Viktor flucht, und wie im Kanon jault auch der Motor auf, um kurz danach zu verstummen. Es ist 5 Uhr früh in der bolivianischen Hochebene, stockfinster draußen, und unser Jeep verweigert sich wie ein sturer Esel jeder Weiterfahrt. Durch die Türritzen dringt die Eiseskälte, die sich hier jede Nacht wie ein Tuch über die Höhen legt und Bäche gefrieren lässt. Aber Viktor, Reiseleiter, Fahrer und Automechaniker in einem, kennt keine Gnade. Auch die müdesten Seelen müssen aussteigen und anschieben, bis der Steilhang überwunden ist.
Es ist der Beginn des zweiten Tages einer Jeeptour zur Salar de Uyuni, der größten Salzwüste der Welt. Ausgangspunkt war Tupiza, ein Ort nahe der Grenze zu Argentinien. Einst Teil eines prähistorischen Salzsees und mehr als zwölfmal so groß wie Berlin, liegt Salar de Uyuni auf über 3600 Meter Höhe im dünn besiedelten Südwesten Boliviens. Nur Lamabauern, Minenarbeiter und das bolivianische Militär sind im kargen, bis zu 6000 Meter hohen Umland sesshaft geworden, welches wir in den nächsten paar Tagen durchqueren wollen. Doch jeder der sechs Mitfahrer scheint schon jetzt zu bezweifeln, ob unser alternder, Postwagen-gelber Jeep mit dem zentnerschweren Dachgepäck den Weg zur Salzpfanne übersteht.
Wüstenweiß gegen Himmelsblau
Nach Sonnenaufgang ist die Stimmung schon etwas optimistischer. Viktor und sein Adjutant auf dem Beifahrersitz holen den Gaskocher vom Dach und servieren uns Frühstück mit Blick auf eine strahlendblaue Lagune. Bei einem heißen Becher Instant-Kaffee motiviert uns Viktor. Wir seien genau zur richtigen Zeit unterwegs. Um den Jahreswechsel bedecke die Wüste eine etwa meterhohe Regenwasserschicht, in der sich die dichte Wolkendecke spiegele, so dass Himmel und Erde kaum zu unterscheiden seien. Das mache die Orientierung schwierig. Jetzt, während des europäischen Sommers, sei hier Trockenzeit, und das von der Sonne erhellte Wüstenweiß kontrastiere prachtvoll mit dem klaren Blau des Himmels. Das bedeute aber auch Hochsaison auf der Salar-de-Uyuni-Route, sagt Viktor, und in der Ferne kündigen Staubwolken weitere Jeeps an.
Den Gaskocher und Essenskisten wieder fest auf dem Dach verschnürt, brechen wir auf. Auf der Fahrt macht eine Tüte Kokablätter die Runde. Eine Hand voll der augengroßen "hojas de coca" in die Backentasche geschoben, sollen sie Energie spenden, den Hunger nehmen und die dünne Luft dieser Höhen erträglicher machen. Während der Kokahandel im vollen Gange ist, wechselt die Landschaft vor dem Fenster ihr Gesicht. Wir verlassen die felsigen Höhenzüge und reisen begleitet von bolivianischen Panflötenhits aus dem Kassettendeck durch sandige Hochplateaus.
"Salvador Dalí!", ruft Viktor plötzlich und deutet mit seiner linken Hand auf ein Dutzend Felsen im Wüstensand. Von hell- bis dunkelbraun schattiert, liegen sie weit verstreut auf einer Anhöhe, als wären Gott ein paar Kieselsteine aus der Hosentasche gefallen. "Das sind die Dali-Felsen", erklärt Viktor. In der Tat, es scheint, als flitzten wir quer durch ein Gemälde des spanischen Künstlers. Ein surreales Bild. Nur die zerflossenen Uhren fehlen.
Wellness in der Wüste
Gegen Mittag heißt es raus aus dem Auto, runter mit den Klamotten, rein ins Wasser.
Thermalquellen auf über 4000 Metern laden zum Erholungsbad und zur einzigen Dusche in vier Tagen ein. Der kalte Wind scheucht uns in die natürlichen Becken, die Wüstentour wird für einen kurzen Moment zum Wellness-Urlaub. Wir tauchen in das kniehohe, etwa 30 Grad Celsius warme Wasser, und über uns schreien die Möwen wie an der Ostsee.
Viktor geht nicht baden. Er ist mit zwei Schraubschlüsseln unters Auto gekrochen und drängt kurz nach seinem Wiederauftauchen mit ölverschmierten Hemd zum Aufbruch. An diesem wie auch am folgenden Tag hat er noch viele Punkte auf dem Programm. Der südlichwestliche Zipfel Boliviens und gleichzeitig Grenzgebiet mit Chile ist äußerst reich an farbenfrohen Lagunen. Nutznießer dieser Naturschätze ist nicht nur die chilenische Kosmetikindustrie, die die Mineralien der Seen für Ihre Körperpflegeprodukte abtransportiert, sondern auch Flamingos. Das Plankton der Lagunen entscheidet wie rosig ihre Kleider sind, und so ordnet Viktor sie den verschiedenen Lagunen der Region zu.
Die dreitägige Anreise zur Salar de Uyuni führt uns auch vorbei an rauchenden und erloschenen Vulkanen sowie brodelnden Schlammlöchern, deren Geruch nach verfaulten Eiern Schwefelgehalt verrät. Die Stunden auf den engen und durchgesessenen Rückbänken des Jeeps fordern Sitzfleisch, so dass sich Viktors etliche Motorreparaturen mit der Zeit zu willkommenen Dehnpausen entwickeln.
Bett aus Salzplatten
Hart wie Beton sind dagegen die Betten der letzten Nacht. Ihre Gestelle sind "Made in Uyuni", komplett aus Salzplatten gezimmert und stellen sich bei den Zimmertemperaturen im Minusbereich als ungemein isolierfreudig heraus. Dementsprechend erholt steigt die Gruppe trotz Viktors frühen Weckrufs am nächsten Morgen warm eingepackt in den Jeep.
Wir erreichen die Salzwüste in der Morgendämmerung. Hier endet die unruhige, scheppernde Melodie der Schotterpiste und wird durch das zarte Knacken und Knirschen der Salzkruste abgelöst. Viktor drückt aufs Gas, und wir sausen übers Salz wie ein Eishockeypuck übers Eis.
In der Ferne zeichnen sich vereinzelt Bergsilhouetten ab, und ein rotgelber Streifen kündigt den Sonnenaufgang an. Beides hilft Viktor, den Weg zu finden.
Als sich die Sonne über den Horizont schiebt, stoppt er unser Raumschiff, und wir klettern hinaus wie Astronauten nach erfolgreicher Mondlandung. Wir sind am Ziel, fühlen uns gerädert und dreckig, doch die Gesichter ziert ein breites Lächeln. Gefesselt von der endlosen Weite spazieren wir über die sechseckigen Salzmuster. Nur das Zwitschern der Digitalkameras unterbricht die Stille. Und wahrhaftig! Eine Kostprobe der kleinen Kristalle auf der harten Kruste belegt: pures Salz!
Doch eine letzte Frage ist noch offen: "Wie gelangt das Salz von hier in den Salzstreuer?" Die Antwort liegt am östlichen Rand der Salar de Uyuni. Dort hacken Arbeiter in die zwei bis sieben Meter dicke Salzschicht und häufen Kristalle zum Trocknen auf. Diese werden dann in Lastwagen in die direkt an der Wüste gelegene Stadt Colchani zur Aufbereitung transportiert. Salz sei so ein preiswertes Gut, dass sich kein industrieller Abbau lohne, erklärt Viktor, und im nächsten Moment winken uns die Arbeiter herüber. Wir sollen doch Fotos von Ihnen machen, rufen sie. "One photo, one dollar!"