Wenn die Popmusik von der ewigen Suche nach dem Hit getrieben wird, ist Sun Kil Moon dazu das Gegenprogramm. Diese Band geht unscheinbar, leise und langsam vor, scheint die große Geste zu scheuen in ihrem Folkrock, getragen von ein paar Akkorden, meist auf der Akustikgitarre. Der Kalifornier Mark Kozelek, das einzige kontinuierliche Mitglied von Sun Kil Moon, trägt dazu seinen ruhigen, manchmal zum Spoken Word geronnenen Gesang vor. Die Melancholie ist bestimmender als die Euphorie, das Dunkle offensichtlicher als die hellen Momente. Und doch, wenn nach einigen Minuten, in denen der Song seine Geschichten wie im Gedankenstrom erzählt, plötzlich der eine Akkordwechsel kommt, wenn aus dem Flüstern ein Sprechen wird, fühlt sich das gewaltig und euphorisierend an - ganz ohne Bombast und den großen Knall des Pop.
Sun Kil Moon besetzt seit Jahren eine eigene Nische, in der sehr lange, spärlich instrumentierte Folksongs widerhallen. Doch erst jetzt, wo das neue Album Universal Themes erscheint, hat die Band so etwas wie Ruhm über Szenekreise hinaus erreicht. Kozelek ist 48, von Anfang der Neunziger an veröffentliche er mit der Band Red House Painters aus San Francisco bis 2001 insgesamt sechs Alben. Manchmal abschreckend als Sadcore oder Slowcore bezeichnet, spielten die Red House Painters eine langsame, melancholische und von glasklaren Gitarrenlinien getragene Version des Alternative Rock. Die ähnelte Vorreitern der Indiekultur wie Nirvana, den Smashing Pumpkins oder Pearl Jam, beispielsweise in der betonten männlichen Sensibilität und dem unprätentiösen Kleidungsstil, der damals gegen den überkandidelten Glam und Hard Rock gerichtet war.
Anfang der Nuller Jahre wurde aus den Red House Painters schließlich Sun Kil Moon, den wunderbaren Projektnamen übernahm Kozelek vom koreanischen Boxer Sung-Kil Moon. Nach langer Zeit mit großartigen Alben auf kleinen Bühnen folgte mit dem Album Benji 2014 der Durchbruch: ein Erfolg über die USA hinaus, die Kritiken überschlugen sich, Benji landete in diversen Bestenlisten, bei konservativen Magazinen ebenso wie in progressiven Redaktionen. Auf dem Album perfektionierte Kozelek seine Art des Geschichtenerzählens. Sehr unmittelbar schildert er die Abläufe seines Alltags, das Fernsehen, das Abspülen, das Touren, Knutschen, Traurigsein. Und immer wieder denkt er an Nahe und Entferntere, die gestorben sind. So nimmt Kozelek der Trauer und dem Extrem das Singuläre - sie sind immer da, mal mehr, mal weniger, so wie die Freude auch.
Ein Konzertauftritt vom vergangenen Sommer lässt die Intensität erahnen, die daraus entstehen kann. Schon im Titel des Songs, Richard Ramirez today died of natural causes steckt viel von der Wucht, die Mark Kozelek zu entfesseln vermag. Ramirez war ein US-amerikanischer Serienmörder und -vergewaltiger, gesucht unter dem Namen "Nightstalker". Er starb an Leberversagen, nach Jahrzehnten im Gefängnis mit zweifelhaftem Ruhm, der zahlreiche Frauen zu Liebesbriefen veranlasste. Kozelek verknüpft in seinem Song über einem nachdrücklicher werdenden Grollen der Gitarre diese Meldung mit dem, was Mensch eben so den ganzen Tag tut. Er isst wieder, er schläft, er spielt eine Show, er reist endlose Stunden durch die USA. Die Todesnachrichten, die Ungerechtigkeiten und die Gewalt werden zu einem ständigen Begleiter, sie gehören da hinein. Und die Grenzen aus Traurigkeit, Freude, Nostalgie und Aktualität verschwimmen.
So unmittelbar, so ungefiltert das ist, und wie es im Gedankenstrom zu fließen scheint, es entwickelt nach und nach einen ganz eigenen Sog und es wird klar, wie viel Kunstfertigkeit hierin steckt. Vergleichbar mit Steve Reichs Minimal Music oder Karl Ove Knausgårds Erzählen in Es erscheint wie eine Selbstverständlichkeit. Warum hat das vorher keiner gemacht, beziehungsweise: Warum ist das erst jetzt so erfolgreich?
Fraglos gibt es naheliegende Referenzen: Neil Young spielt vor allem auf April, dem musikalisch überwältigendsten Album von 2008, eine wichtige Rolle. Die sanft brummenden Akkorde auf der Gitarre, die Stimme, die Zeit, die sich Kozelek lässt. Sieben, acht, zehn Minuten, nur eine Gitarre und ein paar Akkordwechsel, Kozeleks ruhige Stimme und ein Textheft von der Stärke eines Reclambändchens.
Das
ist manchmal auch zermürbend und unspektakulär. Die Wirkung ergibt sich
nach einer Weile, durch die Unmittelbarkeit des Erzählens.
Vielleicht, wenn er eine große Szene aus den Sopranos in
seiner Reflexion wachruft oder wenn sich ein pathetischer Satz auftut aus der nüchternen "und dann, und dann"-Diktion. Kozelek
spielte vergangenes Jahr beim Haldern Pop Festival in der norddeutschen Provinz. Er steht da mit der
Hand in der Tasche, fast gelangweilt, könnte man meinen, das Hemd
spannt über dem Bauch, mieser Haarschnitt, Augen zu. Das ist –
gemessen an allem, was man üblicherweise einen intensiven
Auftritt, eine außergewöhnliche Erscheinung oder Screen
Appearance nennt – schrecklich durchschnittlich und,
vordergründig, nicht gut performt. Im Song erinnert er sich an seine
Anfänge, ans Gedichteschreiben in den Teenagerjahren und den Spott
der Lehrer darüber. So würde nie etwas aus ihm, er würde nie
jemanden berühren.
Im nächsten Vers dann: "And by the time that I had awoke / I was one of a handful of the chosen / to take the punches to take the arrows / to bleed the blood, the blood of sweat." Zwischen all dem Kleinklein dieses Pathos. Zwischen den Erzählungen, die ihre Kunstfertigkeit gerade dadurch ausstellen, dass sie die Idee von einem glamourösen Künstlerdasein gründlich dekonstruieren, diese plötzliche Schwere. Ein wirkungsvoller Kontrast.
Dieser scheinbare Gegensatz zeigt eine Seite von Kozelek, die Universal Themes hätte weiterentwickeln können. Das neue Album
besteht aus acht Songs, keiner kürzer als sieben Minuten. Kozelek
treibt das Tagebuchartige seiner Texte noch weiter, mit dem Unterschied, dass er nun beispielsweise nicht mehr wie auf Benji
über den Tod seiner Cousine singt, den er in gleichermaßen
distanzierten, aber einfühlsamen Worten zeichnet, sondern über ein
lebloses Opossum, das in seinem Garten liegt. Das mag traurig sein,
einen
großen Song über das ewige Sich-durch-das-Leben-Wühlen ergibt es
aber nicht. Universal Themes entwickelt nur wenige
überwältigende Momente.
Manchmal wird die Langeweile zum Nebeneffekt
Zuvor gelang es Kozelek, aus minimalen Variationen Funken zu schlagen. Auf Universal Themes fehlt aber eben diese Variation. Er schaut fern, liest ein Buch, isst Nudelsuppe. Überall kleine Geschichten, sie verlaufen sich jedoch immer wieder im Nichts. Das mag eine konsequente Radikalisierung dieses "Unmittelbarismus" sein, wie es Maximilian Probst jüngst so schön taufte. Oder auch der Versuch, die eigene Musik noch stärker dem spannungsarmen Ambient anzunähern. Aber die Langeweile wird hier eher zum unangenehmen Nebeneffekt einiger der Songs – und nicht ihr Thema.
Kozelek unterläuft die gängigen Schemata populärer Musik. Aber auch er kann den Widerspruch zwischen der Erwartung des Publikums und der Realität des Künstlers nicht aufheben: Das Publikum will Ausnahmezustand, Extrem, Spektakel sehen. Und ärgert sich dann manchmal, wenn es Grenzüberschreitungen erlebt. Kozelek geht den umgekehrten Weg in seiner Musik. Er stellt Alltag und Routinen aus und hofft, dass sich darin doch mehr finden lässt.
Aus
dem scheinbar ungefilterten Erzählen, aus der Illusion, Kozelek
berichte hier eins zu eins, mag auch die Aufregung stammen, die um
eine aktuelle Entgleisung des Künstlers entstanden ist. Jüngst hatte
Kozelek vor Publikum Scherze gemacht über eine Journalistin, die um
ein Interview mit ihm gebeten hatte. Sie wolle ihm an die Wäsche, sagte er und tönte: "Bitch, get in line." Das wird auch dadurch kaum besser,
dass er hinterschob, er mache nur Spaß und sie sei sehr süß. Es
ist chauvinistischer Mist. Dass Kritiker nun indirekt zum
Boykott
aufrufen, liegt wohl auch daran,
dass viele im Gedankenstrom-Erzählen Kozeleks und den berührenden
Geschichten den Künstler als
Privatperson selbst zu glauben sehen.
Dann erscheint eine solche Frauenfeindlichkeit als noch größerer
Schock.
Natürlich ist auch Kozeleks Geschichtenerzählen eine
Illusion, die allein vom Wiedererkennungswert lebt: Wir sehen uns
darin, wir erkennen etwas, das mit uns zu tun hat. Es ist recht egal,
ob es Fiktion ist oder tatsächlich
passiert. Nur gut sollte die Geschichte sein.
erschienen bei ZEIT ONLINE, 24.6.2015.
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