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Oberschöneweide: Zwischen Dönerbuden und Bio-Burgern

Raus aus der Straßenbahn und ab nach Hause. Vor der riesigen Fassade des AEG-Geländes liegt ein Trinker regungslos auf dem Gehweg. Die Wilhelminenhofstraße in Schöneweide lädt nicht unbedingt zum Verweilen ein, so scheint es.

Ungeschliffener Rohdiamant

Doch ganz so einfach ist es nicht mit Oberschöneweide. Denn wo die einen Verfall sehen, da sprechen die anderen von einem ungeschliffenen Rohdiamanten, von der Wilhelminenhofstraße als neuer Hipster-Meile. Schließlich gibt es einen Bio-Burger-Laden, einen Turnbeutel-Shop und Schaufenster, die nichts verraten, als dass da irgendwas mit Kunst passiert - ziemlich cool also.

Um über diesen Widerspruch zwischen Zerfall und Hype zu sprechen, hatte am Mittwoch der Unternehmerkreis Schöneweide und das Regionalmanagement zu einer Diskussion in den Industriesalon geladen. Fakten dazu lieferte Susanne Reumschüssel vom Industriesalon, der sich als „Forum für Industrie, Technik, Kultur" versteht. Die Wilhelminenhofstraße hat inklusive Umgebung 233 Ladenflächen, in 27 davon herrscht Leerstand. Imbisse, Spätis, Friseure und Nagelstudios dominieren das Straßenbild.

„Der Wilhelminenhofstraße fehlt das Flair einer einladenden Einkaufsstraße", so Reumschüssel. Es gibt viel Verkehr, kaum Platz für Fußgänger. Es fehlen die Leuchttürme - Läden, die viele Besucher anziehen und auf die Umgebung ausstrahlen.

25.000 Arbeitsplätze verschwunden

Doch das ist nur die eine Seite. Nachdem in den 1990er Jahren 25.000 Arbeitsplätze in kurzer Zeit verschwanden, werden in Oberschöneweide nun 3D-Drucker und Sensoren hergestellt. Es gibt wieder Industrie, es gibt die neu angesiedelte Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) und es gibt Zuzug in das sanierte Wohngebiet.

Einer der Neuen ist Oliver Nibbe. Der 36-Jährige kam als Künstler nach Schöneweide, nun betreibt er den Burger-Laden im einstigen AEG-Pförtnerhaus. Genau so stellen sich die Regionalmanager die Aufwertung von Schöneweide vor: Studenten und Künstler durch die HTW und wiederbelebte Industriebrachen anlocken und dann in Schöneweide halten.

Netzwerk plant großes Fest

Den Standard-Burger mit Bio-Fleisch gibt es bei Nibbe für 6,40 Euro. Für Oberschöneweide ist das ganz schön teuer. Dennoch kann sich Nibbe nun schon seit zwei Jahren halten. Kunden sind eher die 9000 HTW-Studenten als die Alteingesessenen.

Nibbe muss aber bangen, weil sein Mietvertrag nur jährlich verlängert wird. Kleine Gewerbetreibende wie er haben manchmal das Gefühl, bereits von Verdrängung bedroht zu sein, bevor es richtig losgeht. Und so geistert die Gentrifizierung als Schlagwort sogar schon in Schöneweide herum.

„Also ich freue mich auf die Gentrifizierung"

„Also ich freue mich auf die Gentrifizierung", sagt eine Dame nach dem Salongespräch. Ein Sonnenstudio weniger und ein schickes Restaurant mehr - das erscheint ihr wünschenswert. Nur was sagen wohl die Vietnamesen, Türken und Araber dazu, die die Nagelstudios und Döner-Läden auf der Wilhelminenhofstraße betreiben? Sie sind bei der Diskussion nicht dabei.

Eine Verknüpfung von Altem und Neuem könnte die Wilheminenhof-Initiative bringen, die Susanne Reumschüssel vorantreibt. Sie will Gewerbetreibende und Anlieger motivieren, ein starkes Netzwerk zu knüpfen. Für den 1. Oktober 2017 plant sie ein großes Fest, weil dann vor genau 100 Jahren die Produktion von NAG-Wagen im Peter-Behrens-Bau begonnen hat. Bei der Feier könnten Oldtimer der NAG auf der Wilhelminenhofstraße fahren, so Reumschüssel.

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