange hinziehen.

Bis Sommeranfang sollen alle Farc-Kämpfer die Waffen abgegeben haben - so sieht es der Friedensvertrag vor

Das UNODC-Büro der Vereinten Nationen unterstützt schon länger Bauern bei Alternativen zum Kokaanbau. "Wir können aber erst mit der Arbeit beginnen, wenn die Gebiete wirklich sicher sind", sagt Bo Mathiasen. "In der Wiederherstellung der Sicherheitslage bestehe nun die größte Herausforderung." Vom Friedensvertrag erhofft man sich bei der UNODC aber, schon bald auch mit Bauern in Gebieten zusammenzuarbeiten, in denen es bisher undenkbar war.

Bevor sich dieser Erfolg aber zeigt, wird es noch eine Weile dauern. Erstmals ist in Europa und den USA wegen der vergrößerten Anbaufläche mit einer regelrechten Kokainschwemme zu rechnen. "Der Preis sinkt bereits", sagt Politikwissenschaftler Gustavo Duncan. In Europa beschlagnahmen Sicherheitsbehörden bereits auffallend viel Stoff. Und auch Bo Mathiasen sieht keinen Grund für ein rasches Ende des Milliardengeschäfts in Kolumbien. "Das organisierte Verbrechen ist uns eigentlich immer einen Schritt voraus."

Zum Original