Als vor zwei Jahren das Album Sunbather erschien, waren Deafheaven ein Geheimtipp in einer recht überschaubaren Musikszene, die sich für die Mischung aus Black Metal, Shoegaze und Postrock interessierte. Deafheaven spielten zwar Metal, aber sie sahen mit ihren gescheitelten Haaren, in ihren Röhrenjeans nicht nach Metal aus. Laut Metacritic, einer Übersichtsseite über Plattenbesprechungen weltweit, wurde Sunbather das am besten besprochene Album aus diesem Jahr. Es erschien auf Deathwish, einem der wichtigsten Labels für zeitgenössischen Hardcore und Metal.
Deafheaven, die sich in San Fransico fanden und jetzt in Los Angeles wohnen, sind zum Trojanischen Pferd geworden und haben den Black Metal auch unter Indie-Rock-Fans salonfähig gemacht. Man kann auch nach einem Blick in die Texte sagen: Das hier ist die Fortsetzung von Joy Division mit anderen Mitteln. So existenziell ist das, was Deafheaven verhandeln. Nun erscheint ihr drittes Album New Bermuda.
Der Beginn des traditionellen Black Metal liegt irgendwo in den Achtzigern. Zur ersten Blüte kam er Anfang der Neunziger, Norwegen war das Zentrum. Aus dieser Zeit stammen die bekanntesten und einflussreichsten Bands wie Darkthrone und Burzum. Musikalisch zeichnet sich dieser Black Metal, bei aller Heterogenität, durch seine flächigen, kühlen, manchmal auch nur sanft brummenden Tremologitarren aus, der Gesang ist ein Kreischen, hell und hysterisch. Die Blast Beats treiben die Songs voran. Eine Mehrzahl der Bands orientiert sich an Punk und LoFi. So grenzt sich der Black Metal vom damals einflussreichen Death Metal und anderen Metalgenres ab, in denen die Virtuosität am Instrument eine Kerntugend ist.
Eine Reihe von Verbrechen, verübt von führenden Figuren der anfangs winzigen Szene, prägt das Image des Black Metal bis heute. Eine Reihe von Kirchen geht in Flammen auf, Varg Vikernes, der Mann hinter Burzum, tötet seinen ehemaligen Bandkollegen mit knapp 30 Messerstichen. Ein eigenes Genre namens NS-Black-Metal bildet sich heraus. Und bis heute ist eine Band wie Burzum und ihr offen Rassismus propagierender Kopf Vikernes lediglich umstritten, aber in der Szene nicht geächtet.
Dass Deafheaven nun zu Stars in diesem Genre geworden sind, das eigentlich so abseitig und speziell sein müsste, liegt einerseits daran, dass sie mit dem traditionellen Black Metal optisch und lyrisch nicht mehr viel gemein haben. Völlig ohne Diskussion bleibt aber auch ihre Bezugnahme auf die Black-Metal-Wurzeln nicht: Vor Jahren trug ein ehemaliger Drummer der Band ein T-Shirt der NS-Black-Metal-Band Hate Forest. Angesprochen auf diese Episode sagte George Clarke, Deafheavens Sänger, er sei sauer gewesen, als er vom faschistischen Gedankengut der auf dem T-Shirt zur Schau getragenen Band erfahren habe. Das wolle er natürlich nicht unterstützen. Sich selbst bezeichnet er als Liberalen.
Deafheaven wirken entrückt im traditionellen Black-Metal-Kosmos, weil sie die Stilmittel des Black Metal so einzusetzen wissen, dass der Pop nicht weit ist.
Perfekt verkörpert das ein Songs wie The Pecan Tree, der Abschlusstrack auf Sunbather: Zu Beginn ist da die schiere Wucht, da sind die rasenden Drums, Clarke keift. Nach fünf Minuten kommt der Song zur Ruhe, eine Klaviermelodie führt hinaus aus der Trümmerlandschaft. Über das abschließende Riff, das Gitarrist Kerry McCoy spielt, sagt er selbst, er habe den Hit Zombie der Cranberries nachstellen wollen, in diesem neuen Kontext.
Randvolle SongsVom Postrock haben sich Deafheaven das Ausladende abgeschaut, den Hang zum Pathos, das Spiel mit Laut und Leise. Der Black Metal wiederum entfaltet gerade in solch langen, auf- und abwogenden Songs seine Dramatik. Funktioniert ein solcher Song, der stets nach dem Monumentalen sucht, ist das so überwältigend, so erhaben, wie es die Höhepunkte eines Menschenlebens sind: Geburt, Liebe, Trauer, Tod. Dann verbindet sich das Ruhige mit dem Stürmischen so, dass der Ausbruch des Lärms als logische Folge der langsam zerstäubenden Harmonie erscheint.
Im heftigen Luna, einem Höhepunkt des neuen Albums, heißt es: " There is no ocean for me. There is no glamour. Only the mirage of water ascending from the asphalt. I gaze at it from the oven of my home." Der Gesang wird zum Rhythmusinstrument. Aber es geht dann anders weiter, lieblich sogar. Der Schlagzeuger Daniel Tracy akzentuiert perfekt, der Song holt aus, er groovt. Er steigert sich hinein, in die Raserei. Am Ende steht die Erschöpfung. Es passiert sehr viel in einem Song, und die besondere Intensität entsteht dadurch, dass nach einem Höhepunkt noch einer kommen kann und dann noch einer. Einerseits packen Deafheaven ihre Songs randvoll. Andererseits denken sie in Balancen. Da sind nie nur die Wut und die metallische Härte.
Eher Sartre und Kundera
In der Aggression und dem Extremismus, dem Kontrollverlust und auch der Euphorie, die dieser Sound bereithält, steckt immer die Ambivalenz. Die comicartigen Schemata von Gut und Böse verlieren an Überzeugungskraft. Der Metal von Iron Maiden bis zum modernen Black Metal ist dagegen eindeutig, er überzeichnet, er will klare Kanten und Gegner. In dieser Eindeutigkeit von Schwarz und Weiß ist er weltflüchtig, er baut sich ein Paralleluniversum aus eigenen Symbolen, Codes, Utopien.
Deafheaven indessen haben mehr gemein mit Jean-Paul Sartre und Milan Kundera – George Clarkes Lieblingsautoren. Die Figuren der Clarkeschen Texte erscheinen wie ins Leben Geworfene, sie sind zwar frei, aber dafür müssen sie manchmal den Preis zahlen, ihren eingeschlagenen Weg zu verwünschen. Sie tragen Verantwortung für ihre Entscheidungen – für die guten wie die schlechten. Sie mögen trauern und bedauern, gebrochen sind sie nicht. Und vor allem: Sie bleiben bedürftig, sie wollen sich ein anderes Leben vorstellen können. Auf Sunbather hieß es programmatisch: "I want to dream."
Auf Sunbather ging es um einen bestimmten Menschen: Eine Frau, die da lag in der Sonne, augenscheinlich ihr Leben genoss, während Clarke mit dem Auto vorbeifuhr, anhielt, aus der Ferne schaute. Er singt, schreit: "I gripped the wheel / I sweated against the leather / I watched the dogs twist through the wealthy garden / I watched you lay on a towel in grass that exceeded the height of your legs / I gazed into reflective eyes / I cried against an ocean of light."
Das stumpfe Gerede vom Übermenschen
Da passiert viel in diesen wunderschön zu lesenden Zeilen. Da ist der offensichtlich kriselnde Beobachter, während er abgebrannt durch einen wohlhabenderen Vorort gefahren sei. Alles so schön, die Sonne scheint, diese Frau macht etwas aus ihrem Tag. Und er ist draußen, wie eingesperrt in seinem Auto, dem US-amerikanischen Symbol für Freiheit schlechthin, und empfindet Neid und er fragt sich, wie das kommen konnte: die eine dort, er hier. Sunbather handelt dabei auch von Arm und Reich und dem permanenten Gefühl von Schuld und Mitleid, das der Arme – in diesem Falle der aus der Entfernung Starrende – empfindet. Aber das Träumen versiegt nicht.
New Bermuda wirkt dagegen manchmal, als habe die Band sich doch zu Herzen genommen, was ihr vorgeworfen wurde – und was ihre größte Stärke war: dass sie eben keine reine Metalband ist. Das Album ist stärker beeinflusst von Slayer, Metallica und ja, Classic Rock. Manche Classic-Rock-Gitarre auf dem Album scheint sich einen Spaß zu erlauben mit den bierernsten Zuhörern. So ernst, so existenziell ist New Bermuda also nicht die volle Dreiviertelstunde.
Und das ist, neben dem noch wuchtigeren Gesang sicherlich die größte Stärke des Albums. Problematisch ist allerdings die Entscheidung, dem klassischen, kantigen Metalriff mehr Raum zu geben. Dadurch opfern Deafheaven ihren verwaschenen Gitarrensound. Dieser klang sanft und flirrend, und machte musikalisch das stark, was Deafheavens Texte Wort für Wort tun. So stand die Band schon dadurch quer zum stumpfen Gerede vom Übermenschen, das dem traditionellen Black Metal eigen ist. Auf diese Weise kann man das Politische in diesem Genre eben auch wenden: Indem man hegemoniale Erzählungen vom weltenunterwerfenden Black-Metal-Macker unterläuft.
erschienen bei ZEIT ONLINE, 15.10.2015.
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