Wer in Namibia einer kreativen Arbeit nachgeht, entscheidet sich gegen die Karriere. Förderung? Fehlanzeige. Gegen alle Widerstände haben sich aber auch in Windhoek Künstlerzellen gebildet, die mit Starrsinn und Engagement den Oberen die Stirn bieten.
Leise tröpfelt der Regen auf das Veranstaltungszelt des Windhoek Country Club. Ein grauer Samstagmittag in Namibias Hauptstadt, doch davon bekommt man im Inneren des Zeltes nichts mit. Hier ist es bunt und laut. Etwa zwei Dutzend auffällig modisch gekleidete Besucher haben sich eingefunden, spärlich verteilt über viel zu viele Stuhlreihen. Sie sind links und rechts eines Laufsteges platziert, der in das Halbdunkel des Zeltes hineinragt. An seinem Ende hat ein DJ seine Anlage aufgebaut, laute HipHop-Musik schallt aus den Boxen.
Dann plötzlich springen zwei Standscheinwerfer an, Showtime! Ein Model betritt den Laufsteg, am Körper ein Hauch aus Seide, im Gesicht das Lächeln einer schönen Frau, die nichts erschüttern kann. Fast nichts zumindest, denn auf halber Laufsteglänge stößt sich das Model saftig den Kopf an einer Dachstrebe. Autsch, das tat weh. Das Model schaut kurz irritiert, sammelt sich, läuft tapfer weiter. Professionalität ist alles, schließlich sind wir hier nicht irgendwo. Sondern auf der "Street Glamour Fashion Extravaganza", krönendes Event der Windhoek International Fashion Week.
"Was für eine peinliche Veranstaltung!" Noch Tage später fasst sich Ina-Maria Shikongo an den Kopf, wenn sie an die Modenschau im Windhoek Country Club zurückdenkt. Die namibische Modedesignerin sitzt im Garten ihres Ateliers in Windhoek. Heute ist das Wetter gnädiger, die Sonne scheint. In der Hand von Ina-Maria qualmt eine handgedrehte Zigarette vor sich hin, auf ihrem Kopf wippen Afrolocken fröhlich auf und ab, während sie spricht. Dabei ist der 31-Jährigen gerade so gar nicht froh zumute. "Stell dir vor, unsere Fashion Week geht bereits ins vierte Jahr, und immer noch hat sie das Niveau eines Kindergeburtstages. Kein Wunder, dass außerhalb von Namibia niemand davon Notiz nimmt."
Mit den großen Schwestern in Paris, London und Berlin kann es die Veranstaltung wahrlich nicht aufnehmen, aber muss sie das überhaupt? "Es geht nicht um Vergleiche", winkt Ina-Maria ab, "sondern es geht darum, dass Mode Kunst ist und als solche bei uns kaum eine Lobby hat. Kunst wird nicht als ernstzunehmender Beruf angesehen, sondern allenfalls als Nebenjob, als Zeitvertreib." Ob Mode, Malerei oder Musik - in Namibia wird zu wenig dafür getan, Künstler bei der Ausübung ihres Berufes und ihrer Berufung zu unterstützen, findet Ina-Maria Shikongo. Stattdessen stößt, wer sich künstlerisch verdingt, oft auf Widerstände. Oder eben auf Dachstreben, wie das Model bei der Modenschau.
1,42 Prozent des Staatshaushaltes 2011/2012 sind in Namibia für die Posten "Jugend, Nationaldienste, Sport und Kultur" vorgesehen, und selbst das wenige Geld, das am Ende im Kultursektor bleibt, sei oft schwer einzufordern: "Man kann sich beim 'Ministry of Art & Culture' um Unterstützung bewerben", berichtet die Künstlerin, "aber das läuft meist sehr willkürlich. Wenn Du den richtigen Sachbearbeiter erwischst, klappt es. Wenn nicht, kann es sein, dass man über Monate hingehalten wird. Oder man hört nie wieder etwas, und das Geld ist plötzlich weg, irgendwo versandet."
Kreative im KamelstallDabei hätte gerade dieser Bereich Aufbauarbeit bitter nötig: In den sechs Jahrzehnten der südafrikanischen Besatzung wurde die Pflege namibischer Kunst und Kultur systematisch unterdrückt. Seit der Unabhängigkeit Namibias 1990 besinnt man sich langsam wieder landeseigener Themen und Traditionen, sie tauchen heute in den Malerien Andrew van Wyks, Temba Masalas und Hercules Viljoens auf, in den Songs des Singer/Songwriters Tonetics und der Rap-Combo RUN NAMS - oder eben in den Desgins Ina-Maria Shikongos, die in ihren Taschen, Ohrringen und Kleidungsstücken klassische Ovambo-Elemente integriert.
Dass es trotz der schwierigen Rahmenbedingungen in Windhoek eine überraschend lebendige Künstlerszene gibt, liegt auch an Anlaufstellen wie dem John Muafangejo Art Centre, dem Katutura Community Arts Center und dem College of the Arts, die trotz der mageren finanziellen Unterstützung von Staatsseite an der Ausbildung junger Künstler festhalten, zudem gibt es einige wenige Privatgalerien im Stadtzentrum von Windhoek. Hier trifft sich die kleine Künstlerszene und übt den Zusammenhalt. Zumal oft selbst die Unterstützung aus der eigenen Familie fehlt: "Meine Familie versteht bis heute nicht, wie ich als intelligenter Mensch Kunst machen kann, statt einem gut bezahlten Job nachzugehen", berichtet auch Ina-Maria Shikongo.
Doch die zierliche Frau hat sich durchgeschlagen. Nach beendetem Modestudium in Namibia ging sie auf eigene Faust nach Frankreich, um dort einen Master in Modedesign zu machen. Heute nennt sie sich "die einzige namibische Fashion-Designerin, die in Europa studiert hat. Klingt gut, oder?", lacht sie, die selbst am besten weiß, dass sie sich davon allein noch nichts kaufen kann. Immerhin: Sie bringt ihre Kollektionen inzwischen regelmäßig auf Märkten an die Leute. Ihr typisches Käuferklientel nennt sie "conscious people", gebildete Menschen mit dem nötigen Kleingeld also. In einem Land wie Namibia mit über 50 % Arbeitslosigkeit und der weltweit größten Kluft zwischen reich und arm kann sie damit allenfalls ein Randpublikum bedienen. Darin steckt eine recht nüchterne Erklärung, wieso Kunst und Kultur in Namibia eine so kleine Lobby besitzen.
Ihre Kunst entwirft Ina-Maria in einem alten Gebäude, das unscheinbar auf einem Hügel in Windhoeks Stadtzentrum liegt, und doch mächtig Geschichte atmet. Es handelt sich um das älteste noch stehende deutsche Gebäude Namibias. Früher von den deutschen Schutztruppen genutzt, diente es später als Kamelstall und stand schließlich lange Zeit leer. 2009 mietete ein Künstlerkollege Ina-Marias den vom Verfall bedrohten Komplex an, seitdem wirken hier eine Handvoll Künstler in den "Camel Stables Art Studios", den Kamelstall-Kunstateliers.
Das Ziel ist, nach und nach immer mehr lokale Künstler in den Räumlichkeiten unterzubringen, bereits jetzt zeugen allerlei Werkbänke, Schreibtische, Kleiderständer und Materialien von regem künstlerischen Treiben. "Wenn wir vom Staat so wenig Unterstützung bekommen, müssen wir uns eben selbst organisieren", meint Ina-Maria, die von einem zentralen Wunsch angetrieben ist: "Ich will unseren Führern zeigen, dass ich es mit Kunst zu etwas bringen kann!" Den nächsten Schritt in diese Richtung hat sie soeben vollzogen: Ina-Maria hat sich offiziell um die Ausrichtung der nächsten Windhoek International Fashion Week beworben. Hoffentlich ist sie dabei an die richtige Sachbearbeiterin geraten.
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