SPIEGEL ONLINE: Herr Dullien, die Konjunkturaussichten werden immer schlechter, Deutschland droht eine Rezession - vielleicht die erste, die wir vollständig unter den Vorzeichen der Schuldenbremse erleben. Was kann der Staat jetzt tun?
Dullien: Es stimmt, das Risiko einer Rezession ist gestiegen, laut unserem Konjunkturindikator auf 43 Prozent. Ich selbst halte eine Rezession sogar für noch wahrscheinlicher. Vieles, was die Konjunktur nun stützen könnte, ließe sich durch Schulden günstig finanzieren, weil die Kapitalmarktzinsen gerade so niedrig sind. Mit der Schuldenbremse aber ist das schwierig, da hat eine Politikergeneration ihren Nachfolgern eine besonders günstige Möglichkeit genommen.
SPIEGEL ONLINE: Und was bleibt nun?
Dullien: Wir haben in der Krise ab 2008 die Erfahrung gemacht, dass es sehr sinnvoll ist, den Zugang zu Kurzarbeit sehr großzügig zu gestalten. Wir wissen noch nicht, ob es jetzt eine tiefe oder nur eine schwache Rezession wird. Es ist aber sinnvoll, sich vorzubereiten. Im Moment muss die Regierung nicht groß handeln, aber sie muss schnell reagieren können, wenn ein schwächeres Wachstum auf den Arbeitsmarkt durchschlägt. Großzügige Kurzarbeitsregeln würden schnell wirken.
Die Regeln des SchuldenmachensSPIEGEL ONLINE: Was halten Sie von der Abwrackprämie für Ölheizungen, die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer angeregt hat?
Dullien: Der Begriff soll an die zeitlich begrenzt Abwrackprämie für Autos erinnern - die war sinnvoll, weil damals die Nachfrage nach Autos eingebrochen ist und man das abfedern konnte. Zurzeit ist die Nachfrage nach Klempnerleistungen und Handwerkern aber sehr hoch. Ich fürchte, da würde eine zeitlich begrenzte Abwrackprämie für Ölheizungen nicht viel bringen, sondern bestenfalls die Preise kurzfristig erhöhen.
SPIEGEL ONLINE: Was wäre auf längere Sicht sinnvoll?
Dullien: Geschickt wäre es, ein mittel- und langfristiges Investitionsprogramm anzukündigen, um einerseits die Erwartungen der Unternehmen zu stabilisieren und andererseits Nachfrage zu schaffen, die dann mittelfristig auch zum Abbau des Leistungsbilanzüberschusses beitragen kann. Der bedeutet, dass die deutsche Wirtschaft viel zu stark von Exporten abhängt.
SPIEGEL ONLINE: Und wie soll das finanziert werden?
Dullien: Ideal wäre, die Schuldenbremse zu reformieren, sodass Kreditaufnahme für Investitionen wieder möglich werden. Eine zweite Option wäre, Investitionen über Extrahaushalte abzuwickeln, die von der Schuldenbremse ausgenommen sind und deshalb Kredite aufnehmen dürfen. Wenn das auch nicht klappt, muss man sich nach anderen Quellen umsehen. Die Vermögensteuer ist eine denkbare Option. Nebenbei würde sie helfen, die Vermögensungleichheit in Deutschland zu begrenzen.
SPIEGEL ONLINE: CSU-Chef Markus Söder fordert dagegen, zur Konjunkturförderung die Steuern zu senken.
Dullien: Auch das kann helfen, je nachdem, welche Steuern man senkt. In der Rezession sind Maßnahmen mit einem hohen Multiplikatoreffekt wichtig: Wenn ich Steuern senke, müssen davon Leute profitieren, die das Geld auch wieder ausgeben. Nun zahlt in Deutschland die untere Hälfte der Haushalte keine Lohn- und Einkommensteuer. Wenn man also versucht, die Konjunktur mit Einkommensteuersenkungen oder Soli-Abschaffungen zu stimulieren, wird das nicht viel bringen. Es gibt viel effektivere Möglichkeiten, die Konjunktur zu stabilisieren, von verbesserten Abschreibungsbedingungen bis zu gezielten Investitions- oder Förderprogrammen.
SPIEGEL ONLINE: Wie könnten diese Investitionen konkret aussehen?
Dullien: Da gibt es viele Bereiche. Vom Ausbau des Schienennetzes und des öffentlichen Nahverkehrs über die Sanierung der Autobahnen und Brücken, die Aufarbeitung des Investitionsstaus bei Kommunen, die Ausweitung der frühkindlichen Betreuung. Auch der Klimaschutz gehört dazu, der Investitionsbedarf in diesem Bereich ist immens. Wenn man das alles zusammenpackt und über zehn Jahre streckt, dann können die Unternehmen mit dieser öffentlichen Nachfrage planen.
SPIEGEL ONLINE: Hängen die vergangenen Krisen mit der Marktgläubigkeit vieler Ökonomen zusammen?
Dullien: Ich glaube, die Krisen gehören zum Kapitalismus, wie wir ihn haben, dazu. Die wird man auch nicht loswerden. Die Frage ist, wie man reagieren kann. Tatsächlich ist ja in der Krise 2008/2009 sehr keynesianisch reagiert worden und eben nicht so, wie es sich typische Neoliberale gewünscht hätten. Da haben auch Leute wie der damalige Wirtschaftsweise Bert Rürup sehr pragmatisch reagiert.
SPIEGEL ONLINE: Überrascht es Sie, dass sich nun etwa der Industrieverband BDI gegen die schwarze Null ausspricht?
Dullien: Mich wundert, dass das erst so spät kommt. Laut einer Umfrage des Instituts der Deutschen Wirtschaft sehen sich zwei Drittel der Unternehmen von Infrastrukturmängeln in ihrer Geschäftstätigkeit behindert. Die Unternehmen brauchen also mehr Investitionen, von der schwarzen Null haben sie nichts.
SPIEGEL ONLINE: Verstehen Sie, warum viele Deutsche die - schuldenfreie - schwäbische Hausfrau wirtschaftspolitisch derart idealisieren?
Dullien: Eigentlich nicht. Das Interessante ist ja, dass die Schuldenphobie eine neue Entwicklung ist. Das Grundgesetz hatte ursprünglich eine wesentlich entspanntere Haltung zu Schulden. Auch Helmut Kohl hat, ohne mit der Wimper zu zucken, die Deutsche Einheit über Schulden finanziert. Und es ist nicht so, dass es damals von konservativer Seite einen riesigen Aufschrei gegeben hätte. Es wäre gut, wenn die politische Debatte beim Thema Schulden wieder sachlich wird.