Die Wände sind beige, eine Flagge von der Band Slipknot an der Decke. Ein Poster klebt an der Schräge über dem Bett, fünf Gestalten darauf, ein Pitbull, ein Lowrider-Fahrrad. Die Hosen hängen tief, die Hemden sind kariert und weit geschnitten, bis zum letzten Knopf geschlossen. Dreadlocks. Ein Adidas-Trainingsanzug mit Pailletten, ein muskulöser Mann im Unterhemd, seine Haare blondiert, zu Stacheln gegelt. Der Mann mit Dreadlocks hat den Kopf geneigt, er schaut aus dem Bild, ein anderer hockt, er hat die Augen verdreht. Wie ein Renaissancegemälde, die Blicke seltsam weggetreten.
Die Band auf dem Poster hieß Korn, das Zimmer war mein Jugendzimmer. Korn und der New Metal, das ist eine Weile her. Aber es gibt das alles noch. Korn gibt es noch, die Deftones, Slipknot, Linkin Park. Body Count hat gerade ein neues Album, bald kommt ein neues von Linkin Park. Sie spielen auch in Deutschland noch immer Konzerte vor Tausenden Menschen. Die Gitarren stark verzerrt, der Gesang zum Schreien und Kreischen aufgeplustert.
Der New Metal hieß mal Crossover, es ging im Kern um die Verbindung von Rap und Metal. Um die Verbindung von Black Music und dem dann doch ziemlich weißen Metal. Es kamen der Groove, der präsente Bass, die Gitarren wurden als Rhythmusinstrument eingesetzt, ein stetes Hacken. Dass ich damals Teenager war und die harte Gitarrenmusik der Zeit liebte, stiftet noch heute eine Verbundenheit, eine leise gewordene Sympathie, schon eine Weile in Wehmut umgeschlagen. Warum war das so erfolgreich? Warum mochte ich das, und vor allem: Was ist daraus geworden?
Leises Wimmern, lauter AusbruchDer Beginn war früher, 1991, als Nirvana einige Subkulturen wie den Punk, den Noise und die Slacker für einige Jahre zum Mainstream werden ließen. Die Zeit nach dem Grunge, sie war wie ein langer Kater. Es gab, sicherlich, noch die Erinnerungen, es war nicht weit weg, aber die Euphorie war verschossen. Man konnte, das war ja die Lehre der offensichtlich gequälten Figuren in den Songs, sich durchaus geborgen fühlen im Wissen darum, dass es einem nicht allein mies ging.
Das Depressive wurde in den Jahren danach zum Psychopathischen, im Fall von Korn in einem Gesang, der keine Worte mehr formte, das Spiel mit den gniedelig-quietschenden Gitarren in der Strophe und einem gerne darübergeflüsterten Gesang. Leises Wimmern, lauter Ausbruch, irgendwann. Vieles war "Psycho" oder, im Englischen,"Mental". Der Clown war schon damals der Horrorclown, die Slipknot-Masken, die Insane Clown Posse, Jahrmarktsamples auf jedem dritten Album.
Vor allem aber war die harte Gitarrenmusik dieser Jahre ein letzter großer Trend vor 9/11, bevor also die Erzählung vom Ende der Geschichte an ihr Ende kam. Genau die zehn Jahre, in denen Francis Fukuyama die These offensiv vertreten konnte, dass das westliche Modell aus Demokratie und freier Marktwirtschaft bald alle größeren Konflikte beseitigt hätte, war die alternative Gitarrenmusik groß, vom Grunge und Crossover über den Alternative Rock bis zum New Metal. Vielleicht begünstigte ja eine solche Erzählung den darin vollzogenen Rückzug ins Private. Vielleicht erklärt sich so der Hang zur Innerlichkeit, zum eigenen Gequältsein. Sicherlich, es waren fast nur Männer. Aber um die Jahrtausendwende herum drehten sich diese Bands ausdauernd um die psychische Gesundheit ihrer Protagonisten. Auf den Tanzflächen beugten dazu meist Männer die Oberkörper nach vorne, die Gesichter auf den Boden gerichtet, die Hände in den eigenen Haaren vergraben.
Der New Metal und alles nach dem Grunge ist nicht gut gealtert, um das Mindeste zu sagen. Das meiste erscheint in der Rückschau adoleszent. Unreif, unausgegoren. Vielleicht, weil es in vielen Songs und Videos um Highschools ging, um Schulhofbullies und um die Gewalt, die irgendwann dabei herauskäme, wenn das zu lange so weiterginge.
Aggressiv steril
Ich höre zwei andere neue Alben von Bands aus diesen Tagen: Life Of Agony aus New York und Incubus aus Kalifornien. Incubus waren nie weg, sie waren zu Zeiten des New-Metal-Erfolgs Ende der neunziger, Anfang der 2000er Jahre vor allem mit ihrem Hit Drive eigentlichdie einzigen Optimisten. Sie sangen von Selbstakzeptanz und einem hoffnungsfrohen Blick ins Zukünftige, sie klangen trotz Gitarrenwänden verspielt. Das Leben, das da aus den Songs zu sprechen schien, war sicherlich kompliziert, aber eben zu bewältigen. Im Video zum größten Hit gibt es eine schöne Szene, der Sänger Brandon Boyd malt sich selbst auf einem Stück Papier, als Papierfigur zieht er die eigenen Linien, er erschafft sich selbst. Das ist ein schönes und wirkmächtiges Bild, der Mensch als Sebstschöpfender, als jener, der sich selbst Kontur und Richtung und Sinn gibt.
Das neue Album heißt 8. Sie sind wieder etwas härter geworden, die Schemata sind wohlbekannt, die Produktion ist fürchterlich geworden, der Gesang zu laut, die Gitarren wie die alten MP3s, blechern. Die Songs sind okay, das war es. Das klingt noch wie Incubus, aber nach zwanzig Jahren sind die Schemata durch. Harmlos, tut keinem weh.
Die zweite Band, Life Of Agony,
hatte Anfang, Mitte der neunziger Jahre die Fähigkeit, die Unterhemden und die
machistische Härte mit der hohen Stimme von Mina Caputo – damals
noch Keith Caputo – so in den Kontext zu rücken, dass es nie nach
Hass klang, sondern nach Trauer, niemandem wurde Gewalt angedroht,
die Spitzen bohrten sich ins eigene Fleisch. Das war sicherlich im
Dienste des Lebensglücks ein Problem, aber zumindest ging es niemand
anderem an den Hals. Das war gerade im New York jener Jahre eine
schöne Note, denn die Stadt stand für den Tough-Guy-Hardcore von
Agnostic Front und Biohazard, der den Kampfsport in den Moshpit
brachte und vor allem eine Kultur der Stärke und Dominanz
zelebrierte.
Maximale Sauberkeit
A Place Where There Is No More Pain ist erschienen, das fünfte Album. Nur die Titel: Bag Of Bones, World Gone Mad, Song For The Abused. Vielleicht ist das Leiden echt, die Worte, die so um Glaubwürdigkeit ringen, sind so stumpf wie die Gitarren. Da ist kein Ehrgeiz zu erkennen, neue Worte zu finden, gelungene Bilder, etwas, das nicht durch die endlose subkulturelle Verwendung leer und beliebig geworden wäre. Singt Caputo vom Schmerz, dann mit genau diesem einen Wort. Und weil dieser Schmerz, das ist ein nicht unerhebliches philosophisches Problem, nur immer wieder auf das Wort Schmerz aus vorherigen Songs und vergangenen Jahrzehnten verweist, passiert da gar nichts mehr.
Das könnte einen Grund haben, der eng mit dem Charakteristischsten des Sounds zu tun hat. Es gibt eine klar erkennbare Klangsignatur. Korn, Linkin Park, Staind, ja selbst Nickelback, sie alle verbindet ein klar erkennbarer Klang. Alles entscheidend produziert auf die Wucht hin, den Druck. Die Gitarren sind auf aggressive Weise steril. Da ist überall Zerstörung, alles kracht und fällt, und trotzdem: Es glänzt, die Welt ist in Balance. Die Mischung aus Aggression und maximaler Sauberkeit ist es wohl, die das irgendwann so unerträglich macht.
Die Intensität des Moments, die
Plötzlichkeit, mit der sich das erleben ließ, kriegen wir nicht
wieder. Es liegt auch an mir. Mit jedem Comeback und jeder
Reuniontour und jeder Weigerung, es einfach mal irgendwann zu lassen,
ist auch die eigene Vergangenheit in Gefahr. War da nicht mal viel
mehr? Energie, Langlebigkeit, so was wie Wahrheit?
Zumindest mir, der
genau mit diesen Sachen groß wurde, der glaubt, er wäre ohne eine
Band wie Tool und Korn ein anderer geworden, ist nicht nach
Gehässigkeit zumute. Ich schaue dabei zu, wie man sich nicht mit
dem Älterwerden und dem Vergehen zufriedengeben will. Das
ist so verständlich wie bitter. Aber die Momente, so scheint es,
kriegen wir nicht wieder. Life of Agony und Incubus klingen nicht wie
1993 oder 1997 oder 2000, sie klingen ganz genau nach 2017. Der
Unterschied ist völlig offenkundig. Permanent, mit jeder Note und
jedem abgeschmackten Songtitel mit Pain und Bones drin,
wollen sie so sein wie damals und sie scheitern. Man kann nicht
zweimal zum ersten Mal verliebt sein.
erschienen bei ZEIT ONLINE, 16.5.2017.
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